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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 6.1926

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Heft 8 (August 1926)
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Adler, Friedrich: Dynamisches Zeichnen
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Von der Casseler Tagung
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https://doi.org/10.11588/diglit.23685#0183

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164

Kultur, z. B. der Asiaten, datz deren Schrift und
Zeichnung ein und denselben Duktus haben und, um
ganz weit zurückzugehen, verweise ich auf die fabel-
haften Zeichnungen des Eiszeitmenschen; Schilderun-
gen, die in Ermangelung des geschriebenen Wortes
uns von seinem Leben und von den Tieren erzählen,
grohartiger und lapidarer, als Worte es je ver-
möchten.

Diese Fähigkelt des „Sichmitteilens" zu entwickeln,
wäre die Aufgabe des Zeichenlehrers gewesen, und es
gibt ab und zu, aber ganz >elten, einen Zeichenlehrer,
öer diesen Weg wieder mit Erfolg beschreitet. Ich
versage eS mir, auf den Plan der Zeichenlehreraus-
bildung näher einzugehen, aber ich habe noch nie ein-
sehen können, warum man z. B. diese Menschen
semsterlang Stilleben malen läht, warum man sie
überhaupt so ähnlich arbeiten lätzt wie die Maler,
als ob der Zeichenlehrer lernen mützte, aus allen
Menschen Maler zu machen.

Wie soll nun der Zeichenlehrer aussehen, wie wir
ihn ersehnen? Er mutz zunächst einmal Mensch und
Lrzieher jein, und er mutz im Gegensatz zu seinem
späteren Kollegen von der anderen Fakultät, den er
ergänzen soll, ganz sinnlich und begrifflich denken und
fühlen können. Er mutz völlig beherrscht sein von
einer umfassenden Liebe zur Umwelt, und er mutz aus
dieser Liebe heraus dazu getrieben sein, anderen und
jungen Alen>chen davon mitzuteilen. Er mutz von
allen Dingen und u m alle Dinge wissen, nicht wie sie
aussehen allein, sondern warum sie s o aussehen und
nicht andersi er mutz Sinn und Symbol in allen
Dingen und Erscheinungen erkennen, damit ihm
Sinn und Erscheinung von Linie und Form nicht zur
Floskel werden. Es fehlt in Deutschland und Oester-
reich nicht an Bersuchen und man hat längst erkannt,
datz das Kind von der Melt seine Borstellung hat und
sie demgemätz darstellt, und zwar kindlich-romanlisch.
Und überall da, wo man dieser kindlichen Weltan-
schauung Rechnung trug und nur herauszuholen nicht
aber einzupumpen bestrebt war, war der Erfolg er-
freulich. Das geht bis zum zehnten und zwölften
Lebensjahr. Was dann? Die Erkenntnisse des jungen
Menschen fangen an klarer zu werden, der übrige
Lehrstoff ist von Aomantik oft sehr weit entfernt,
es handelt sick um klare bestimmte Forderungen. Die
Welt des Zwölf- bis Vierzehnjährlgen sieht anders
aus, er spielt nicht mehr Hochbahn, und der Klap-
perstorch hat sich für ihn allmählich in ein „Wirbel-
tier" verwandelt. Solch ein Zwölfjähriger will den
Dingen auf den Grund gehen, und wenn er ein nor-
maler Mensch ist, ohne künstlerischen Ehrgeiz, so ver-
lange man von ihm nichk Bildchen, sondern ohne jede

Künstelei hingeschriebene knappe zeichnerische Dar-
stellungen von Dingen, die chn angehen. Man zeige
ihm die typischen Linien und Formen eines Objekts,
man sage ihm,' das ist rund, das eckig und das ge-
streckt; nimm ein Stück Kohle, empfinde damit rund,
eckig oder gerade, und aus diesem elementaren dyna-
mischen Empfinden heraus gestalte das Ding oder er-
kläre es mit den notwendigsten Umrissen. Er wird
dann bald dahinter kommen, datz es kaum mehr
Strich- und Linienmöglichkeiten gibt, als Buchstaben
oder Töne und datz es nur auf die Differenzierung
ankommt. Zunächst aber mutz erlernt werden, Striche
zu machen, wie etwa ein Geiger nicht darum herum-
kommt, Töne und Tonfolgen zu üben. Das Primäre
des Zeichnens wäre also eine Art dynamischer Gra-
phik, eine Tätigkeit, ganz verwandt der rhythmischen
Gymnastik, eine Angelegenheit des Körpers sowohl,
als der Seele. Durch sie sind alle zeichnerischen Aus-
drucksmittel in verhältnimätzig kurzer Zeit und ohne
Qual zu erwerben, und auch der Mensch ohne Phan-
tasie wird ebensogut reproduktiv zeichnen lernen, als
der nicht absolut musikalische Mensch ein Instrument
reproduktiv spielen lernt. Die dynamische Graphik er-
bringt zugleich den klarsten Beweis dafür, datz Zeich-
nen weder eine Augenangelegenheit no>ch eine Finger-
fertigkeit allein ift. Wäre sie erst an den Schulen be-
kannt und durchgeführt, dann trennten sich bald die
Schöpfer von den Machern, die Artisten von den
Künstlern, denn es zeigte sich, datz nur derjenrge stark
zeichnek, der wirklich stark ist, und der nur Geschickle
wäre bald erkannt, der Normale jedoch würde schon
in der Schule die Grenzen selner Begabung erken-
nen und schätzen, was jenseits dieser Grenzen liegt.
Er würde endlich wiffen, was Kunst tst und die richtlge
Einstellung zu künstlerischen Dingen leichter finden.

Auher diesen absolut lehrbaren rhythmischen Uebun-
gen mützte der Lehrplan enthalten eine Lehre von
den Massen und Berhältnissen der Körper, und zwar
ebenfalls auf dynamischem Meg mitgeteilk und gra-
phisch dargestellt mit einfachstem Makerial unter Aus-
nützung der Silhouett- und Fleckwirkung; ferner die
Lehre von den Wirkungen bewegter Flächen, die
Lehre von den Kontrasten und die Erkenntnis der
typkschen Form aller Dinge und deren Flächenwert
im Weltbild. Farbige Bersuche hätten zu folgen, aber
m ganz simpler Art, mehr Untersuchungen an Hanü
von Naturdingen zur Ergründung der Farbwirkung
an einer Blume, einer Muschel, einem Schmetterling
oder an einem Naturausschnitt aber keine „Malerei",
sondern eine ebenso temperamentvolle als überlegke
Arbeit, vergletchbar derjenigen auf dem Gebiete der
Lhemie und Physik, aber weitab von „grauer Theorie".

Von der Lasseler Tagung

Ausstelluna von Schülerarbelten.



Der nachfolgende Berichk entstammk den „Caffeler
Neuesten Nachrickken". Wie ich bereits im Bowe-
richk mitteilen Konnte, war der Besuch der Aus-
stellung im Landesmuseum auherordenklich stark. Die
Arbeiten riefen Erstaunen und Bewunderung hervor
unö dies mit Recht, denn sie offenbarken nicht nur
den künstlerischen Geist des neuzeiklich eingestellten
Zeichen- und Kunstunterrichts, sondern legten auch
ein beredkes Zeugnis ab von der Liebe und Äinaabe.

mit der unsere llugend die Geslaltungsaufgaben lösk.
Leider war der Rauni im Landesmuseum nicht grotz
genug, um alle eingesandken Arbeiten ausstellen zu
können, es mußke vieles ln den Mappen bleiben,
das an Frische im Ausdruck und in der Formgebung
den ausgelegken Arbeiken gleichwerkig war. Hoffenk-
lich bietet sich uns bald Gelegenheik, auch diese aus
den verschiedensten Schulen skammenden Arbeiten
bestcktiaen ru können.
 
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