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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 6.1926

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Heft 4 (April 1926)
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Segmiller, Ludwig: Künstlerische Erziehung und Unterbewusstsein
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https://doi.org/10.11588/diglit.23685#0078

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Deulsche Bläiter für Zeichen-Kunst- und Werkunterncht

Zeitschrift des Reichsverbandes akad.geb.Zeichenlehrer und Zeichenlehrerinnen

Verantwortlich für die Schriftleitung: Professor Gustav Kolb, Göppingen
Druck und Verlagr Eugen tzardt G. m. b. tz. Stuttgart, Langestratze 18

6. Iahrgang

April 1926

tzeft 4

Künstlerische Erziehung und Unterbewußtsein. Von Prof. L. Segmiller, Pforzheim-München. — Kunst und
Religion- Von Elsa Nicklaß. — Widerlegung von Einwänden gegen den Zeichen- und Kunstunterricht
am humanistischen Ghmnastum. Von tzeinr. Grothmann. — Antwort auf den offenen Brief des tzerrn
Studienrates Ernst Fritz, Dortmund. Von Prof. Dr. Georg Kerschensteiner. — Ein letztes Wort zu meinem
offenen Brief an Herrn Prof. Dr. Kerschensteiner. Von Studienrat Ernst Fritz, Dortmünd. — Nochmals:
Kunstblatt der Iugend. Von Otto Peres, Königswusterhausen. — Nochmals .Kunstblatt der Iugend",
Von B-Sturm, Lorbach (Waldeck). — Zur Geschichte des tzolzschnitts. Von Dr. P. Martell. — Amschau.

— Buchbesprechungen. — Inserate. >

Künstlerische Erziehung und Anterbewußtsein

Prof. L. Segmiller, Pforzheim-München.

. Die Bedeutung der bildenden Künste im Gesamt-
tahmen der Erziehung bedarf keiner eingehenden
Begründung.

' Naturwisienschaften und verwandte Gebiete lehren
uns die Erhabenheik der Nakur. Sie heben den dich-
ten Schleier, der stch um ihre Geheimnisie legk, und
zeigen die Ewigkeit nach unken in der fortwährenden
Teilung, nach oben in den stets sich steigernden Grö-
hen der Zusammenhänge im Weltall.

Die Kenntnis chrer Gesehe erzieht uns zur Tak.
Das Miflen allein ist jedoch der Zweck des Men-
fchen nichk, wie es auch das Schöne an stch, nichk ist.
Denn das Wissen, die Tat allein, würde uns zu kal-
ten, harken Menschen machen, während dle Wissen-
schaften und Künste die feinsten Kräfke im Menschen
enkwickeln und zur Blüke bringen. So stellt stch die
Kunst, indem ste uns für Herz und Sinn ihre reichen
Gaben streut, in den Dienst der Ethik. Sie brlngk
das Herz der Schöpfung näher, denn ste führt uns
In ein unübersehbares Reich von Formen, Tönen,
Akkorden und Harmonien ein.

Wie mit einem allmächttgen Zauberstab hält sie in
! uns das fest, was allein das Leben erfüllk: die E r-
i n n e r u n g.

Wer könnke sonst die Enkzückungen, welche über-
wältigend und mit dem Bersprechen ihrer Ilnskerb-
lichkeit in uns wohnten, am nächsten Tage noch zu°
rückführen, wenn fle dem Gegenstande nachgeflohen
sind? Die Kunst tritt zu uns wie eine Gotkheit und
weckt das Gestorbene wieder zum Leben. „Die
Malerei", sagt siean Paul, „gibt uns den Gegen-
stand zurück und damik die begeisternde Skunde: dte
Tonkunst gibt die Begeisterung und damit den
Gegenstand, die Dichtkunst beides wechselnd." Und
Karl Lamprecht: ...„dabei wird es stch denn lmmer
und immer wteder ergeben, dah das seelische Leben
zunächst und vor allem in den Fortschrttten der Kunst,

der Tonkunst, der bildenden Kunst, der Dichtuna zum
Ausdruck gelangt. siede neue Stufe kiefster und das
heißt seelischer Enkwicklung wlrd mit elner Wand-
lung des ästhekischen Menschen begonnen: So wahr
es ist, dah Phankaste und daß Begeisterung,die
lebendigsten aller zlvilisakortschen Triebe flnd,"^
sinmitten der Zusammenbrüche eines materieüen
Zeikalkers mit seiner ungesunden Ueberschähung in-
tellekkueller Eigenschasten erkennen wir ln der Gegen-
wart die ungeheure Bedeutung der künfilerischen
Erziehung.

Dies wird gewissermahen rekrospekttv offenbar in
der Aufhellung historischer kultureller Borgänge.

„Die Änkike ist nlcht nur Plako und Homer, Tlcero
und Tacikus: die Änkike ist viellelcht vor aüem Phi-
dias und Praxiteles, ist das Parthenon, ist Akhen,
Rom und Pompeji" (Dr. S. Schwarz). ^

Durch das Work und durch Begriffe ging unfer«
Bildung den Alken nach, nicht durch die Än-
schauung. 7u

Die fast ausschließlich verstandesmätzige Schulung
drängke die ebenso wertvollen oder werkvolleren see-
lischen, mokorischen, schöpferischen Kräste zurück und
brachte sie zum Berkümmern. Daher dle Enkfrem-
dung zwischen Kunst und Bolk, die Derwirrung
unter den Künsten felbst und ihre schwächltche Er-
zeugung. -

Gegenüber einer Zivilisation, dle durch Geschlech-
ter immer mehr ins Abstrakke geraken ist, kann nur
eines geschehen: das Abwerfen einseikigen Verstan-
des- und die Befreiung des Gefühlslebens.

Dazu wird die künstlerische Erziehung Wegberei-
kerin sein. Der Begriff „künstlerische Erziehung" ist
mehrdeukig. Man versteht darunker zunächst dle ad-
sichtliche Elnwtrkung durch den Erzieher aufden zu
Erziehenden, dann aber die unabsichkliche Wirkung
der künstlerischen Erzlehung, das heißt die Ausstrah-
 
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