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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 6.1926

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Heft 5 (Mai 1926)
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Herrmann, Carl: Zu den künstlerischen Erziehungsfragen der Gegenwart
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Gericke, Gustav: Märkische Kachelkunst einst und jetzt
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https://doi.org/10.11588/diglit.23685#0108

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98

hin unsere moderne Kunsterziehungsrichtung eigenk-
lich hinstrebt. Menn in einigen Aufsähen von Kunst
und 3ugend noch darauf hingewiesen wird, daß man
die gelegentliche Heranziehung der Natur, soweik es
die schöpferischen Kunstprodukte erfordern und zulas-
sen, nicht auher achk lassen will — hier sowie bei
manchen andern Vertrekern der Kunstrichkung findel
man nur strikte Ablehnung jedes Aaturstudiums
so ist ein völliges Aufgehen in der radikalen Auf-
fassung wohl möglich.

Unverständlich erscheint es mir freilich, wie Hohl-
beck-Schwerin im März-Heft ds. Hs. unter Hinweis
auf Goethe eine Shnliche Stellungnahme ergreift.
Wenn er wie Goethe das Sehen mik den Augen des
Geistes statt des Leibes verlangt, dann hak er das
wahre Wesen des sogenannten Expressionismus, den
er vertritt, nicht erkannk. Dann kennt er auch nicht
die Bestrebungen der Zeichenlehrer, — die schon seit
Iahren ihren Ilnterricht verinnerlicht, mit den alken
Lehrplänen gebrochen, sie meist überhaupt nichk be-
solgt haben. Ein geistloses Studium von Form und
Farbe, ein passives Berhalten der Nakur gegenüber,
wie es sich in den Auswüchsen des Impressionismus
zeigte, ist wohl kaum in den Schulen zur Auswirkung
aekommen. Noch weniger ist die große Menge des
Bolkes davon berührt worden, die sich jenen Erzeug-
nissen gegenüber im allgemeinen auch ablehnend ver-
halten hat. „Abfall des Menschen vom Geiste" würde
sich, wie er meink, dann wohl nur auf die wenigen
beziehen, die in dieser Kunstrichtung befangen waren.

Der Mangel unserer Erziehung und damit auch
der Mangel des künstlerischen Gefühlslebens bestand
gerade in der abstrakten Lehrweise, ln der Außerachk-
lassung klarer sinnlicher Borstellungen. Zch befürchte,
daß dieser Mangel sich auch in den krassen Aus-
wüchsen der modernen Kunstrichtung bemerkhar macht.
Ein aktives Sehen bedeutet aber nach Goethe nicht
Loslösen von der Natur, sondern tiefes und inniges
Sichhineinversenken. So sagt er in „Wilhelm Mei-
sters Lehrjahren":

„Die Menschen glauben, die Organe, ein Kunst-
werk zu genießen, bildeken sich eben von selbst
aus, wie die Zunge und der Gaumen, man urteile
über ein Kunstwerk wie über eine Speise. Sie be-
greifen nicht, was für einer Kultur es bedarf, um sich
zum wahren Kunstgenutz zu erheben."

Daher mehr Sinnlichkeit in die Schule im wahrsten
und edelsten Sinne. Das Mort von der schöpferischen
Gestalkungskraft kann erst Leben und Gehalt bekom-
men, wenn der natürliche, allein giltige Erziehungs-
weg beschritten wird, der unserm heukschen Bolke bis
zu dieser Kulturhöhe verholfen hak. Er Kann uns
nicht herausreißen aus der Natur, die wir ja selber
sind, sondern er muß uns mehr denn je mit thr ver-
knüpfen: dann offenbark sie sich ltns ln ihrer »n-
erforschlichen, nie versiegenden Fülle, in ihrer Meis,
heit, Stärke und Schönheit.!

Glaubt einer, ein Menschenkind könnte aus seinem
linnern heraus auch nur etwas gestalten, wenn man
ihm Licht und Sonne nähme, wenn man ihm seine
mannigfaltige bunte Umwelt ausschaltete, — wenn
der Bögel Sang sein Ohr nicht berührke, der Mutter
Lied es nicht in Schlaf wiegke, wenn ihre Liebe es
nicht sorgsam umhegte, wenn es Schmerz llnd Freude,
Hunger und Durst niemals empfände! Alle selne
Regungen, sein Fühlen und Händeln flnd nlchts wei-
ter als ein Weiterklingen der urewlgen, heiligen
Melodie alles Lebens. Daran mützten wlr denken
und die künstlerische Erziehung in diesem Sinne auf-
bauen. Aber wenn wir nur auf den kindlichen Ein-
drücken ällein die fchöpferische Gestaltungskraft er-
starken lassen, die ersteren aber nicht verkiefen, dann
bricht der Bau zusammen, den wir so flcher auf-
geführt glaubken.

Nichk Rhythmus und Linie, nicht Farben, und For.
menklänge wollen wir erstreben, sondern warmeS,
pulsierendes Leben, das aus den reichen Quellen von
Natur und Konst uns zufließt zu weikerem Ausbau
und immer neuer Gestalkung.

Märkische Kachelkunst einst und jetzt

Bortraa. gehalten auf der Tagung der Bereinigung Brandenburgischer Museen zu Landsberg a. W. am
16. Mai 1925 von Gustav Gericke, Belten (Mark).

Außer diesen 55 Kächelwarenfabriken fln- noch
rund 30 kunstkeramische Groß- und Kleinbekriebe
und Töpfereien an den verschledensten Orten der
Mark vorhanden. Diese Zahlen beweisen, welchen
1imf«M und welche Wichkigkeik die Feinkeramik tn:
der Mark hat. 2hr grötzter Zwetg tst Lte Kachel-
fabrlkation; deren Fabriken umfassen der Zohl nach
mehr als eln Achtel der gesamken 400 Kachelfabrtken
in ganz Deutschland. Hieraus ergibt fich dte Be-
deukung der märktschen keramischen ZndUstrie, die
seit 50 3ahren ihren Haupkfltz in Belten «nd den
umliegenden Orten Marwitz, Behlefanz und Ora-
nienburg hak.

Das Entstehen und die Entwicklung der märkischen
Kachelkunfi relcht weit ins Mitkelalter zurück und
wurde früher in einer vlel größeren Änzahl von
Orten als heukzukage betrieben, besonders avch 1n
Berlln, Potsdam, Frankfurt usw., wo im vorlgen
Zahrhundert noch eine Anzahl von Kachelofenfahriken

Die KachÄ- und Töpferkunst ist in unserer Mark
Brandenburg seit den ältesten Zeiten eine boden-
ständige Handwerkskunst, die noch heuke nicht nur
in handwerklichen Kleinbekrieben, sondern auch in
den letzten beiden Zahrhunderten in größeren 5n-
dustrieanlagen gepflegk wird. Hierfür haben sich ein-
zelne Mitkelpunkke an den Orten gebildet, an. denen
flch geeigneke Tonlager fanden. Es bestehen gegen-
wärkig nach dem „Adreßbuch der Keramischen Zndu-
strie 1925" in unserer Provinz Brandenburg 55 Ofen-
und Kachelwarenfabriken, nämlich in Arnswalde 1,
Beeskow 1, Karlshorsk 1, Eharlotkenburg 1, Berlin 2,
Eberswalde 1, Finsterwalde 3, Forst 1, Freien-
walde 1, Fürstenwalde 3, Giesenbrügge 1, Guben 1,
Herzfelde 1, Kalkberge (Mark) 1, Landsberg a. M. 1,
Marwih b. Belten 1, Neudamm 1, Neudöbern 1,
Oranienburg 1, Perleberg 2, Rathenow 2, Soldin 1,
Sommerfeld 1, Strasburg 1, Bchlefanz b. Belten 2,
Belken 19 (1900: 37), Bietz 1, Wriezen 1 und Zossen 1.
 
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