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Die Kunst-Halle — 9.1904

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Nummer 15
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Wolf, Georg Jacob: Französische Kunst in München
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Brosch, L.: Aus Venedig
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230

Die Kunst-Halle.

Nr. s5

beiden sie begleitenden Schweinchen. Ich hatte vor
dem Bild den Lindruch als sei dies die Muse, die
grunzende Muse, einer gewissen Klasse jungfranzösischer
Maler.
Zu der Masse muß ich auch Louis Legrand zählen.
Er erzählt uns alle möglichen Scheußlichkeiten, es liegt
eine Nana-Stimmung über seinem Werk. Toulouse-
Lautrec ist todt, aber sein Geist scheint in Louis Legrand
hineingefahren zu sein. Ich war nicht wenig erstaunt,
wie sich da in dem braven, gut bürgerlichen Kunstverein
auf einmal der französische Geist mit seinen pikanten
und zynischen Reizungen breit macht, und wie von den
wänden freche Halbweltlerinnen und leichtgeschürzte
Balletteusen herausfordernd den Betrachter anblinzeln.
Daß Legrand ein ausgezeichneter, flotter Zeichner ist,
soll ihm gern zugestanden sein, und ich bin nicht ab-
geneigt, deswegen über manche direkt der Kunst zuwider-
laufende sexuelle Verdrehtheit ein Auge zuzudrücken.
Aber muß denn, so frage ich mich, ein Künstler gerade
im Schmutz wühlen, bis er einen „würdigen" Stoff
findet? Der Maler darf meines Trachtens nicht das
für sich in Anspruch nehmen, wozu der Schriftsteller ein
Recht haben mag. Zola darf man gerade wegen seiner
Sitten- und Unsittenschilderungen einen kulturhistorischen
Schriftsteller von eminentem Werth nennen, aber solche
Sittenschilderungen wollen und sollen nicht im Bild
festgehalten werden, da tritt jene Grenze ein, die schon
Lessing in seinem „Laokoon" gezogen; vom ästhetischen
Standpunkte aus muß ich darum Louis Legrand un-
bedingt ablehnen. Lin flotter Zeichner mag er ja
gleichwohl sein.
Georg Jacob Wolf.
N

M Venedig.
Frühling hat hier auch die Kunst aus ihren:
Winterschlaf geweckt. Man hat in dem schönen
Benedetto-Marcello-Saal eine Skizzenausstel-
lung arrangirt, über welche hier eine kurze Rundschau
gehalten werde. Ls treten 2s8 Malereien und s6 Bild-
hauerwerke auf. Auch dem Auslande bekannte Künstler
versäumten nicht die Ausstellung zu beschicken.
Fragiacomo's flotte.Pinselführung bewährt sich
diesmal in seinen Landschaften; es sind duftige Lagunen-
stücke mit zarten, diskreten Nuancen, oder kräftig hin-
gestrichene Bildchen, die nur auf das wesentlichste ein-
gehen. Line seiner Landschaften aber, ganz blau
intonirt, will gar nicht wirken; sie ist weder transparent
noch so träumerisch aufgefaßt, wie es des Künstlers
Absicht gewesen sein mag. Korrekt tritt auch diesmal
Liardi auf, seine Palette ist noch immer sauber
und farbensatt; freier und breiter sieht die Natur sein
Sohn Beppo an, während Lmma, die Tochter des
Altmeisters, an die Rokokoart erinnert, sowohl im Aus-
schnitt der Bilder, als in den kostümirten Figürchen,
die sie überall, wo sie nur kann, in die Landschaft mit
Verve hineinsetzt. Milo Bortoluzzi erscheint Heuer er-
freulicher, seine Stücke besitzen einen feinen Silberton;
so auch Mazzetti's Hochlandschafts-Bilder, die fein im
Luftton sind. Dal' Bo zeigt wie immer ein liebevolles
Eingehen auf die Natur. Zanetti-Zilla's Veduten in
Melfarbe entsprechen der Gewandtheit des Aquarellisten;

seine gebrochenen Töne stufen sich wirksam ab. von
den Figurenmalern ist wenig Gutes zu berichten.
Laurenti zeigt uns eine altmeisterlich gehaltene Kopf-
studie, die einen gewissen Eindruck, was die Mache be-
trifft, erzielt. Auch von Luigi Nono's bäuerlichen
Szenen läßt sich nicht das Beste sagen; einige Töne
stimmen unharmonisch und grell, seine Palette ist über-
haupt zu bunt. Der Mailänder Anton Rizzi hat einige
gute Stücke, besonders die aus einem Wald auf Eseln
herausreitenden nackten Frauen sind mit großer Kühn-
heit hingestrichen; erfreulich ist auch eine „alte Dame",
welche am Fenster stickt, durch breite Mache. Bressanin's
Szenen aus dem venetianer Leben im s8. Jahrhundert
wirken diesmal in der Ausführung flüchtig, aber deko-
rativ gut. Frisch aufgefaßt ist auch eine Kinderstudie
Milesi's. Zum Schluffe habe ich mir einen ganz Un-
bekannten aufgespart: Martina. Ls soll noch ein
junger Künstler sein, welcher in München studirt hat,
was man auf den ersten Blick erkennt. Er bringt
einige Kopfstudien, die prima hingesetzt sind, ohne auf
das Detail einzugehen. Um die Gesammtwirkung ist
es ihm zu thun, um die Stimmung und Lharakter-
auffassung. So ist auch seine Palette einfach, bald
grau, bald etwas röthlich für den Fleischton und ohne
Schatten- und Lichtgeflimmer gute Effekte erzielend.
Selbstverständlich ist Martina ein Künstler, der noch
seinen richtigen weg finden muß; doch wenn er hält,
was er verspricht, wird man seinen Namen nicht
vergessen dürfen. — von Bildhauerwerken ist absolut
nichts zu melden, was nur Erwähnung verdiente.
Die moderne Internationale Kunstgallerie,
über welche ich mich bereits früher in der „Kunst-Halle"
P9O2 Nr. 2f) ausführlich ausgesprochen, wurde seit der
Zeit reichlich vermehrt. Vor allem haben wir hier
das Porträt Leo's XIII. von Lenbach zu verzeichnen,
das für die Sammlung ein eminenter Erwerb ist. Auch
Tottet's Riesenleinwand „Prozession in der Bretagne"
hat hier ständige Unterkunft gefunden; dann Zuloaga's
„Tante Luise" und eine Herbstlandschaft von Llaus, die
von herrlichem Freilicht durchfluthet ist. Distinguirt ist
Stabrowski „park in Warschau", an dem sich kein
Detail ungebührlich hervordrängt, sondern Alles dem
Hauptzweck untergeordnet ist. Dudley Hardy ist mit
seinem dekorativen Stücke „Mohren in Spanien" ver-
treten. von Inländern ist der sympathische Pointillist
Morbelli hervorzuheben und ein zeichnerisch festes
Porträt Milesi's, während Tito's „Geburt der Venus"
mir ein recht zerfahrenes Werk erscheint. Farbig ist
Dall'Gca Bianca's Früchtemarkt in Verona; sehr wüst
und inhaltslos sehen die beiden Porträts König Humbert's
und Margueritta von Michetti aus. von Skulpturen
sind u. a. hinzugekommen eine vorzügliche Statuette von
Troubetzkoi; die Gypsgruppe des jungen Belgiers
Biesbronck und eine Thonbüste Lifariello's. von Ra-
dirungen kommen Edgar Lhahine's und Baertson's
virtuose Blätter in Betracht. Im Ganzen macht die
Gallerte trotz ihrer Bereicherung nicht den besten Ein-
druck; man liest Namen, die zwecklos wieder auf der
Bildfläche auftauchen. Ueberdies sind die Räume des
Pesaro-Palastes wenig geeignet, moderne Kunstschätze
zu fassen, besonders wird das unentbehrliche Oberlicht
vermißt.
L. Brosch.
 
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