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Die Kunst-Halle — 9.1904

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Nummer 22
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Künstler über Kunst
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Nr. 22 Die Aunst-Halle. Zq.s

der Hand der bewunderten Meister leiten ließen, den
Weg zur Wahrheit und Natur nicht zu finden, der doch
nicht zu verfehlen sei, wenn man nur den Muth habe,
mit Scheuklappen gegen fremde Eindrücke vor den
Augen der eigenen werthen Nase nachzugehen.
„Nun, wie weit diese jugendlichen, sonderbaren
Schwärmer auf diese weise kommen, sehen wir heute
an allen Ecken und Enden. Nicht daß es an den
Talenten fehlte! Aber alle treten mit dem Anspruch
auf, sogleich fertige Meister zu sein, die sich nicht drein-
reden und nach überlebten Meistertheorien meistern zu
lassen brauchten, da jeder das Recht habe, die Art,
wie er die Natur anschaut und wiedergiebt, für eine
vollberechtigte, wenn nicht gar alleingültige zu halten.
Das alte einfältige Sprichwort: „Aein Meister fällt
vom Himmel" wird von dieser dreisten Aunstjugend als
altväterliche Weisheit verlacht! Und da das Feld-
geschrei: „Wahrheit! Nichts als Wahrheit!" auf allen
Gassen erschallt und der Begriff „Schönheit" für eine
akademische Verblendung erklärt wird, ist es freilich
sehr überflüssig geworden, sich um die Mittel zu be-
kümmern, durch die jene alten Meister auf ihrem „längst
überwundenen Standpunkt", das Schöne hervorzubringen,
sich bemüht haben. Ein Dichter, der auf seine Zeit
wirken will, wird ein lebhaftes Interesse haben, Alles
kennen zu lernen, was an bedeutenden poetischen
Werken vor ihm entstanden ist. Er wird sich vor allen
Dingen bemühen, die Sprache, die sein Aunstmittel ist,
gründlich zu lernen und sich nicht einsallen lassen zu
glauben, mit ihm fange die Sprache an, und nur,
wenn er sich um die Regeln der Grammatik nicht
kümmere, könne er zu den eigentlichen und richtigen
Naturlauten gelangen. Zn der bildenden Aunst aber
-soll das Alles anders sein! Da pocht ein jeder noch so
thatenlose Pfuscher auf seine Selbstherrlichkeit!
„wir müssen uns in der Technik auch stets daran
erinnern, daß wir nur ein sehr mangelhaftes Material
haben, wir können nicht Licht auf unsere Palette
spritzen, sondern eben nur Farben, und weil die
Wirkung der Farbe gegenüber der Leuchtkraft der
Natur nur eine minimale ist, so haben die Alten den
Zweck verfolgt, die Natur so zu übersetzen, daß sie
einen analogen Zauber ausübt, den nur wieder fein-
gebildete Talente sehen können." . . .

2. S. v. w. Al in gen der.
Der Verfasser und zugleich Selbstverleger eines
zweiten Buches, das uns Rezensentenpflicht zur Hand
zu nehmen zwingt, ist ein wohl nicht Allen bekannter
Maler. Soviel Gelehrtes, aus Philosophie, Geschichte
und Litteratur zusammengetragen, findet man selten in
dem litterarischen Produkt eines Aünstlers. Sonderbar
klingt schon der Titel, der übrigens aus dem Deckel
anders lautet, wie aus dem inneren Titelblatt; hier
lieft man: „Fruchtbare Gegensätze. Gedanken eines
Malers über Aunst und Aultur."I Auf dein Deckel
heißt es dagegen in Frageform: „Befruchtung oder
Zersetzung?" was der Autor eigentlich bezweckt, ist
aus dem Ganzen nicht recht verständlich, wenn auch
zu Eingang versprochen wird, dem Leser eine neue
Grundlage zur Beurtheilung der Aunst „außerhalb der
Partei-Einflüsse" zu geben. Aomplizirter und ver-
worrener als hier konnte das Räthsel gar nicht „ge-
löst" werden. Denn das umfassende Material des
Autors ist mehr durcheinandergeworfen, als wirklich
verarbeitet. Doch liest man in der überaus weit-
I Kommissionsverlag von F, A. Luttmann, Goslar 1^90-^.

schweifigeu Schrift auch Manches, was eine feine Denk-
arbeit verräth. So zum Beispiel das, was Alingender
(S. sjs ff.) über „Individualität in der Aunst" sagt
und was wir nachstehend als eine Probe dieser jeden-
falls nicht gewöhnlichen gelehrten Arbeit eines Malers
geben:
„Der Aünstler sollte stets in seiner Aunst ein guter
Gesellschafter sein, und die erste Forderung, die man
an einen solchen stellen muß, ist, daß..er nicht immer
von sich rede.
Nur Derjenige kann vom Publikum verlangen, daß
es sich bei dem Genüsse seines Aunstwerkes über sich
selbst erhebe, der bei der Schöpfung desselben in dem
Bestreben, seiner Ausgabe gerecht zu werden, ganz sich
selbst vergessen hat.
Die Individualität kann niemals ein Ziel künst-
lerischen Strebens sein, sie besteht in dem Verhältnisse
der Eigenschaften zu einander, die allen Menschen ge-
mein sind. Das verhältniß jedoch, in welchem sie zu
einander in jedem einzelnen Geschöpfe auftreten, bietet
so viele Verschiedenheiten, daß man annehmen kann,
daß keine zwei Geschöpfe sich ganz gleichen. Ls er-
giebt sich hieraus, daß jedes absichtliche Hinzuthun von
feiten eines Aünstlers dieses verhältniß verschieben
muß, und daß Derjenige, der bestrebt ist, seine In-
dividualität hervortreten zu lassen, ihr weniger treu ist,
als der, welcher sie ganz aus sich beruhen läßt. Er
wird unwahr, wie einer, der sich mit seiner Bescheiden-
heit brüsten wollte, und hat noch den Nachtheil, daß
er seine sachlichen Bestrebungen unnütz entstellt.
Im Wesen eines Menschen ist die Individualität
der gegebene Faktor. Es ist die Aufgabe der Selbst-
erziehung, wie der Erziehung überhaupt, dieselbe so zu
entwickeln, daß sie sich in den Rahmen der Allgemein-
heit zum größten Nutzen dieser, wie auch des In-
dividuums selbst, einsügt, das doch nur in diesem
Rahmen bestehen kann.
wer willkürlich seine Individualität abändert, ist
ein Urkundenfälscher, wie ein Parvenü,I der sich eine
Ahnengallerie kauft und ein altes Wappen führt; denn
die Individualität eines Jeden ist die Geschichte seiner
vorfahren, und wenn wir ihre Sprache verständen,
würde sie uns ebenso gut Aufschluß über seine Ante-
cedentien geben, wie die Linien und Gebilde einer
Tropfsteinhöhle über die Entstehung derselben be-
richten.
Während dein Maler früher die Individualität
des Dargestellten Alles war, sucht der „Moderne" durch
die Alltäglichkeit des Dargestellten die eigene In-
dividualität in den Vordergrund zu stellen.
Es ist gerade, als wollte man uns durch Ueber-
maß unseren Durst nach gesunder Individualität ver-
leiden, der eine natürliche Folge der unvermeidlichen
Schablone unseres heutigen Lngroslebens ist. wir
müssen dafür sorgen, daß der Individualismus, der
unsere Zeit beherrscht, nicht ebenso ausartet, wie die
leitenden Prinzipien früherer Epochen ausarteten, wir
müssen sein verhältniß zum Gemeinwohle besser über-
wachen, als man es bisher für nöthig hielt.
wer einer großen Sache dient, theilt sich in seinen
Bestrebungen mit Generationen; wer einer Person
dient, dient etwas vergänglichem; aber wer sich selber
dient, dient etwas verächtlichem, denn so muß man
einen Herrn bezeichnen, der nicht höher steht als sein
Diener.
Für den Geschäftsmann, der eine Richtung oder
einen Aünstler finanziren will, ist es natürlich wichtig,
daß die Eigenart stark ausgeprägt ist, damit die kost-
spielige Reklame und die Mühe, die er an den Vertrieb
 
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