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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 6.1926

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Heft 2 (Februar 1926)
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Kolb, Gustav: Ist der Unterricht im bildhaften Gestalten Kunstunterricht oder wissenschaftlicher Unterricht?
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https://doi.org/10.11588/diglit.23685#0037

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Ist der Anterricht im bildhasten
Gestalten Kunstunterricht oder wissenschaftlicher Anterricht?

-z„ denAusfübruvaen de^LMsgenossen, Sommer.

4 und 10. 1925). Schäffer <Lef9W.,KlniLe

„Ksctiliekende Bemerkunaen. Ohne Zweifel berühren
biese Ausführungen das Kernproblem, um das iin
gegenwärtigen Zeichen-- und Kunstunterricht gerungen
wird. Sie sind nur aus der Geschichte des Zeichen-
unterrichts und der Mnstwandlung der letzten Zahr-
rehnte zu erklären. 'Die deutsche Zeichenlehrerschaft
ist heute bestrebt, den Zrüheren technischen Zeichen-
unterricht, der den Hauptnachdruck auf das erkennt-
nismäßige Darstellen der Naturbatsachen legte, zu
einem vollwertigen Kunstunterricht auszugestalten.
Das bedeutet nichts mehr und nichts weniger als, die
Lntwicklung der schöpferischen Kräfte in den Dorder-
grund zu stellen, die früher — welcher ehrliche
Zeichenlehrer wollte das bestreiten? — fast unbeachtet
blieben. Die Gestaltungskräfte im Sinne des künst-
lerischen bildhasken Gestaltens entwickelk man nicht
durch bewußles, erkenntnismähiges Naturstudium
ldarüber sollten wir uns nicht mehr streiten), sondern
durch Gestaltungsübungen, die die innere Welk des
jungen Menschen, seine Gefühls- und Phantasiewelt,
in Bewegung bringen, die ihn befähigen, Form-,
Farb- und Lichterlebnisse mit den „gotkgegebenen
künstlerischen Mitkeln", wie Prof. Hölzel sich aus-
drückt, zu gestalten. Deshalb legk der neue llnter-
richt, soweit er Kunstunterrichk sein will, den Nach-
druck auf das intuikive, phantasiemätzige Gepalten,
nicht auf das Naturstudium. Er unterschätzk aber das
Naturstudium durchaus nicht, es ist ihm nur nicht
Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck: und er pflegt
es in anderer Weise, eben um dem Schüler Form-,
Farb- und Lichkerlebnisle zu vermitteln. Ich glaube,
soweit sind alle, die sich mit dem Wesen der Kunst
tiefer befatzk haben — und das därf und mutz man doch
von allen Zeichenlehrern annetzmen — und denen es
ernst ist, ihre Erkenntnisse und Erfahrungen wieder

preutz. Denkschrist und Lehrplan) wird kommen, ob
ihn Linzelne wollen oder nicht. Er wird getragen
sein vom Gesamtkräfiestrom unserer Zeit und wir
Zeichenlehrer wären pflichtvergessen, wenn wir ihn
nicht mit allen Kräften in die Wege leiken würden.

Diesem Kunskunierricht kann nun aber das be-
wutzte erkenntnismätzige Naturstudium, das auf un-
bedingke sachliche Nichtigkeit lossteuern mutz, nicht
organisch einverleiht werden. 2m Gegenteil, es
bildet hier einen störenden Fremdkörper.

Somit fliegt es über Bord?!

Vom Standpunkk des Kunstunterrichks aus kann
es über Bord fliegen, nicht aber vom Standpunkt
der Schule und der Menschenbildung aus. 2ch be-
haupke, es gehört auch zur Persönlichkeiksbildung,
dah der junge Mensch während seiner Reifezeit zu
den sehbaren und tastbaren objektiven Werken der
Außenwelt Stellung nimMk und sich die Fähigkeit
ihrer sachlich richtigen Darstellung erwirbt. Die
große Errungenschaft der ersten Phase der Künsk-
erzichungsbewegung und üer Zeichenunterrichtsreform
war es, diese Erkennknis ins Llcht gestellt und im
Schulunterricht verwirklicht zu hahen (siehe die da.
maligen Reformlehrpläne). Man gab sich damalS

allerdings der Täuschung hin, daß ein auf sachliche
Richtigkeit eingestellter Zeichenunkerricht zugleich
auch unmittelbar kunsterzieherisch sei. (Dieser 2rr-
tum war in der Blükezeit des 2mpressionismus be-
greiflich.)

Das Problem, das hier vorliegt, muß gelösk werden.
Es könnte mm das auch von uns als dringend
notwendig erachtete sachliche Naturstudium dem
Zeichen- und Kunstunkerricht abgenommen und eines-
teils ekwa dem naturwissenschafilichen (z. B. struk-
tives Naturzeichnen), andernkeils dem makhematischen
Unkerricht (z. B. Perspekkive) zugewiesen werden.
Eine solche Lösung wäre in der Tat denkbar. Ob
sie wünschenswert ist, soll hier nichk erörkert werden.
Manche Zeichenlehrer wünschen sie zunächst offenbar
nur, um mehr Zeit für den Kunstunterricht zu ge-
winnen. Mit diesen Fächern könnte sich auch das
sachliche bildhafte^Darstellen (wozU nicht alleln Zeich-
nen gehörk) organisch verbinden.

Diese Lösung wird aber vorerst nicht kommen, Des-
halb erachke ich es näch wie vor als unsere Pflicht,
unsere 2ugend imRahMen unserer Lehraufgabe auch
mit dem bewußten, erkennknlsmLhigen Auffaflen und
Darstellen verkrauk zu machen. Nur dürfen wir die
im Grunde einander feindlichen Elemente: Kunst-
unterricht und wiflenschaftliches Darstellen, nkcht mit-
einander vermengen. Der Schüler muß vielmehr, je
älker er wird, umso klarer. erkennen, daß es sich
hier um ganz verschteüene Dinge handelt, damik er
nicht in den 2rrkum versällt, in dem heute fast aüe
Erwachsenen befangen find, eine wirklichkektstreue
Naturstudie sei schon elne Kunstleistung.

Nach meiner Ersahrung ist das im Anterricht auch
möglich. Nur muß fich der Lehrer erst selbst einmal
völlig klar sein über diese grundlegenden Dinge.

Fassen wir das Gesagte nochmals zusammen: Der
Anterricht im bildhaften Gestalten ist zunächst und
vor allem Kunstunterricht. Diese Aufgabe kann kein
andereS Fach der Schule und kein anderer Lehrer
als der künstlerisch vorgebildeke Zeichenlehrer lösen.
2hm liegt aber noch die Nebenaufgabe ob, die 2ugend
zum erkenntnismäßigen, sachtich richtigen Darstellen
der Außenwelt anzuleiten. Menn das durch Etn-
fügen von Zwlschenaufgaben in der richtigen Art
und Weise und zur rechten Zeit geschieht, so wird
man den gewünschten Erfolg haben. Itnsere Schüler
werden dann in dem auf „Richtigkeit" eingestellten
Nakurzeichnen njcht weniger leisten als früher. Na-
mentlich darf man das sachliche Raturstudium nicht
zu frühe eintreken laffen, sondern erst von der Zeit
ab, in der der junge Mensch die Fähigkeit zum an-
schaulichen und begrifflichen Denken und zum Ob-
jektivieren seiner Umwelt erlaugk. Das beachkeke
man früher nichk, man zwang das Kind schon Im
ersten und zweiken Zeichenjahr zur Erlernung der
Zeichengrammakik und zerstörte so frühzeitlg seine
angeborene Ausdruckslust und Gestalkungskrast.

2ch glaube, auf diese Gefichkspunkte, die nur das
Wesenkliche bekreffen, könnten alle Amksgenoflen
sich einigen. Es eriparke uns unfruchtbare KLmpfe
und wir könnten alle Kräfie zusammenfassen zu der
R i e s e n aufg ab e, die vor uns lietzt, zu dem
Ausbau des Kunstunlerrichks.

. G..Kolb.
 
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