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Die Kunst-Halle — 9.1904

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Nummer 12
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Knorr, E.: Ein ernstes Wort an alle Berufsgenossen
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(76

Die K n n st - H a l l e.

Nr. (2

in den ernsten Anforderungen selbstständigen Schaffens
sehr bald diejenigen abfallen, deren Begabung über-
schätzt wurde, so ist das für die Sache sicher nicht zu
bedauern. Ls wird ein persönlicher Fehler persönlich
gebüßt, es trifft den Betreffenden hart, aber es ist nur
folgerichtig.
Wenn aber von den Guten die Besseren an den
Folgen ihrer ungesunden Arbeit erkranken, weil ent-
weder die ringende Künstlerseele in einem schwachen
Körper wohnte, so ist das gewiß schon sehr viel be-
dauernswerther, oder, wenn jene Seele so überaus
sensitiv war, daß sie die unvermeidlichen heißen Kämpfe
nicht zu bestehen vermochte, weil in der ungesunden
Arbeit selbst der gesunde Körper erlag, und die Zahl
dieser Unglücklichen sich schon heute von Zahr zu Zahr
steigert, so gebietet die ernste Sorge, wohl dringend auf
Abhülfe zu denken, damit die Zahl dieser Opfer einer
großen Idee kleiner werde.
Unvermeidlicher Nervosität gehen alle entgegen,
die in Kunst arbeiten. Denn Mal- und Zeicheuarbeit
ist keine gesunde Arbeit. Der Mangel an kräftiger
Bewegung, die dauernde Verwendung nur eines
Gliedes, die hochgradige Mitarbeit aller Sinne und
der Seele, die stete Unruhe — wahrlich, das sind ge-
fährliche Arbeitsbedingungen. Meine Aufgabe kann
nicht sein, alle möglichen Nervenkrankheiten als Schreck-
gespenster hier anzuführen — ich werde mich an die
eine halten, die folgerichtig und erfahrungsgemäß dem-
jenigen Arbeiter droht, der eher geneigt ist, zu viel
als zu wenig zu arbeiten, ich meine den Berufskrampf
(Schreibkrampf), dem zahllose künstlerische Arbeiter und
Arbeiterinnen erliegen, und zwar diese letzteren noch
häufiger, weil die Frau durchschnittlich sensitiver und
körperlich schwächer ist als der Mann.
Die ersten Anfänge dieser Berufserkrankung:
Mattigkeit, Nervosität, dann unruhiger Schlaf scheinen
kaum beachtenswerth, ein fleißiger Mensch sucht das
zu überwinden und zwingt sich zur Arbeit. Fängt
dann die bsand zu zittern an, oder krümmen sich die
Finger dauernd durch die zu starke Selbstüberwindung
bei der Arbeit, so sieht das so gefährlich aus, daß der
Kranke jedenfalls schnellstens zum Arzt geht, zu seinem
Glück. Dies sind diejenigen Fälle, die Spezialisten für
Schreibkrampf in wenigen Wochen heilen, denn zur
rechten Zeit, noch im Anfang des leidens wurde bsülfe
gesucht.
Anders die dritte Art des Berufskrampfes. Matt-
heit, Nervosität, unruhiger Schlaf sind auch hier die
Anfänge, sie steigern sich ohne sichtbare Neben-
erscheinungen bis zu Nervenschmerzen, welche so leise
einsetzen, daß sie nur erst als Unbehagen empfunden
werden, aber stetig zunehmend den unruhigen Schlaf
zur Schlaflosigkeit führen. Diese Schlaflosigkeit, stete
Schmerzen und der Zwang in der Tagesarbeit erregen
langsam Fieber und eine krankhaft traurige, muthlose
Stimmung. Weil aber keine sichtbaren Beweise des
Leidens vorhanden sind, so wird das Wesen des

Kranken, trotzdem er selbst sich namenlos elend fühlt,
sehr wahrscheinlich für Launenhaftigkeit gehalten werden,
und dies verkennen wird ihn um so mehr bedrücken,
als Niemand in solcher Stimmung Gutes zu arbeiten
vermag. So wird er diese seelische Depression zu über-
winden wünschen und nach Kraftmitteln für seine
Arbeitsfähigkeit, nach Betäubung für sein bedrücktes
Gemüth suchen. Nun ist es psychologisch folgerichtig,
daß nur ein seelisch starker, fleißiger Mensch dieses
Kraftmittel in dem äußersten Aufgebot seiner Energie,
diese Betäubung in der Arbeit suchen wird, Andere
greifen zu Schlafmitteln, Alkohol oder Morphium, und
die Unglücklichen, die in dieser Zeit zu Grunde gehen,
sind mehr zu bedauern, als zu verdammen, während
ein zu gleicher Zeit in der zuerst beschriebenen weise
erkrankter Kollege längst wieder geheilt und arbeits-
fähig ist, weiß ein Zweiter nicht, was es ist, das
ihn so namenlos quält, denn seiner kqand ist nichts an-
zusehen. Das Leiden bildet und steigert sich so lang-
sam, daß selbst die Steigerung dem Kranken nicht
bewußt wird, und doch leidet er schon so schwer, daß,
wenn Alles plötzlich über ihn gekommen wäre, anstatt
allmälig, in Monaten, er unfehlbar zusammengebrochen
wäre.
Seine körperliche Schwäche treibt heiße und kalte
Schauer über ihn. Sein Arbeiten bis an die Grenze
der Möglichkeit und darüber hinaus und nächtliche
Schlaflosigkeit veranlassen stundenweises Zusammen-
brechen in traumhaften Schwächezuftänden, die dem
Schlaf ähnlich scheinen; es quälen aber die geängstigte
Seele schreckhafte, böse Träume, halb bewußtes Denken,
so daß das Erwachen doppelte Ermattung bringt.
Jetzt bildet sich im bsandteller, unter den: Ning- und
Mittelfinger, ein glühender Punkt und langsam an dieser
Stelle ein rund abgezirkelter weißer Fleck, das orste
sichtbare Zeichen nach monatelangem Kranksein. Jetzt
auch entfällt hin und wieder der arbeitenden iksand der
Pinsel, ohne daß inan davon ein Gefühl hätte, auch
werden die Gelenke der Lsand und des Armes zeit-
weilig anschwellen. Die Linir oder feinere Schrift
wird zitterig oder verwischt erscheinen, und schon darum
wird schaffendes Arbeiten, auch ohne die Möglichkeit
einer erhöhten Geistesthätigkeit, unmöglich sein.
Daß solch ein Kranker nicht in wenigen Wochen
heilbar sein kann, ist selbstverständlich, zudem werden
Körper und Nerven, die bis jetzt durch stärkste Energie
an der Arbeit geblieben, scheinbar plötzlich jede Spann-
kraft verlieren, sobald die unnatürliche Beherrschung
nachläßt, und so werden mindestens Monate vergehen,
ehe an Besserung zu denken ist; immerhin — bis hier-
her ist noch das Leiden sicher heilbar.
Nun ist es nur natürlich, daß einem solchen durch
und durch zermürbten Menschen eine seelische Erregung
verhängnißvoll werden muß. Niemand ist aber mehr
zu Erregungen geneigt, als ein hochgradig Nervöser,
der sich in Sorgen befindet, und so wird je nach dem
Temperament event. auch schon eine verhältnißmäßig
 
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