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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 6.1926

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Heft 2 (Februar 1926)
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Segmiller, Ludwig: Von der künstlerischen Erziehung des Kindes
DOI Artikel:
Tschorn, Richard: Wie unsere Heimat in hundert Jahren aussieht: das Ergebnis eines Wettbewerbs
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https://doi.org/10.11588/diglit.23685#0040

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34

ihre Auswirkung mangelt in noch gröherem Matze
bei all denen, die sich durch die Kunst beschenken
und bereichern lassen.

Nun wird man fragen: Wann sollen denn die
Kinder das Richtigzeichnen, Malen und Modellieren
lernen? Oder sollen sie es überhaupt nicht lernen?

Es ist keine Frage, daß es auf vielen Gebieten
der angewandken Knnst heuke noch notwendig ist, ein
gewisses Maß von Richtigzeichnenkönnen zu besitzen.
Man darf aber nicht vergessen, daß unsere kunsk-
gewerbliche Erzeugung, ja auch die internakionale in
Amerika, Frankreich, Holland, der Tschecho-Slowakei,
schon längsk dazu übergegangen ist, das sogenannke
Enkwerfen möglichst zu vermeiden und direkt aus
dem Material arbeiten zu lassen. Wo es sich also
um sogenannte zeichnerische oder körperhafte Richkig-
keit handelt, kommen zumeist die reproduktiven Kräfke
in Frage, die wir aber vielfach schon durch die viel
genauere Arbeik von chemischen Verfahren und Re-
produkkionsmaschinen aller Ark ersehen.

Unser Skandpunkt, daß das Vorstellungsbild und
die soforkige Amsehung in das Material das Wich-
tige ist, wird heuke von den meisten führenden Per-
sönlichkeiten gekeilk.

Es ist aber eine alte Erfahrungskatsache, daß der-
jenige, der ganz von einer Werkidee dürchdrungen
ist, sich auch so viel Werkzetchnung zu schaffen in
der Lage ist, als er für Klärung, Verwirklichung und
Erklärung dieser Ree notwendig brauchk.

Aus unserem Beobachtungsmakerial, das ohne Be-
einfluflung seitens der Erziehenden entstanden ist,
ergibk sich ohne weikeres, wie sehr die Ausdrucks-
fähigkeit der Darstellungsmitkel ohne eigentlichen
Zeichnungsunkerrichk (in der früheren Ärt) vom
künstlerischen Standpunkt aus emporgewachsen ist.
Turmhoch ragk sie über das hinaus, was jemals durch
das sogenannke Nurrlchtigzeichnen erreichk werden
kann und erreicht worden ist. Aus ihm gehk sogar
vielmehr hervor, daß dann, wenn die verstandes-
mäßige Wirklichkeitszeichnung, veranlaßt durch den
übrigen, rein auf das Zntellektuelle eingestellten Un-

kerricht Raum gewinnt, das Lebendige und Schöpfe-
rische allmählich erdrückt wird, ausgenommen bei
ganz starken Talenten.

Unser Standpunkt den Naturskudien gegenüber
braucht hier nur gestretft zu werden. Wir sehen in ihnen
lediglich eine Unterstützung für die Berwirklichung
des Vorstellungsbildes, zumal in ihren expressiven
Werken. Also nichk die Richkigkeitsdarstellung, z. B.
genaues Berhälknis zwischen Gröhe und Breike oder
etwa bei einem Baum die Ueberschneidungslinien
eines Astes zum Stamm, oder eine nakurfarbige
Miedergabe erscheink uns wichtiH, sondern lediglich
das Organische im Naturaufbau und das Hängende,
Aufstrebende, sich Drehende, Zusammenballende, das
Disharmonische oder Harmonische oder die Umsehung
der gesehenen Farbe in Empfindungsfarben und an-
deres.

Alle diese Erschelnungen dürfen aber nur in einer
Weise dargeboken werden, die Aufmerksamkeit er-
regt und Ablenkung des Eindrucks vermeidet: nicht
etwa so, daß die Empfindungen des Lehrers über-
kragen werden. Das hereiks schöpfejcische Empfinden
des Schülers hak zu wählen, so daß ihm die Annahme
oder Ablehnung gewährleistek bleibk.

Fatzt man das Ergebnis unserer neuen Unker-
suchungen zusammen, so wird als erste Notwendig-
keit erscheinen, daß die EÜern und Erzieher, wenn
sie auf die Lösung und Erhalkung schöpferisch ge-
staltender Kräfte in der Kindesseele Merk legen, das
Kind von Anfang an in all den 1n dieses Gebiek ein-
schlagenden Regungen genau beobachken. Es muß
damik gebrochen werden, Kinder allen möglichen Ein-
flüffen von außen her zu überankworten. Die zweike
Pflichk lst, Offenbarungen des Empfindungslebens in
Hinsicht auf. Darstellung so zu fördern, däß jede
Uebertragung persönlicher Anschauungen ausgeschal-
kek bleibk und ein Weg geöffnek wird, auf dem dle
Sichkbarmachung des Borstellungsbildes möglichst
rasch erfolgen kann.

Nur auf diesem Wege ist es möglich, den Gestal-
tungsdrang und dke Schöpferfreude im klndltchen
Künstler zu wecken und zur Äuslösung zu bringen.

Wie unsere tzeimat in hundert Iahren aussteht

Das Ergebnis eines Weltbewerbs. ^>2 '

Um die Weihnachtszeit hatke das Skuktgarter
Neue Tagblatk für die schulpflichkige Zugend
einen Wektbewerb veranstaltet. Es war gefordert
worden, zu dem Thema „Wi e sieht unsere
Heimak in hundert Aahren aus" einen
Aufsah und eine Zeichnung zu liefern. Der Erfolg
war ein ganz außerordenklicher, denn es liegen rund
zweitausend Aufsätze und achtkausend Zeichnungen
aus Grundschulen, Bolksschulen und höheren Äil-
dungsanstalken des ganzen Landes und Ärbeiken vor,
die privak eingereicht wurden. Dieser Erfolg ist
aber nichk allein ein zahlenmäßiger, sondern auch
ein ideeller, und gerade in dieser Beziehung erfor-
dert er das besondere Interefle der PSdagogen. Die-
ses ideelle Ergebnis läßk sich in zwei recht bedeutsame
Sätze zusammenfaflen: ^

1. Die Mortsprache des Kindes stehk
in keinem Bergleich zur Bildsprache.

2. Die eigenschöpferischenKräfteim
Klndesindzeiklichnichtbegrenzk, wenn
sie nicht durchdie Erziehungerstickk
werden.

3n der Tat, die Btldgestaltüugen des Kindes, gleich-
viel ob es 7 oder 14 Iahre alt ist, sind ünglaublich
viel frischer, spontaner und gedankenreicher als die
schriftlichen Aeußerungen. Zwar kann man von
einem jüngeren Kinde dle Beherrschung der
Worksprache nicht verlangen, aber dennoch kann man
bei unbeeinflußter Arbeik auch dä das Eigenschöpfe.
rische herausspüren, mehü jedenfalls als in den
oberen Klaflen. So firoht z. B. ein Brtef aus
Unkerschwandorf, von einem Sechsjährigen mehr ge-
malt als geschrieben. zwar von orkhographischen und
grammatikalischen Fehlern, ober bei alledem ist ein
starker Rhykhmus, eine lebendlge Borstellung «nd
eine völlige Uebereinstimmung zwischen Aufsatz und
 
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