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Die Kunst-Halle — 9.1904

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Nummer 17
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Wolf, Georg Jacob: Aus Venedig
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Günther, Julius: Grosse Kunstausstellung 1904
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Nr. (7

Die Kunst-Halle.

26s

begann der Zusammenbruch, die Porträts verloren alle
Innerlichkeit, sanken zu flüchtigen Virtuosenstückchen
herab und die heutige Generation venetianischer Künstler
kann getrost ihren Bankerott anmelden: was ich in der
Ausstellung an Porträts sah, das sind seelenlose, grinsende
Fratzen, unfreiwillige Karikaturen, leere Gehäuse ohne
Seele, auch ohne Geist. — Nicht viel, aber immerhin
ein wenig besser steht es um das Genrestück. Zwar
wird auch hier nicht mehr die Höhe, die etwa noch der
Rokokomaler Pietro Longhi bedeutet, erreicht, geschweige
denn übertroffen, aber es fehlt nicht an einigen aus-
geprägteren Künstlerindividualitäten, die theils mit
Geschick in die Fußstapfen der Alten treten, theils durch
genaues Studium der Natur und deren getreue Wieder-
gabe sich eigene Wege bahnen wollen.
Zu den ersteren gehört v izzotti-Alberti, der
das graziöse Venedig des Rokoko wieder aufleben lassen
möchte, der uns elegante Damen und Herren in der
zierlichen venetianischen Tracht des (8. Jahrhunderts
zeigt, aber seinen pinsel ein wenig zu stark in süßliches
Rosa und langweiliges violett taucht, auch Raffaeli
Tafuri, der mir ein stärkeres, aber zwiespältiges Talent
zu sein scheint, folgt den wegen, die die großen Alten
vorgezeichnet, aber nicht die Italiener, sondern die
Holländer. Er versucht es nicht ungeschickt, modernes
Genre — eine Kneipe, eine Sxielergesellschaft — in
Rembrandt'sches Helldunkel zu tauchen: über den
größten Theil des Bildes ist tiefe Finsterniß ausgegossen,
nur ein paar wildbewegte Gesichter, entblößte Frauen-
schultern, begierig nach Geld greifende Hände strahlen
im brutalen Glanz einer unsichtbaren Lichtquelle.
Zweifellos erreicht er so einige nicht unbedeutende
Wirkungen, aber ein Verdienst wäre das eben nur dann,
wenn die Idee des Helldunkels in Tafuri's Kopf und
nicht in dem — Rembrandt's entsprungen wäre.
Origineller ist der Künstler, wo er im Geiste und mit
der zarten Keuschheit der englischen Präraffaeliten
arbeitet, wo er Alles auflöst in zerflatternde, weiche,
weiße Stimmungen, in eine bleiche Farbensymphonie,
wie etwa in dem Frühlingsbild, das er uns hier zeigt.
Schöne roth- und schwarzhaarige Mädchen mit sehn-
süchtigen Augen tanzen einen wundersamen, traurigen
Reigen, während rings um sie die Pfirsichbäume unter
ihrer rothen Blütenlast seufzen und zu ihren Füßen
tausend fremdartige Blumen sprießen. — Man darf
nicht erwarten, daß der Italiener, der nur das Gegen-
ständliche liebt, für solch ein Bild verständniß besitzt. Er
geht an dem Werk, das zu den besten der ganzen Aus-
stellung gehört, achtlos vorbei. Sein Interesse gilt den
gleichgültigen Arbeiten von Gasparini und vianello, die
uns Szenen aus dem modernen Straßenleben Venedigs
zeigen, Frauen, die an heißen Sommertagen an irgend
einer kühlen Straßenecke sich niederlassen, spielende
Kinder, elegante Damen, die an der Niva promeniren rc.
eine Art von Kunst, die weder warm noch kalt, weder
vollkommene „Heimatkunst" noch ausgesprochener „Kitsch"
ist, die aber jeder geschmackvolle Mensch ablehnen muß.
Gedenkt man noch kurz der fleißigen und braven
Arbeiten Romolo Tessazi's und des Monogrammisten
Z- H., so bleibt, sofern man jene süßlich-faden vene-
tianischen Frauentypen mit der koketten, leicht-sinnlichen
Pose ganz aus dem Spiel lassen will, nur noch einer,
der als der bedeutendste von allen Ausstellern betrachtet
werden muß: Lostegnaro. Ich kenne den Entwicklungs-
gang dieses Künstlers nicht, aber mir möchte es so
scheinen, als sei er von Ettore Tito, den ich den Bartels
von Venedig nennen möchte, beeinflußt worden. Ieden-
.das, was er uns zeigt, von unendlicher reifer
Schönheit, vollkommen in Linie und Farbe. Seine

Studien macht er nicht daheim im dumpfigen Atelier,
sondern draußen in den sonnendurchflutheten Gassen
der Fischerinsel Thioggia. Er scheint mir der einzige
richtige Freilichtmaler unter allen Ausstellern zu sein.
Seine graziös und doch ungezwungen einherschreitenden
Gestalten sind voll Leben und Bewegung und in den
leichtgebräunten Gesichtern der Fischermädchen mit den
schwermüthig-verliebten Augen und den süßen Lippen
dämmert die geheimnißvolle Schönheit heißer Liebes-
nächte. —
Nun zum Schluß die Landschaft, jenes Gebiet, wo
die Ausstellung das Beste aufweist, wenn auch immerhin
die Arbeiten bis auf wenige Ausnahmen unter dem
Mangel aller koloristischen Reize schwer leiden. Direkt
ausschalten muß ich hier die für den billigen verkauf
berechneten Bildchen, die in Verkennung von Tanaletto's
Absichten heute su Aro8 in Venedig fabrizirt und ab-
gesetzt werden, jene „Interieurs" von Palästen, jene
Fassadenansichten, Kanalbilder rc. Das ist Photographie-
kunst, nichts weiter. Man hätte erwarten sollen, daß
die Aufnahmejury der kleinen Ausstellung diesen Lein-
wänden die gebührende Rückweisung hätte zu theil
werden lassen. Das ist keine Heimalkunst, wie man
mir etwa entgegenhalten möchte, sondern etwas —
ganz Anderes. Erfreulich ist dagegen, was uns Sartorelli
zeigt. Ein Fluß, draußen vielleicht im Paduanischen,
rings wird der Frühling wach, in der Ferne taucht ein
weißes Segel auf und im blauen Himmel schwimmen
leichte weiße Wölkchen — das ist die Stimmung bei
aller Schlichtheit des Vorwurfs, echte, wahre Frühlings-
stimmung. Auch Mitizanetti läßt in seinen Landschaften
Sonne ahnen, und wenn er sich auch in eine dunkle
Stimmung voll Trübsinn und Trauer hüllt, glaube ich
doch ein wahres, heiteres Künftlergemüth in ihm sehen
zu dürfen. Mazzetti, der uns erfreuliche Alpenland-
schaften zeigt, Nezzonico, Bortolozzi und Levi verdienen
wegen ihrer durchaus tüchtigen und nicht uninteressanten
Arbeiten wenigstens namentlich aufgeführt zu werden. —
Und das Fazit? Ich frage: warum hat es gerade
ein Deutscher, ein Deutsch-Schweizer, sein müssen, der
die Reize der italienischen Landschaft erkannte, der die
wahrhaft italienische Landschaft großen Stils uns
gab? Warum haben uns nicht Italiener, sondern zwei
Deutsche, die sich diese Kenntniß unter italienischem
Himmel holten, die Reize des nackten Menschenleibes
gezeigt? Böcklin, Feuerbach und Hans von Marses,
drei Deutsche, holten das große Erbe der alten Italiener
heim nach Deutschland. — Dem modernen Italiener,
besonders dem venetianer, fehlt bei vielem äußeren
Geschick und lebhaftem Schönheitsgefühl jegliche Ver-
innerlichung, das ist eine Stammeseigenthümlichkeit,
die sich seit der zweiten Hälfte des Linquecento immer
deutlicher nachweisen läßt. Und bevor diese Verinner-
lichung nicht gewonnen werden kann, wird man nie
ernstlich mit einer wahrhaft großen zeitgenössischen
italienischen Kunst reden können. Das Erbe ist in
andere Hände übergegangen — in die der Deutschen.
Georg Jacob Wolf (Venedig).

Dreien:
grorre Rmick-MckeNilllg 1904.
(A^Tleber Kunst-Ausstellungen in verhältnißmäßig
knappem Rahmen zu berichten, ist heutzutage,
wo man nicht nur, wie früher wohl, die ein-
zelnen Kunstwerke, die hübsch in Reihen nebeneinander-
 
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