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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 6.1926

DOI Heft:
Heft 10 (Okotber 1926)
DOI Artikel:
Hofstaetter, Walther: Zeichenunterricht und Kunstbetrachtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.23685#0229

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204

Zeichenunterricht und Kunstbetrachtunc6^

Von Wallhe

Dölkers Ausführungen bedeuken eine erfreuliche
Klarskellung und Abgrenzung. Das isk um so mehr
zu begrühen, als von anderer Seite die Grenzen
verschoben und das gegenseitige Verständnis er-
schwerk wird.

3n einer Reihe von Aufsähen haben wir uns mit
der Kunskbekrachtung beschäftigt. Dabei haben wir
als selbstverständlich vorausgeseht, dah an dieser
Kunstbetrachkung die Lehrer der Deukschkundlichen
Fächer enkscheidend beteiligt sind. 3ch habe aber
betonk, daß auch der Zeichenunterricht immer mehr
die Kunstbetrachtung ins Auge faht, „so datz er ein
werkvoller Bundesgenosse der Deutschkundlichen Fä-
cher wird". Dieser Standpunkt unserer Zeitschrifk
hat einen Aufsah in der Zeitschrift „Kunft und Iu-
gend" veranlaht, der entschieden den Deukschlehrern
das Rechk auf Kunstbetrachkung abstreitet, und es
allein für die Zeichenlehrer in Anspruch nimmt:
P. Schubert, Kunstunterricht im Bildhaften Gestal-
ten und Kunstbetrachtung. (Kunst und stugend, ö.
Zahrgang, Heft III.) Es kann nicht unsere Auf-
gabe sein, die schiefen Arteile des Berfassers über
die Philologen zurechkzurücken, ich sehe auch keine
Nokwendigkeit in einen Kampf für eine besondere
Kunstbetrachtungsstunde einzutreten, wenn aber die
Zeichenlehrer eine solche fordern und ste allein für
sich beanspruchen, dann müssen doch die Dinge in
das rechke Licht gerückt werden.

Zunächst täuscht sich der Berfasser, wenn er melnk,
wir Philologen sehen Kunskbekrachtung gleich Kunst-
geschichte. Wir weisen ständig Kunskgeschichte, die
Zmmer zu eiener gewiffen Bollständigkeit drängt, ab. .
Auch die preuhischen Richtlinien laffen deutlich er-
kennen, daß es nicht auf zusammenhängende Kunst-
geschichte ankommk, sondern darauf, eine Zeit der
deukschen Geistesgeschichte auch vom Standpunkt der
Kunst aus verständlich zu machen und die Einheik
des schöpferischen Bolksgeistes lebendig fühlen zu
laffen. Es gilt also eine Reihe bezeichnender Kunst-
werke vorzuführen und aus ihnen den Geist der
bekreffenden Zeik herauszuarbeiten. Die Arbeik ist
also nicht die eines Kunstgelehrken, wie Schubert
meint, und darum bestehk die von ihm gefürchtete
Gefahr der „Dergrämung" nichk. Zuständig für diese
Arbeik ist derjenige, der in das Gesamkwollen und
Schaffen einer Zeit einführen kann und die Ver-
^ bindungslinien zur gesamken Kultur ziehk. Ist die
Kunstbekrachkung des Zeichenlehrers hierzu geeignet?

Zunächst legke Schuberk dar, daß die Kunstbekrach-
kung des Zeichenlehrers auf das Erfaffen der for-
malen Gestaltung und der persönlichen Ausdrucks-
weise ausgehen muh, damit ein neuer Kunstwtlle
in der Iugend geschaffen wird, Kunstbekrachkung sei
zur Tak anspornend, nlchk mik Wissen füllend. ümmer
wieder bekonk er, daß alles, was bei solcher Kunst-
bekrachtung in erster Linie seelisch, in zweiker Linie
intellektuell gewonnen werde, dem produktiven

* Nachstehende Ausführungen erschienen in der .Zeitschriit
fnr Deutschkunde" 1S2S, H-st 8. Unser Amtsgenvsse Augu« DSl.
ker veröffentlichte im selben tzeft unter dem Litel: »SestchtSstnn
und Gestaltungskraft" einen vortrefflichen Aufsatz, auf den stch
der erste Satz der Ausführungen des Herrn Prof. Hofftaetter
bezieht.

Aofstaetter

Kunstwillen dienstbar gemachk werden müffe, wozu
auch.das Znteresse an dem Ringen um die Kunst
unserer Zeit zu rechnen sei. Freilich sei es nokwen-
dig, beim „Auswerten eines Kunstwerks und seiner
Nutzbarmachung für die Befruchkung eines akkiven
Kunskwillens" auch einmal in .die Zeikperiode seiner
Enkstehung hineinzuleuchten oder einer Künstlerper-
sönlichkeik nachzugehen. Die Aufgabe, eine Zeit
aus einem Kunstwerk zu erklären, siehk Schubert
gar nichk. Er fühlk wohl, daß dazu etwas anderes
gehört als das Studium der Kunstgeschichte allein,
wie es ja der Zeichenlehrer hat. Aber er hilfk flch
darüber hinweg, indem er erklärt, die stugend gehe
mit dem produktiven Menschen und denke nicht
daran, ihm etwaige Mängel auf Wiffen an Grenz-
gebieten nachzurechnen. „Das Bewußtsein, nicht
alles das zu wiffen, was ein Geschichks-, Deuksch
oder Religionslehrer weiß, braucht keinen Zeichen-
lehrer abzuhalken, Kunstbetrachtung zu pflegen. Auch
dann nichk, wenn ihm nicht die Worte vor einem
Kunstwerk in fein geschliffeiien Sätzen von. den Lip-
pen fliehen. Es ist eine Eigenart vieler Künstler-
nakuren, daß sie mit Stift und Pinsel beffer reden
können, als mit dem Munde." ,

Aus dem allen ergibk sich klar, daß Schuberk für
ein Enkwickeln des Zeitgeistes aus elnem Kunstwerk
gar kein Berständnis hat. Doch erkeunk er an, daß
die kulkurkundlichen Fächer das Kunstwerk mehr in
seiner geschichtlichen und inhalklichen Bedingtheit
verständlich machen, der Zeichenlehrer mehr die
Schüler anleiket, flch in die formale Gestaltung des
Kunstwerks und die persönliche Aysdruckswelse zu
vertkefen. llnd nun erklärk er, das Kunstgeschlcht-
liche sei also Sache der Phtlologen, die eigenkliche
Kunstbekrachtung aber sei die Herausarbeikung des
Künstlerischen und darum die Aufgabe des Zeichen-
lehrers. Das Kunstgeschichtliche aber KSme in den
Kulturfächern genügend zu seinem Rechk, dagegen
fehle es im Zeichenunterrichk am Raum für die
Kunstbekrachkung. So zeigt es stch ganz klar, daß es
sich um weiter nichts handelt, als um einen Streik
um Worke. Schuberk will den Zeichenunterrlchk um
eine weikere Skunde vermehrt wiffen, um den schöp-
ferischen Willen der Schüler durch Beschäftigung mik
großen Borhildern anzuregen. Das, was män aber
für gewöhnlich jehk mik Kunstbekrachtung bezekchnek,
gehk auf eln geschichkliches Erfaffen aus. 2m all-
gemeinen wird man stch damik begnügen müffen,
diese Kunstbekrachkung im Aahmen der kullurkund-
lichen Fächer einzoordnen. Mo sich die Möglichkeit
zu Arbeiksgemeinschasten gibt, wird man diefe
Kunflbetrachkung in die Hand des kulkurgeschichklich
gebildelen Lehrers legen mÜffen. Daß der Zeichen-
lehrer im Durchschnikk diese Aufgabe' nichk lSsen
kann, ergeben Schuberks Ausführüngen schlagend.
sBezeichnend, daß Schuberk unwillkürlich stch lmmer
auf die Malerei einsteük, wo bleibk die Baukunst.
wenn das Ziel ununkerbrochen das Wecken schöpfe-
rischen Wlllens sein soll?) Ebenso aber mag man
sich Arbeitsgemeinschasten denken, wo stch der Zel-
chenlehrer mik großen Werken der Bergangenheik
beschäskigk, wenn das nichk überhaupk ein selbstver-
 
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