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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 6.1926

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Heft 8 (August 1926)
DOI Artikel:
Schäffer, Peter: Fragen der Kunsterziehung
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Adler, Friedrich: Dynamisches Zeichnen
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https://doi.org/10.11588/diglit.23685#0181

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162

man hier und da mal zu weik geht, dah man statt in
die Tiefe in die Breite geht, will ich wohl glauben.
Auch weiß ich, daß der Expressionismus. wenn er
äußerlich aufgefaßk wird, leicht hierzu
verleitek. Das alles führt selbstverstSndlich zu einem
inhaltlosen Aesthekizismus. Es ist das eine ihrer
Wirkung nach ähnliche Verwirrung, wie wir sie
beim absolut naturalistisch gerichteten Zeichenunter-
richke auch erlebken sden ich in meiner Polemib aus-
schließlich vor mir sah): denn dieser war im Grunde
genommen gar nicht so eng mit der Nakur als dem
grohen kosmischen Erleben verbunden, als es den
Anschein hak. Der absolute Naturalismus hakte sicl'
auf intellekkuellem Wege von der Nakur entfernt, so
paradox das klingen mag. Der neuere Kunskunter-
richt weih sich davor zu bewahren, ins andere Extrem
zu geraten.

Zch bin übrigens nicht der Meinung, die kindlichen
Arbeiten als künstlerisch anzusprechen. Das Ist eine
Ileberschähung, die nur im Zeitalter des Kindes
einigermaßen verständlich isk. Ganz abgesehen davon,
dah ein Kunstwerk andere Boraussetzungen und an-
dere Bedeutung hat, ist es noch gar nicht erwiesen,
ob nicht doch etn psychogenekisches Geseh
existiert, welches das Kind veranlaßt, zwangs-
läufig sich in der bekannten Art zu
äußern. Damit wäre es bewiesen, wie verfehlt es

ist, vom „künstlerischen" Kinde zu sprechen. Diese
objekkiv nicht begründeke Ueberschähung würde einen
schädlichen Dünkel im Kinde und einen Dilekkantis-
mus großziehen, den wir gerade überwunden zu
haben glaubten*. Die Taksache, daß wir die Beran-
lagung des Kindes, phantasiemäßig gestalten zu
können, durch den Unterricht planmäßig enkwickeln
können, bleibt durch diese Feststellung natürlich un-
berührt.

3ch möchke zusammenfassend wiederholen, daß nach
meiner Ueberzeugung die Erlebnisfähigkeit dem
Kunstwerk gegenüber nur dann geweckt und geför-
dert werden kann, wenn wir im Kunstunterrichk auf
das Elementarste zurückgehen und je nach der seeli-
schen Struktur und dem Grade des kindlichen Mach-
sens unsere Anforderungen stellen. Damit wird jede
einseitige Einstellung auf eine bestimmte Aichtung
vermieden und der Weg freigemacht, jedes Kunst-
werk, welcher Arl es sei, mik offener Seele und allen
Sinnen erleben zu können. Und dann wird auch
das heranwachsende Geschlecht von selbst und ohne
Zwang in die jeweils herrschende Kunst hineinwachsen
und selbständig hier die Oualitäken scheiden können.
Wenn wir das erreicht haben, haben wir einen
ewigen Quell lebenspendender Kräfke erschlossen, und
um die Zukunft brauchk uns nicht bange zu sein.

Dynamisches Zeichnen

Gedanken über eine Neugefialkung des Zeichenunkerrichts in Deukfchland.

Bon Friedrich A d ler, Lehrer an der staatlichen Kunstgewerbeschule in HamburgL

Was ich im folgenden sage, sind eigenklich Dinge,
die dem wahrhafken Künskler, dem absolut Begabken,
selbstverständlich lind. Alle großen Bildner,
angefangen oeim Eiszeikmenschen, ha-
ben dynamisch gezeichnet, gemalt, ge-
schnitzt, und alle wahrhafk lebendige
Kunst ist nur als dynamische Entäuhe-
rung von Eindrücken und Träumen
denkbar. Wenn Zola meinte, als er den Zm-
pressionismus charakterisierte, Kunst sei ein Skück
Natur, gesehen durch ein Temperament, so möchte
ich das erweitern und sagen: wahrhafte Kunst ist die
Umformung von Welt und Welkgeschehen in ein
Geiskiges, in ein Gleichnis auf dynamischem Wege,
denn unsere innere Dynamis ist für alles Geistige
der Molor, ebenso wie die Naturkräfte in der stoff-
lichen Welk die Treibenden find. llm selben Maße
als die Welt Goktes und alles, was darinnen ist und
lebk von seiner Kraft und aus seiner Krast und als
solche körperlich erscheint, muß der Künstler, der
geiskig Schaffende, befähigt sein, diese stoffliche Krafk
in sich, einem Transformakor vergleichbar, umzufor-
men, um sie als ein Bergelstigtes neu zu gebären.
Haben wir diese Fähigkeit immer so enkwickelt, daß
sie fruchkbar werden konnke? Dem werdenden Mu-
siker scheink die Ilebung der Tonfolgen zu den Selbst-
verständlichkeiten zu gehören: der Dichker muß in
Gottes Namen auch mal lesen und schreiben gelernt
haben, er muß Schrift- und Klangzeichen beherrschen.
Nur der bildende Künstler fängk gleich beim Merk an.

lADieser Aufsatz, der schon einmal aedruckt erschien, enthält
einige sruchtbare Sedanken um dererwillen wir schon etwas Kri-
ttk ertragen können. Die «christlettung.

Man muß sich immer wundern, mik welcher Harm-
losigkeik junge Menschen irgendeinen Naturgegen-
stand nachzubilden sich unkerfangen, und es ist ganz
klar, daß solchem Tun der Erfolg versagk bleibk. Die
Besten von uns hatten als Schüler keine schöne Em-
pfindung, wenn fle sich das Resultak solchen Be-
mühens ansahen. Was war denn geschehen? Man
sah vor einem Naturobjekk, hatte fich redlich bemübt,
alles in Berhältniffen, Tönen und auch wohl in leid-
lich guker Technik auf die Fläche zu brlngen. Man
hatte doch diese Dinge auch in Museen und Aus-
stellungen gesehen, und die Zeitschristen zeigen all-
monakltch Neues. Nun lief man schon einige Semester
lang hinter der Ratur her und glaubke sie endlich
zu haben, da enkwich sie wieder, gleich einer Luft-
spiegelung in derWüste.Manhätte eben nlcht hinter
der Natur, sondern neben ihr herlanfen müffen, nicht
als Knecht, sondern als Herr, nichk ln Abhängiakeik,
sondern als ein durch Erkenntnis Geklärter. Ilno, wo
war denn der Führer? Ach, der war noch weiter
htnten, er hatte das Aennen nach bestandenem
Examen bereits aufgegeben, er hatte seine Skellung
und seine Technik, er wußte, wie man das macht,
und die Nakur war ja doch nichk zu übertreffen. Er
war eben kein Führer, und seine Erkennknisse waren
nicht erschürft, sondern nur allzuleichk erworben. Er
mußke wiffen, üaß Auge und Hand mir Werkzeuge
sind für Aufnahme und Abgabe, und er durste nicht
übersehen, daß das Aufgenommene im Körper, in der
Seele und in der Empftndung transformierk werden
mutz. Er hatte jenen ersten köstlichen Augenblick ver-

* Diesen AuSsührongen deS Derfassers möchte ich nnr be-
dingt beipflichten. D. «christleitung.
 
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