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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 6.1926

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Heft 7 (Juli 1926)
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Über Feste und Feiern an der Dürer-Schule
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https://doi.org/10.11588/diglit.23685#0146

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Rber Feste und Feiern an der Dürer-Schule

Was wäre aber alle Kunskerziehung ohne Lebens-
kunst? Wie dürften wir von Schulreform als Lebens-
reform reden, wenn es uns nicht dann und wann
gelungen wäre, die Schulstube zum Weiheork, eine
Änterrichtsstunde zur Feierstunde, einen Alltag zum
Festtag zu erheben? eich glaube behaupten zu dürfen,
darin hat die junge Dürerschule nichts versäumk. Da
verging kein Geburtstag eines Schülers ohne Ge-
denken der Kameraden — und wenn es nur ein
selbstgearbeitetes Kärtchen war; da verging keine
Schulfeier ohne Kerzenschein und Blumenzier, ohne
Znstrumentalmusik und Gesang; da ward so manche
Stunde plötzlich zur Weihefeier. — Andachtsvolle
Sttlle trat an die Stelle frtsch-fröhlichen Kinderlärms,
und Ehrfurcht und Ohnmacht beschlich uns — sei es
beim Nacherleben von Kunstwerken in Literatur,
Musik, Bildbetrachtung — sei es beim Erleben von
starken Natureindrücken auf Wanderungen und in
Naturkunde — sei es beim Nachempfinden von
Schicksalen der Menschen und Bölker in Geschichte
und Lebenskunde. llnsere Aufsahbücher gestalten
wir zu Zeugen kindlicher Schmuckkunst, unsere Schul-
zimmer zu "farbenfrohen Wohnräumen, unsere Schule
zu einer Stätte freudigen Schaffens — und unser
Heim gar erst oben in Gohrisch zu einem Schmuck-
kästchen voll Llcht und Sonne und fröhlicher Arbeit
und Erholung unserer Buben und Mädels?1
War das ein Zubel, als die blaubemützte Schar von
Königstein singend und jubelnd hinaufzog, jede Klasse
stolz hinter ihrem buntgeklebten Schild her, das uns
eine Uebecraschung ankündigte: „Hoch lebe unser
Kochtopf." — „Sanitäter" — „Nürnberger 2nnung"
usw. Wer die lustigen Klnderspiele gesehen hat, ver-
gitzt sie nicht gleich wieder: wie das bunte KLchenvolk
kam und den gespendeten grotzen Kochtopf mit aller-
hand Gemüse füllte; wie der urkomische Dr. Eisen-
bart mit seinen knochenbrecherischen Gehilfen erschien
und seine Kunst gar rasch dem neuen Beroandskaflen
weichen mußte; wie die Nürnberger Gesellen ihr
Sprüchlein ansagten und das Bildnis ihres allver-
ehrten Meisters Albrecht Dürer, unseres Patronats-
herren, brachten, dazu Kittel und Schürzen zurück-
liehen; wie die Dresdner Dürerschule und die
Goyrifcher Dorfjugend in wechselseittgem Gespräch
das Heimprogramm enkwickelten; wie dle Vertreter
aller Sportarten mit chrem großen Ball erschienen,
und wie schließlich die Kleinsten die Hausglocke
brachten, ihre Lntstehung, die Tages-, Iahres- und
Festzeiten des llahres darstellend, die sie künden soll,
vvm Bergmann bis zum Christkindchen — alles dies
ln selbsterdachten Bersen und Liedchen, in eigen er-
fundenen Kostümen und Bewegungen, das war
lebendigste kindliche Schöpfung. -And
noch kam das Allerschönste: echte Kinderkunst gestal-
teie wieder zum Höhepunkk des Festes den Fackel-
zug durch hunderte von farbensprühenden Laternen.
Wer könnte sagen, welche von all den herrllchen
Märchenbildern und Farbenspielen am besten ge-
schnitten und am schönsten hinterklebt waren? Der
dritte Fackelzug war es nun schon, und immer war
die dahinziehende Lichtschlange das ergreifendste Er-
lebnis an unseren Sommerfesten? Oder war's das
ln die lautlose Nacht verhallende Schluhlied: Abend
wird es wieder-?

I,Auch Traditionen jchaffen ist künstlerisches Ge-
stalten? Eine so junge Gemeinschaft wie die unsrige
hat Gelegenheit dazu.^lKein Weihnachtsfest vergeyt
ohne Krippenspiel —-fei es derbe Volkskunst aus
einem erzgebirgischen Dorfe — sei es die alte Weise
elner süddeutschen Stadt. Alle Zahre erleben wir es
aufs neue mit ganzem Herzen: Zmmer wleder sind es
dieselben krauten Gestalten — doch jeder vchüler er-
faßt sie anders, immer wieder die gleichen bunten
Stoffe und Tücher — doch stets erschaffen wir mittels
Nadeln und Kreppapier daraus neus reiche Königs-
mäntel oder ärmliche Hüllen, immer wieder erscheinen
den frierenden Hirten lichttragende Engel in weißem
Glanze und jedesmal schweben und knien sie anders
ums wunderbare Kind. Wir aber schauen stets aufs
neue voll Spannung die uralten Weihnachtsbilder,
ecgriffen von so viel Schlichtheit, Größe und Reinheit
kinülichen Empfindens. — Und zuvlor schon die
Freude bei der Borbereitung! Wie es da allent-
halben weihnachtlich singt und klingt und jeder Raum
fich festlich schmückt — wie jeden Tag ein Lichtlein
mehr auf dem Tannenkranz brennt, wie ste dichten,
malen und kleben und nähen, bis alle Gedichte ge-
lernt, Gesänge gekonnt, Plakate gehängt, Etnladungs-
karten gedruckt und das bunt leuchtende Weihnachts-
fenster (die Bilder der Weihnachtsgeschichte usw.
aus schwarzem Karton ausgeschnitten und fardig
hinterklebt) wie ein richtiges Kirchenfenster zur
Feierstunde bei 24 Lichtlein strahlt.
s Zweier Festspiele muh noch gedacht werden,
icheren jeües aus der Unkerrichtsarbeit elner Klaffe
erwuchs und auf kurze Zelt in den Mittelpunkt der
gesamten Schulgemeinde trat und deren Aufführung
schliehlich das Augenmerk weiter Kreise auf üie
höhere Bersuchsschule hinlenkte: „Das Ritterspiel"
unü „Die Biene Maja".

Mit ihnen trat unfere Schule erstmalig an dle
Oeffentlichkeit ünd zelgte, wie iN der Zusammen-
arbeit der „FScher" ein Stoffgebiet erarbeitet, frei-
schöpfertsch gestaltet und zu innerst erlebt werden
kann, uNd was Kinder im Alter von 10—12 stahren
unter verständnisvoller Führung zu leisten vermögen.

Beim Rttterspiel wurde eine längst ver-
schollene Epoche deutscher Geschichte zu neuem Leben
erweckt. Ein Stück vergangener Kultur haben die
Schüler mit dem Geiste und allen Sinnen erfaßt, mik
allen Mitteln sprachlichen, bildnerischen und must-
kalischen Ausdrucks dargestellt, im festlichen Spiele
erlebt und auch die Eltern, Bekannken nrck Freunde
der Schule mlt daran teilhaben laflenI^Mit ganz
besonderem Eifer halten unsere QuarkMler im Eom-
mer 1924 die Geschichten nuo Begebenheiten aus der
Aitterzeit vernommen, hatten in alten Historien ge-
forscht und tn mittelalterlichen Berichken, Urkunden
und Gedtchten gelesen. waren mit den Sitten und
Gepflogenheiten vertraut geworden und hatten Auf-
sStze verfaßt, Erzählungen und DichtUngen ersonnen.
Auf Wanderungen zu verfallenen Burgen der Hei-
mat und bet Besichtigung üer Aüstkammer im 2o-
hanneum, aus Abbildungen, alten Stichen, und Schll-
derungen hatten ste ein umfaffendes Bild jener Zeik
gewonNen, so daß fie imstande waren, aus all den
schrifüichen und mSNdlichen Aeußerungen in gemein-
jchaftlicher Arbeit etwas Einheitliches, Dramattsches
 
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