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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 6.1926

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Heft 3 (März 1926)
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Gahlbeck, Rudolf: Nochmals: Der Expressionismus: Entgegnung auf die kritische Studie (von F. H. L. Hartmann-Bremerhaven)
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Sommer, P. K.: Zu den "Ansichten eines Unmodernen", [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.23685#0069

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62

die Büsken großer Männer: wer wollte aus dem
schwammigen Antlih Beethovens das Musikrgenie
herauslesen, wer aus Napoleons Totenmaske den
unersäktlich Ehrgeizigen usw.?" Zunächst: dah von
lebenden Persönlichkeiten ungleich stärkere und
unmittelbarere Wirkungen ausgehen als von einer
Büste, die ja schon Arbeitsleistung eines andern
ist (!), oder gar von einer Totenmaske, der Maske
eines Kopfes, dem das Wichtigste, der in ihm pul-
sierende Geist, bereits fehlt, bedarf keines Beweises.
Man sieht, wie verfehlt dieser Schluß des Berfassers
ist. Aber selbst den Büsten und Masken enkströmt
noch ein solches „Fluidum", datz es durchaus keiner
„Selbstsuggestion" bedarf, um das „Genie" zu spüren.
Dies gilt natürlich nur für den, der Augen hat, zu
sehen. Darauf kommk es an! Wenn dem Berfasser
indessen an der Beethoven-Büste das „Schwammige",
also etwas an der äuhersken Peripherie Liegendes,
erwähnenswert scheink, dann fehlt ihm offenbar ein
wichkiges Organ. das für den Schaffenden allerdings
von grötzker Bedeutung, um nicht zu sagen, Boraus-
setzung ist. Sage mir, was du siehsk, und
ich will dir sagen, wer du bisk!

Hier liegk auch einer der eingangs erwähnten
Widersprüche. Einmal gibt der Verfasser zu, „das
feine Nervensystem der Künstler hakte ihn (den Zeit-
geist) seherisch längst erfatzt." Das andere
mal leugnet er seherisches Erfassen. Der Zmpressio-
nismus, die Kunst des Triumphzeitalkers der Maschine
über den Menschen, hak ja gerade diese Quelle, das
seherische Erfassen, verschüttet. Sie in ihrer unend-
lichen Bielgestalkigkeit neu aufsprudeln zu lassen, ist
Ziel des Expressionismus. „Kann wohl der Mensch",
fragt Schiller, „dazu bestimmk sein, über irgend einen
Zweck sich selbst zu verfäumen?" Um den Menschen
aber gehk es und um die Kunst nur insoweit, ais sie
eine Aeußerung des Menschen darskellt, ein Be-
kenntnis.

Gewollte Kunst? Za! Aber „ein grohes Wollen
isk niit reiner Leidenschafk am Werk", wie Bahr sagk.
Epigonen gibt es überall. Dte sind nicht zu ver-
meiden, ebensowenig aber können tie uns irre
machen. Bildthemen wie „Aufschrei", „Erlösung"
usw., die der Berfasser anführt, verdienen wohl eine
andere Würdigung, als die, welche ihnen der Ber-
fasser angedeihen lätzt. Ob ein Liebermann jemals

etwas von jener Ergriffenheit gejpürt hat, die aus
diesen (ich sage beileibe nicht „allen") Bildern spricht?
Berzerrt, jawohl, wild, verrenkt, aber aus innerem
Reichtum! Abstohend? Für den impressionistisch
Befangenen, was nach dem oben Gesagten nicht an-
ders zu erwarten ist, doch nicht für den, der mit den
Augen des Geistes, d. h. im Sinne des Expressionis-
mus, sieht. Es kommk — das kann nicht oft genug
bekont werden — eben auf die Art des Sehens an.

Und nun höre man: „M an hat keinen Ge-
nuß d a be i. Bleibt eben nur der Drang des
Malers, sich in Taten seiner Borstellungen zu ent-
ledigen, und das ist immer nur Kunst für
den Künstler!" Za, Herr Berfasser, welche
andere Bekätigungsart von Kunst kennen Sie denn
sonst noch? Dieser Borgang gilt doch selbst für
den nakuralistischsken Naturalisten! Nur, daß fich
die zeikgenössische Kunst graduell in höchstem Maße
von ihm unterscheidet, bezüglich der Herrschaft näm-
lich, die sie dem akkiven Sehen einräumk. Man
kommt in Bersuchung, anzunehmen, dah Sie neben
dem obenerwähnken Drang noch etwa den fordern.
an die Menschen zu denken, die das Werk „genietzen"
sollen. Meinen Sie im Ernst, ein Rembrandt, Beet-
hoven oder Goethe hätte neben dem Drang, sich in
Taten seiner Vorstellungen zu entledigen, noch wei-
tere Aegungen gehabt? Gleichsam mit einem Auge
nach der Genutzmöglichkeit für den Empfangenden
geschielt? Diese grundlegende Frage erledigk sich von
selbst. — Auf die Abart der Expressionisten, die
Okkultes malen, näher einzugehen, würde diesmal
zu weit führen. siedenfalls lst sie nicht nüt jener
leicht ironisierenden Geste abzutun, die dem Ber-
faffer angezeigk erscheint. —

Zusammenfassend: Die Kennzeichen überzeugender
Malerelen unserer Zeik liegen nach unserer Ansichl
nichk nur in den vom Berfasser angeführken Symp-
tomen, die er ausgangs erwähnt, Merkmale, die
vielleicht für den Laien nlchk unwesentlich sein mögen,
als vielmehr in der vernehmlichen Sprache wahrhafk
schöpferischer Phankasie, einer Leistung des
akkiven Sehens.

„Phankasie ist der Nakur viel näher als Sinnlich-
keik, diese ist i n der Nakur, jene schwebk über ihr.
Phankasie ist der Räkur gewachsen, Sinnlickkeik wird
von ihr beherrschk." (Goekhe.)

Zu den „Ansichten eines Anmodernen"

P. K. Sommer, Gandersheim a. H.

Es gehörk grohe Selbstüberwindung dazu, einem
Gegner gegenüberzutreten, der den Erörterungskon
beliebk wie Schäffer-Uelzen. Aber im Zntereffe der
Sache tu ichs, zumal die zahlreichen, mir zustimmenden
und zur Erwiderung drängenden Anschriften zeigen,
daß eine grohe Gruppe erfahrener Zeichenlehrer hin-
ter mir steht. Sie zeigen auch, ,dah das Work „un-
modern" falsch gewählt war. ^ Wir haben also zwei
Arten von Modernen, nänilich die, welche das
Nakur studium obenan stellen und durch ihre Per -
sönlichkeit die schlummernden Keime zur Ent-
faltung bringen, indem sie Einflutz gewinnen. Die
zweite Gruppe betont mehr die künstlerische, ästheti-
sche Erziehung, lehnt das bewußte Naturstudium mehr
oder weniger ab und lähk ohne Einflußdie
Keime sich enkwickeln. Die erste Gruppe erzieht

praktische Staaksbürger, die Gründli ch ke i k
kennen lernken: die aber nicht bloß Berständes-
menschen sind, sondern bei denen die.Seele glei-
chermaßenauf ihre Aechnung kommk. Sie lernken
mit dem Herzen die Natur, Hre Aelmät, chre
Umgebung, ihr Bakerland sehen und lieben. Sehende,
Schaffende und Genutzfähige bildek die erste Gruppe.
Sehunterricht steht bei ihr obenan, etwä im
Sinne Schulze-Naumburgs. Sehen, aber auch wirk-
liches, richkiges Sehen mit dem teiblichen Aüge
und Sehen, Fühlen mit dem Herzen. Die zweite
Gruppe erzieht Künstler, Aestheten, die in Farben,
Tönen und Bersen leben, stch groß vorkommen, ln-
kolerant infolgedeffen gegen Andersdenkende werden.
Den Aussprachekon dieser Art zeigk Schäffer-Uelzen.
Bewahre der Himmel uns Zeichenlehrer der ersten
 
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