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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 6.1926

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Heft 2 (Februar 1926)
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Tschorn, Richard: Wie unsere Heimat in hundert Jahren aussieht: das Ergebnis eines Wettbewerbs
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https://doi.org/10.11588/diglit.23685#0041

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Zeichnung ersichtlich. (Der Brief wurde faksimiliert
in der Weihnachtsbeilage des Stukkgarter Neuen
Tagblatts wiedergegeben.) Eine solche Ueberein-
stimmung von Aufsah und Zeichnung ist bei den
übrigen Aufsähen nur selten wieder zu finden. Wenn
wir aus diesem Ergebnis einen Schluß ziehen wollen,
so ist es der, daß der Aufsahunterrichk in
den Schulen genau so umgestalket wer-
den muß, wie das bei dem Zeichenunterrichk der Fall
ist, damit das Selbständige, Eigenschöpferische des
Kindes auch da zum Ausdruck kommt. llm übrigen
darf der modern gesinnte Zeichenlehrer zu seiner
größken Befriedigung feststellen, dah der Erfolg des
Preisausschreibens eine Bestäkigung dafür ist, daß
die Grundsähe des neuzeitlichen Zeichenunterrichts
wohlfundiert und richtig sind, dah der erzieherische
Aufbau,auf dieser Basts die besten Lrfolge zeltigk.
Es erscheint notwendig, das Ktnd aber noch viel
mehr auf den Wert originalen Schaffens hinzu-
weisen, denn viele jugendliche Zeichner, von denen
man wußte, daß sie im allgememen sehr guk und
selbständig zu arbeiken wisien, haben flch im Hinblick
auf die verlockenden -Preise verleiten lasien, fremde
Gedanken, hereinzunehmen, ohne fle zu verarbetkeN,
was natürlich sofort spürbar war, denn eine fremde,
nicht voll erkannte Zdee wird immer schwach wieder-
gegeben. ' .

Was den zweiken Gedanken bekrifft, so ist Fölgen-
des zu sagen: Fast allgemein war die Auffasiung,
daß die eigenschöpferischen Kräfte im Kinde nach-
lassen, sobald es aus der reinen bildhasten Vor-
stellungswelt herauswächst und zum begrifflichen
Denken kommk. Man hatte seither noch nie Gelegen-
heik, so viele Kinderarbeiten aus allen Altersklasien
und aus verschiedenen Gegenden des Landes unter
einem Thema zusammenzusehen. Dazu bieket nun
das Material aus dem Preiswettbewerb die beste
Gelegenheit, und dabei ist das eine bestättgk, daß dte
eigenschöpferischen Kräfte des jungen
Menschen nach obenhindurchaus nicht
begrenzt sind, vorausgeseht, daß der junge Mensch
geleikek wird und daß namentlich, was leider in der
Lernschule so übermäßig stark in Erscheinung ttak,
das Kind schon in seinem schöpferischen Wirken nichk
beengt und beyinderk wird.

Die besten Arbeiten flnd zur Zeik im Landesge -
werbemuseum in Skuttgart ausgeskellk
und zwar in genügend groher Anzahl, so daß ein ver-
gleichendes Studium möglich ist. Man stehk dort die
Arbeiten der ersten Preisträger, die der verschiede.
nen Schulen und freie Arbeiten der Kinder. Bei
einem Besuche wird man vielleichk die Beobachtung
machen, daß verschiedene Eltern — vielleichk auch
eintge Lehrer — die Enkscheidung des Preisgerichts
anzweifeln und einer zeichnerisch guken, aber rezep-
tiven Ärbeit den Vorzug geben. Darauf kam es dem
Veranstalter und dem Preisgericht garnicht an, die
kechnisch besten Arbeiten hervorzuheben, sondern jene,
in denen das Eigenschöpferische in einer
dem Alter des Kindes entsprechenden
Ausd ru ck sw eis e sp'ontan und gedan'-
kenreich wied ergegeben ist, und das dürfte
von dem Preisgerichk, das aus den Herren Professor
^vlb, Studienrat Lenz, Studienrat Schöll-
kopf, Asiessor Holl, Karl Hils, einem Mik-
glied der Schrifkleiiung des Skuttgarker Neuen Tag-

blatts und der Kindertanke des Blattes, dem „Gretle
von Sttümpfelbach", bestand, geschehen sein. Es war
leichk, aus der Gesamkheit die Besten herauszufin-
den, aber es war sehr schwer, die Äesten unter den
Euten auszuwählen. Da abet die Direktion des
Stuttgarker Neuen Tagblatts aus Freude über den
schönen Erfolg die Zahl der Prelse auf 200 erhöhte
und außerdem noch den beteiligten Schulklaffen Ge-
samkpreise übermikkelke, die übrigens den Zweck
hatten, den Kunst- und Zeichenunterrichk zu beleben
und die Lehrer in der Förderung des kindlichen
Formsinns usw. zu unkerstützen, so konnken fast alle
Kinder, die mit Rechk auf einen Preis hoffen durf-
ken, befriedigt werden. '

Die privaten Einsendungen stnd in der Ausstellung
nach Stoffgebieken geordnet, um das Beschauen der
vielen Zeichnungen zu erleichtern und um anzuregen.
Die Kleinen aus den nnkersten Grunüschulklasien
sind zwar noch unker dem Merkwort „S 0 zeichnen
unsere Iün g s t e n" Msantmengefaßl, aber die
Arbeilen der Neun- bis Vierzehnjährigen findet
man unter den Themen ,WolkenKratzeri",
„Wi e sich das Kind das Verkehrs-
lebeninlOOIahrenvorstellt!" und „W a s
esnoch zu erfind e n g i b tt!". Solche stosflichen
Gliederungen haben immer den besonderen Wert,-
daß sie eine Ausstellung beleben und das Allgemein-
inkereffe erwecken, insbesondere das der Fachseuke.
Bei den privaten Einsendungen merkk man schon den
Forkschritt, der durch den neuzeitlkchen unterricht
erzielt worden ist.

3n stärkerem Maße ist das aber der Fall, wo es
sich uM die Arbeitsleistungen der einzelnen Schulen
handelke. Man konnke aus räumlichen Gründen
natürlich nicht die Arbeiken der 46 Schutklasien aus-
stellen, die stch aM Wetkbewerb beteiligk hatten; es
handelte flch vtelmehr darum, einige charakkeristische
Proben zu geben, die " ein Durchschnittsbild der
Klaffenarbeiten geben. sim einzelnen näher darauf
einzugehen, ist hier nicht möglich. Es wird Sache der
Lehrer sein, vergleichend -en Werk der Einzelnen
Erztchungsarbeit abzuschätzen und zu beurteilen, ob
einer besonderen Pflege des rhychmischen Gefühls,
des Form- und Farbstnnes oder — insbesondere
wenn es flch um Kinder -er Oberklasien handelk —
der klaren Wiedergabe von Vorstellungen und Be.
griffen der Vorzug gegeben werden soll:

Daß die Ausstellung schr lebhastes Interesse finden
wird, daran dürste nicht zu zweifeln sein. Sie war
kaum geöffnek, da fand fle schon einen Zuspruch, wie
man ihn kaum erwarket hatte. Das eine aber darf
erhofst werden, daß die Ausstellung dazu beittagen
möge, gewisie Vorurteile, die immer noch gegen den
neuzeitlichen Werk- und Zeichenunterrichk bestchen,.
zerstreuk werden, und daß in wetten Kreisen die Er-
kennknis Platz greifen möge, daß es in der Zeik des
Tiesstandes notwendig ist, wenn die heranwachsende
Iugend zu eigener Gedankenarbeik, zu sechständlger
Leistung und zu unbekümmerler, schaffensfroher und
sponkaner TStigkeik erzogen wird. Das zusammen-
gebrochene Dakerland oraucht kn erster Linie selbst-
schöpferische Menschen, die sich ihrer Krafi und ihrer
Fähigkeiten voll bewußk sind.

Richard Tschorn.
 
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