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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 6.1926

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Heft 7 (Juli 1926)
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Kramrisch, Stella: Grundzüge der Indischen Kunst
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Zu unserer Kunstbeilage
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https://doi.org/10.11588/diglit.23685#0157

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Grundzüge der Indischen Kunst

Don Sk. Kramrisch
<Avalun-Verlag in Hellerau bei Dresden.)

Das ausgezeichnete Werk versuchi die Wesenszüge
jndischer Kunst, um deren Berständnis wir uns heute
mehr öenn je bemühen, aufzuzeigen. Zwei Iahrtausende
sprechen zu uns aus den vorhandenen Denkmälern.
Don der Zeit vor dem Alexanderzug, durch den 3n-
dien von der Ausstrahlung griechischer Kunst berührt
und in die erscheinungsgemätze Darstellung hineingc-
zogen wurde, ist offenbar nichts mehr vorhanden. Aie
wundervollen Abbildungen des WerkeS. auf 48 Tafeln
in schöner Größe tadellos wiedergegeben, sollen die
Weite indischen Schaffens abstecken, seine Tiefen
erfühlen lassen. Sie geben eine gute Vorstellung von
dem märchenhafken Phantasiereichtum, von der Er-
findungs- und Äusdruckskraft indischer Kunst, wobei
wir uns freilich immer zu vergegenwärtigen haben,
wie diese uns manchmal so bizarr anmutenden Plasti-
ken und Architekturen in dem lebendigen Zusammen-
hang mit der indischen Natur: unter dem tiefblauen
Himmel, bestrahlt von der indischen Sonne, inmitten
der üppigen, tropischen Natur, wirken müssen. Es ist
für uns Abendländer natürlich unendlich schwer, wenn
nicht unmöglich, uns ohne Weiteres in diese Bilder-
welt einzuleben. Deshalb begrüßen wir den ein-
führenden Text, der uns manches erschließk, was dle
Abbildungen uns zunächst noch schuldig bleiben, doch
nicht platt verskandesmäßig gehalten ist, sondern den
geheimnisvollen internalionalen Untergrund indischer
Kunst ahnen läßt. Mir erfahren, dah die Inder in
ihrer Kunst den beiden Polen Außenwelt und Innen-
welt gleich nahe sind. Darum ist jedes Götterbild
ebenso Sehform, sinnliche Wahrnehmung wie Aus-
druck von Vorstellung und Gestaltung der unerschöpf-
lichen Kunstgesehe, bleibt also vom bloßen Naturalis-
mus ebensoweit entfernt wie von rein geometrischer
Abstraktion und gegenstandslosem Expressionismus.

Ein indischer Dichter sagt:

„Zwischen den Polen des Bewußten und Unbe-
wuhten hat der Sinn eine Schaukel gebaut. Daran
hängen alle Wesen und alle Welten, die Schaukel
endet nie ihren Schwung. Millionen Wesen sind
dork. Millionen 2ahre verZehen und die Schaukel
schwingt fork. All-Schaukel! Himmel und Erde, Luft
und Wasser. Und Gott selbst wird Form."

Realismus im westlichen Sinne isk der indischen
Kunsk also fremd. Sie hat kein sachliches llnteresse
an den Gegenständen der Natur. Sie kümmert sich
auch nicht um die Ordnung der Dinge im Wahrneh-
mungsraum und deren Umsetzung ins Bild. Deshalb
zeigen die Neliefe und Malereien wohl Naumgefühl
aber niemals eine „richttge" Perspektive,. nie Raum-
illusion. Wie herrlich fügen sich die Miniaturen den
Gesetzen der Flächenfüllung als Bildteppiche ein!
Doch finden wir nirgends mehr eine reine Darstel-
lungsweise „aus dem Missen", die natürlich auch in
der indischen Kunst die ursprüngliche Darstellungs-
weise war. Kramrisch sagt: Die indische Kunst fließt
immer ungebrochen aus der Borstellungseinheik, die
in „schöpferischer Bekätigung des Lebens Mensch und
Tier und Pflanze und dte Unendlichkeit umscyließt."
Ihre Stoffe holk sie aus den uralten Mythen und
Legenden, und „baut den Ursinn mykhischen Ge-
schehens ins Gleichgewicht anschaulicher Berhältnisse
und Bilder."

Soweik der Text, der sichtlich von einem in die
Geheimnisse indischen Fühlens und Denkens Einge-
weihke" stammt. Die Bilder zeigen Reliefe, Rund-
plasttken, Wandmalereien und Miniaturen und
Architekturen. Es ist eine überreiche, stnnlich schwüle
Zauber- und Märchenwelk, die voll geheimniSvoller
Symbole ihre eigene Sprache redek und neben der
Kunst des Abend- und Morgenlandes ausgeprägte
Eigenart besitzt. Das auch in der Ausstaktung präch-
tige Buch kann wärmstens empfohlen werden.

Zu unserer Kunstbeilage M

,

H. v. Marses als Zeichner. Texkprobe aus dem
in Hefk 5 besprochenen Werk: Adolf Schinnerer,
Aktzeichnungen aus fünf Zahrhunderken. (R. Piper
u. Co., München.) Bergl. dazu die beiden Tafeln:
„Obsternte" und „Sich reckendes Mädchen", die wir
mit freundl. Genehmigung des Berlages wieder-
geben.

In den Zeichnungen Maröes erscheint der Wille,
der alle unsere Zeichnungen mehr oder weniger
charakterisiert, wunderbar erhalten, der Wille, den
Körper von unken auf und von innen nach außen
architektonisch, organisch aufzubauen. Ein Körper von
höchster Realität und doch nicht wie in früherer Zeit,
für sich allein bestehend, iondern eingebauk in die
Natur als ein Stück von iyr.

Man muh staunen, wieviel erhalken geblieben ist,
auch von den Hilfsmitteln der Darstellung, die die
Alten ausgebildet haben. Bei dem tragenden 3üng-
ling z. B. die Darstellung des Beckenkammes, untere
Brustkorblinie, Absetzen der Kniegelenke, das Ei des


Kopfes mit den Führungslinien, die hundertmal bei
Dürer und Rembrandk vorkommen. Bei dem Sitzen-
den der in den Oberschenkel geschobene Unkerschenkel
mik der räumlichen Grenzlinie.

Freilich stnd auch manche Blükenttäume nicht ge-
reift.Bor der „Sichreckenden" darf män nicht an das
„Große Glück" von Dürer denken. Aber kann man
den Maler verantworklich machen, wenn in einer
kleinen und engen Zeit das Große schwer gelingen
will?

Bedeuken diese späken Arbeiken Nachblüke oder
Erneuerung? Die Beankwörtung dieser Frage hängk
von der Ueberlegung ab, öb und wie weit unser
Kulturkreis an jene Formen der alken Meister ge-
bunden ist,die wir zu chqrakreristeren versuchten.Unsere
Zeit hat viellälkige Bersuche gemächk, fle abzubauen.
Zunächst in oer Weise, dah man die Oberfläche der
Dinge in der Natur für das allein Darstellbare er-
klärte. Für den bildenden Künstler erschöpft sich
hier das Wesen der Naiur mit der Erscheinung. Dlese
 
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