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Die Kunst-Halle — 9.1904

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Nummer 15
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Wolf, Georg Jacob: Französische Kunst in München
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Nr D i e A u n st - H a l l e. 229

Zn Heinemann's Gallerte stellen sich unter Duran's
und Fleury's Aegide etwa 60 Künstler mtt beiläufig
zweihundert Arbeiten vor. In den Salons der
„Phalanx" tummelt sich Jung-Frankreich, der moderne
Impressionismus zeigt uns, was er kann und was er
nicht kann. . _
Nun darf man es ^a wohl für em copwl des
Zufalls ansehen, daß plötzlich diese Ueberfülle französi-
scher Kunst in unsere Stadt hereingewirbelt kommt.
Lin innerer Zusammenhang zwischen diesen Ausstellungen
und der heutigen Münchner Kunst besteht kaum, und
nicht eine elementare Nothwendigkeit hat gerade in
diesem Augenblick die französischen Kunstwerke zu
uns geführt. Sie werden auch in Zukunft schwerlich
ein Lntwicklungsmoment für die Münchner Malerei
bilden, während doch sonst eine geschlossene Ausstellung
fremder Künstler nicht selten mehr oder minder segens-
reiche Anregungen zurückläßt. Aber gleichwohl ist es
nicht ohne Reiz, sich beim Durchwandern dieser Aus-
stellungen daran zu erinnern, daß früher die französische
Kunst zu wiederholten Malen bestimmend in den Gang
der Münchner Malerei eingegriffen hat.
Bei Heinemann haben sich großen Theils ältere
Künstler zusammengefunden, die konservativere Ab-
teilung der pariser. Um es nur gleich zu sagen, man
ist arg enttäuscht von diesen Arbeiten. Du lieber
Himmel! Ich möchte wissen, ob eine mittlere deutsche
Stadt mit nicht sehr hochgeschraubten Kunstambitionen
in der Wochenausstellung ihres Kunstvereins nicht das
Nämliche herausbrächte. Sagen wir es nur: drei
Viertel dieser Arbeiten ist ohne allen Werth, und unter
dem letzten Viertel darf man auch noch gründliche
Säuberung halten, kaum ein Dutzend wird mit Lhren
standhalten können. Selbst der vielbestaunte „Papst
Leo XIII. im Gebet" kann mich nicht zufrieden stellen.
Lrstaunliche malerische Mätzchen, eine frappierende
Geschicklichkeit in der Abstufung der Töne, ein seltsamer
Phosphorglanz in den verzückten Greisenaugen — ich
gebe das gern zu, aber man stellt Lenbach's, selbst
Läszlo's Papstbilder daneben und sagt: was wir hier
bei Thartran sehen, ist eine Pose, dort ist ein Mensch.
Am ehesten mag noch Alfred Phil. Noll gehen, sein
Damenporträt hat eine plastische Frische und erinnert
in der farbigen Behandlung an die besseren Erzeugnisse
des Kreises derer um Manet, seine „Amme" wirkt zwar
in der Stellung ein wenig seltsam, aber sie ist wirklich
gut gemalt, das Architekturstück „Kirche" empfiehlt sich
durch eigenartige koloristische Neize. Nochegrosse's
„Haus in Algier" darf sich wohl sehen lassen, auch
Muenier's „Neigen" und Maxence's Arbeiten, besonders
„Sappho", ein Kopf von rassiger, jungfräulicher Herb-
heit, schließe ich an. Lin liebes Ding ist das freund-
liche Mädchenbild von Paul Leroy „Abendlieder", ein
sehr nervöses Ding die pikant gemalte „Dame am
Kamin" von Nobert Fleury. Nenne ich noch Thudant,
Dinet und Gosselin, verweise ich noch auf die originelle
Kleinkunst von Vernier und Pierre Noche, so habe ich
wirklich alles gelobt, was einigermaßen zu loben war,
eigentlich müßte man nun auch die lange Liste des
grenzenlosen Schunds _aufzählen, aber es verlohnt sich
wirklich nicht, in der That nicht. Gut hundertzwanzig
Bilder und Plastiken sind es nicht werth, daß man
ihretwegen einen Tropfen Tinte verspritzt. —
Entschieden werthvoller ist das, was man in der
„Phalanx" sieht. Ls ist wenigstens ein einheitliches
Streben, ein urkräftiges wollen in diesen Arbeiten, und
wenn das Können der Neu-Impressionisten auch mit
chrem wollen nicht immer gleichen Schritt zu halten
vermög, so ist das eben Menschenloos, Mair kennt die

Technik des modernen Impressionismus, sie beruht auf
der prismatischen Farbenzerlegung, die Mischung der
einzelnen Farben und Töne erfolgt nicht auf der Palette,
sondern wird erst durch das Auge des Beschauenden
vollzogen. Ls ist also etwas Aehnliches wie bei der
Musik: jedes Instrument im Orchester giebt seinen
eigenen Ton von sich und erst in unserem Ohr oder
auf dem Wege dahin verschmilzt alles zur harmonischen
Einheit. Aber ein Mißton thut dem Ohr weh, — und
wenn ein Impressionist mit seiner pointillistischen
Technik nichts erzielt wie Farbfleckchen, so thut das dem
Auge weh, und ist ein Beweis dafür, daß man es mit
einer doch wohl kaum entwicklungsfähigen Technik zu
thun hat. Ich bin weit entfernt, über den Neu-
Impressionismus den Stab zu brechen, jedes Streben
und ernste wollen verdient höchste Achtung und liebe-
volles Eingehen, ich halte es mit Meier-Gräfe, der
vernünftig und beherzigenswerth sagt: „Ein abge-
schlossenes Urtheil über die Neu-Impressionisten zu fällen,
ist Den Mitlebenden schwer möglich. Ihr Schicksal ist
eine Projektion des Schicksals der ganzen modernen
Malerei. Kein denkender Mensch wird sich dem klaren
Programm dieser Techniker, die nichts der Zweideutung
überlassen und handeln, verschließen. Nur bedeuten sie,
wenn ihr Axiom allgemeingültig sein soll, einen Abbruch
der Brücke, die uns mit den holdesten Erscheinungen
gerade unserer Kunst verknüpft, und führen uns in eine
Sphäre hinein, der es sicher nicht an Schönheit, wohl
aber an den gewohnten Symptomen fehlt, um ihr
Besonderes zu fassen."
Ls fehlt in der kleinen Ausstellung nicht an ein
paar bekannten, allgemein geschätzten Namen: der be-
rühmte van Nysselberghe, dessen „heiße Stunde" man
wohl als das beste Bild des Neu-Impressionismus be-
zeichnet hat, ist mit seltsam-düsteren und grell-leuchtenden
Landschaften gekommen, und sie gefallen besser als das,
was Paul Signac, der Theoretiker und Historiograph
dieser Kunstrichtung, zeigt, van Nysselberghe malt,
Signac experimentirt. Das ist der fundamentale Unter-
schied ihrer äußerlich ziemlich ähnlichen Kunst. Toulouse-
Lautrec, der gräfliche Bohemien, der Urtyp französischer
Kunstdegeneration, hat zwei Bilder beigesteuert, die
wohl in der Zeichnung, nicht in der Farbe befriedigen.
Toulouse-Lautrec ringt mir immer Mitleid ab: — ein
Mensch von ungemeinem Genie, dessen Geschmack sich
so verirren kann, an das Leben der Kokotten niederster
Sorte, an die wüsten Szenen der Absinthkneipen, an die
ausschweifenden Erlustirungen der Varietes und Tanz-
böden seine beste künstlerische Kraft zu verschwenden,
dessen heißes Bemühen einzig dahin geht, mit zynischer
Frechheit die Unflätigkeit und das Groteske des
Sexualismus zu verherrlichen! Erich Klossowski hat
einmal nicht übel bemerkt, daß über Henri Toulouse-
Lautrec's Werk die Worte stehen müßten: Busomto oZ-ui
8p6i'ÄU2g, voi oll'outi'Lto — hier ist die Hölle! — Felix
Valloton und G. Lemmen sind bei uns als Schwarz-
Weiß-Künstler und Illustratoren nicht unbekannt, sie
sind mir als Graphiker viel lieber denn als Maler,
wo ihnen die Farbe fehlt. Namentlich valloton steht
seine eigene geniale Licht- und Schattentechnik bei der
Entfaltung koloristischer Wirkungen im Wege. Tharles
Guerin liebt altväterische Vorwürfe, aber er führt sie
in seiner modernen Technik durch, und das giebt einen
leisen Mißklang und seine Arbeiten lassen uns darum
kalt. Von merkwürdig abstoßender Wirkung ist das
Mädchenbild der Madame Marval, man sieht wohl
gute malerische Partien, aber es erfaßt einen ein
tüchtiger Ekel, gerade wie auch vor der dicken, ge-
schminkten Tirze mit dem gefärbten Haar und den
 
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