Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst-Halle — 9.1904

DOI Heft:
Nummer 21
DOI Artikel:
Brieger, Lothar: Zur Entwicklung der russischen Malerei im 19. Jahrhundert: II. Das Profanbild
DOI Artikel:
Wolf, Georg Jacob: Münchner Jahresausstellung im Glaspalast
Zitierlink: 
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/kunst_halle1904/0377
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 2 s

Die Kunst-Halle.

322

von ihr hervorgebrachten Landschaften durch die Bank
ganz elend sind. Nur ein Einziger ragt hier hervor,
Levithan, der aber dafür sich auch zugleich würdig
neben die größten Landschaftsmaler der Moderne
stellt, neben einen Turner, Torot. Mit diesen ge-
mein hat er jenen Pantheismus der Farbe, dem die
Linie beinahe etwas Störendes ist, jene unnachahmliche,
keinem Zweiten erreichbare koloristische Glut, die den
reinsten Ausdruck einer echt lyrischen Dichterseele be-
deutet. Und wir meinen, daß eine Kunst, die ihn und
seinen genialen Zeitgenossen Apollinaris Basrazow
hervorzubringen vermochte, gewiß nicht arm zu nennen ist.
W
Mncdner MreLSUtttellimg im tzlsrprlaLt.
II.
(^H?^er vor einigen Zähren die Ausstellung im
T/ Nkünchner Glaspalast besuchte, der gelangte
bei seinen Kreuz- und Ouerfahrten wohl auch
von ungefähr in ein räumlich sehr beschränktes
Sälchen, an dessen wänden etwa zehn, zwölf Gemälde
hingen, die einem zu denken gaben, was man hier
sah, das war „die Malerei, die malt", keine, die um
irgend welcher Staatsaktion, irgend eines guten Ge-
dankens oder eines schönen Objekts willen ihre Werke
schuf, diese Malerei war um der Malerei willen da.
Die Leute, die hier ausstellten,nannten sich „die Scholle".
Der Name will besagen, daß jedes Mitglied der Gruppe
seine eigene Scholle bebauen soll, die freilich auf keiner
Landkarte zu finden ist. Und heute wissen wir, daß wir
in diesen fast sammt und sonders noch ganz jungen
Künstlern, die größten Theils aus Paul Höckers
Schule hervorgegangen sind, die Zukunft der Münchner
Kunst zu einem guten Theil verkörpert sehen. Zukunft
deswegen, weil bei einem Theil der Künstler der Wille
immer noch über die Grenzen der dargebotenen Leistungen
hinausschießt, aber man darf diesen „Zukünftigen" wohl
prophezeien, daß der Tag nimmer fern ist, wo sie er-
freuende und beglückende Gegenwart sein werden. Diese
Bemerkungen über die Scholle mögen wohl manchem
etwas zu optimistisch erscheinen, der über alle Jugend,
der ein reichliches Lob fließt, verdrießlich den Kopf
schüttelt. Aber man muß sich einmal in den drei Sälen
umsehen, die man der „Scholle" eingeräumt hat. wenn
man die etwa 30 Werke, Gel- und Temperabilder,
Aquarelle, Zeichnungen und Drucke betrachtet hat, dann
hat man einen Kunstgenuß gehabt, so gut, als wenn
man von den übrigen 72 Sälen — nun ich will sagen
drei viertel durchwandert hätte.
Ganz oberflächlich hingesehen, fällt einem zunächst
das große, ja oft monumentale Format der meisten
ausgestellten Bilder auf. Das läßt auf zweierlei schließen :
einmal auf das Dekorative, das ja meist ins Monumen
tale strebt, dann auf den kecken Muth, die Unternehmungs-
lust der Jugend, die sich nur in monumentalen vor-
würfen und in gewaltigen Dimensionen genug zu thun
glaubt. Fritz Erler, R. M. Eichler, Walter Georgi
haben Bilder in einem Format da, wie es sonst nimmer
in der Ausstellung zu finden ist, auch Leo putz, Robert
weise und Adolf Münzer streben ins Große.
Fritz Lrler ist sozusagen Regisseur der Scholle.
Als Linzelpersönlichkeit würde er vielleicht am stärksten
und präzisesten wirken. Ein Bild von ihm, das man
inmitten aller möglichen anderen Bilder aufhängen

würde, spräche am lautesten von dem eigenartigen Streben
der Scholle. Abgesehen von verschiedenen Zeichnungen
(darunter einige feine, gelungene Porträtstudien) hat er
zwei Gelgemälde da. Das eine, ein Triptychon, benannt
Sommersonnenwende, bewundern wir wegen der vor-
nehmen, fast symbolisch wirkenden und dabei doch so
menschlich rührenden Gestalt des Mittelstückes, auch das
Meer, das in violetten Fernen verdämmert, die Licht-
pünktchen weit draußen und der wundersame Nacht-
himmeldarübersprecheneindringlich vonErler's eminentem
Können. Die beiden Seitenstücke mit den grellgelben
Flammenscheinen, den wild bewegten, in Grün gehaltenen
Gestalten muß man wohl als Komplementärerscheinung
zu der gehaltenen Ruhe des Mittelstückes auffassen.
Leicht aber kann man in Versuchung kommen, diese
beiden Seitenstücke über alle Berge zu wünschen, denn
sie sind nur zu geeignet, die wunderbare, vornehme
Ruhe und Geschlossenheit zu zerreißen. Der Kenner
wird sich besonders an das andere Bild Erler's, einen
weiblichen Halbakt von vorzüglichen malerischen Quali-
täten, halten. Der Künstler nennt es „Karnevalsbildniß".
Aber das ist vielleicht nur eine Verlegenheitsauskunft
oder eine übertriebene Bescheidenheit. Das Bild sagt
viel mehr. Dieses Mädchen mit seiner herben, un-
berührten und doch schon voll erschlossenen Schönheit,
mit dem Gewinde weißer Blumen in Haar und Händen,
mit den Augen, die sehnsüchtig in unerforschte Fernen
spähen, hat mit dem buntscheckigen Karneval nichts zu
thun. Das ist kein lustiges, oberflächliches, lachendes
Spiel, sondern ein tiefes Problem, mit dessen Deutung
der Künstler den Betrachter sich abmühen läßt. Toller
bunter Fasching ist dagegen, was Münzer zeigt. Die
Münchner Maximiliansstraße, in der das tolle Masken-
treiben wogt, in der die Wagen des Torso sich drängen,
elegante Frauen mit fabelhaften Gestalten schäkern,
Tonfetti und bunte Bänder flattern. Darüber der
matte Sonnenglanz eines Februartags und die feinen
nebligen Dämpfe, die vom Fluß aufsteigen, das eine
Gestalten und Farben mit seltsam gelb-rothem Licht durch-
sättigend, das andere abdämpfend und ausgleichend.
Der Akt, den Münzer gleichfalls gebracht, kann mir
nicht gefallen. Es ist einfach das Modell, noch dazu
ein wüstes, was Münzer da heruntermalte, wenn er
uns nur zeigen wollte, daß sein malerisches«Können
stark genug ist, um jede Einzelheit der menschlichen Haut
bis zu den Poren zu rexroduziren, so ist ihm das
zweifellos gelungen. Aber wenn er uns mehr sagen
wollte, so ist es mißlungen. Da sind mir seine Zeichnungen
und Aquarelle, besonders der „Sonntag in Siebenhütten
bei Bad Kreuth" schon lieber. Hier bewährt sich nament-
lich, was Münzer in Paris gelernt hat: Grazie, Be-
wegung, Eleganz. Auch in püttner's Bildern spukt
der Karneval. Da sitzt der Künstler selber, in ein merk-
würdiges Schalksnarrengewand von bedrucktem Stoff
gekleidet, auf der Erde und läßt eine Unzahl Larven
Revue passiren. Die merkwürdig gelben, rothen, weißen,
blauen und schwarzen Fratzen mit den schwarzen Augen-
höhlen, den tiesrothen Lippen, alle diese Geschmacklosig-
keiten der Farbenzusammenstellung, haben püttner gereizt,
zu versuchen, wie weit sich so etwas künstlerisch darstellen
läßt. Er machte den versuch, Menzel's Satz „was ist,
das ist auch zeichenbar" seinerseits auf die Malerei aus-
zudehnen. Auch die kleinen Stillleben, die Interieurs,
die Architekturmalerei, der Blick über die Hausdächer
weg nach einer Kirche, müssen als Experimente der
Farbe angesehen werden. Für den Künstler hat solches
Experimentiren mehr Werth als für den Betrachter,
püttner z. B. wird daraus ersehen haben, daß ein ge-
schmackvoller Maler manchmal sogar etwas Geschmack-
 
Annotationen