Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 6.1926

DOI Heft:
Heft 4 (April 1926)
DOI Artikel:
Segmiller, Ludwig: Künstlerische Erziehung und Unterbewusstsein
DOI Artikel:
Nicklass, Elsa: Kunst und Religion
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.23685#0083

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
74

nach ihrer Skeigerung oon einer geringeren bis zur
stärksten Schöpserkraft des Künstlers beobachten, son-
dern auch in ihrer Abschwächung. Ein noch so guter
Abguh kommt in seiner faszinierenden Wirkung nie
der Originalplasttk gleich, eine guke Kopie nie einem
Originalgemälde. Man könnte die Abschwächung
etwa in der Reihe ausdrücken: Original, guke Kopie,
Farbdruck, schlechte Kopie. Oder: der Vorkrag des
Klavierkllnstlers, Rundfunk, Grammophon. 3e weni-
ger die Schöpferkraft des Kunstwerks sich auszu-
drllcken vermag, desto geringer ist die Wirkung.

Wenn es endlich noch eines weiteren Beweises für
das Borhandensein von solchen Erscheinungen be-
dürfke, die vom Künstler in das Kunstwerk gebannt
sind, so wäre er vielleicht in folgendem Gedanken-
gang zu finden: Nehmen wir wieder Beispiele aus
Kunstperioden, die geringeren Seelenausdruck be-
sitzen, z. B. aus der Historienmalerei oder aus der
Zeit des 3mpressionismus. Obwohl der Triumphzug
Pilotys, abgesehen von seinem Riesenformat, inhalt-
lich, d. h. verstandesmähig auf den Beschauer wirkt,
so sind auch in diesem Gemälde künstlerische Ausstrah-
lungen wahrnehmbar; wir fühlen sie beim Bergleich
mik dem Modell, da diesem solche Wirkungen nicht
innewohnen. Bergegenwärtigen wir uns das Modell
zu einer Figur (etwa der Thusnelda) der zahlreichen
Gestalten des Bildes oder nehmen wir an, das Ganze
wäre in Modellen gesteük, gewissermaßen als leben-
des Bild, so würde uns nichts als der Inhalt er-
greifen. 3m Modell also, das doch für gewisse Kunst-
richtungen ein Borbild war, das im ganzen wie im
elnzelnen fast genau wiedergegeben wurde, ist eine
künstlerische Ausstrahlung nicht zu finden (autzer der
Anordnung der Farbenwahl, die aber eben auch durch
des Künstlers Schöpferkraft an sich vorhanden ist).

Wird aber dieses Borbild, Modell (und zwar noch
so naturgenau), durch den Künstler übertragen (z. B.

Leibl), so treten suggestive Wirkungen auf, die ganz
allein von seiner Schöpferkraft herrühren.

Andere Beispiele aus dem Umkreis des llmpres-
sionismus sind geeignek, diese Tatsachen noch mehr zu
verdeutlichen.

Ein paar Kühe unker einer Linde, ein weiblicher
Akt im Gras in der Natur (als Modell) sind gewiß
nichks Künstlerisches, so interessant und nakurschön sie
an sich sein können. Erst der Pinsel eines Zügel,
Corinth oder Liebermann erhebt diese Modelle in jene
Sphären, in denen sie künstlerische Ausstrahlungen
auf den Beschauer auszuüben beginnen.

Wenn nun schon bel solchen Werken der Kunst, die
ihrer Art nach zum großen Teil verstandesmäßig, er-
zählend, illufirativ oder wesentlich auf visuelle 3n-
halke eingestellt sind, berührende Beziehungen zwi-
schen der Seele des Künstlers und der Seele des Be-
schauers angenommen werden müssen, so wird dies
naturgemätz bei Schöpfungen, die wesentlich aus seeli-
schen Borgängen enkstehen, erst recht der Fall sein.

Fehlt diese die Wirkung bedingende Schöpferkraft,
so schwindet auch die Größe der Erlebnisse, und wäre
das Merk oder die Komposition noch so geschickt oder
mühsam errechnek.i Eine solche Arbeit könnte in
Goetheschem Sinne nur angesehen, aber nlcht erschaut,
d. h. ntchk seelisch erlebt werden. Goekhe sagt in die-
ser Beziehung sehr treffend: Man sollte in der Kunst
nicht Komposition (von eoinponsrs, zusammensetzen)
sagen, denn solch ein Werk ist nicht von außen zu-
sammengeseht, es ist von innen entfaltet.

Ergebnisie solcher Entfaltung, also die im Werk
auferirandenen unterbewußten schöpferischen Kräfte
des Künstlers, wirken im Beschauer im Anterbewußk-
sein und bewußt künstlerisch erziehend, indemFie die
Kraft besitzen, sein Gefühlsleben und seine Seelen-.
täkigkeit gewissermaßen in gleiche Schwingungen zu
versetzen, aus denen das Werk entstanden ist. —

Kunst und Religion

Bon Elsa Nicklast "

Alle wahre Kunst ist nichts anderes als Gottes-
offenbarung. Der ganz beseelte Künstler schafft nicht
mit dem Berstand — schafft aus seinem tiefsten Sein

— schafft nicht um feiner selbst willen — schafft,
weil er fchasfen muß — einem Höheren, Zwingenden
über ihm gehorchend, — fchafft als ein Werkzeug
Gottes.

So ist jegliches Kunstgeschaffene — und es ist
selbstverständlich, datz alles das davon ausgeschlosien
ist, das nur dem Namen nach chin gehört, desien
Wesen aber fern bleibt von der echken Art — so
also ist jegliches echte und resne Kunstgeschaffene eine
Offenbarung des Göktlichen.

Iedes Werk aus kieffien Seelenkiefen eines Künst-
lers guellend, ihn selber, seine Persönlichkeik ver-
drängend, sich selbst nur wollend und nichts als sich,
das Werk — ist Ursprung einer heiligen Handlung

— ist Gebet. Ich sage jedes. Denn dieses Gebet mutz
nicht immer heilige Gegenstände umfafsen oder heili-
gen Zwecken dienen, um unmittelbar und heilig an
die Herzen derer zu rühren, die fähig sind, es mik-
zuempfinden! j"Zu der Fähigkeit, Kunst aufzunehmen,
gchört aber wieder ein Aus-sich-selbst-herauswachsen,
das 3rdische-hinter-sich-versinkenlassen. 3e kiefer üieses
Sichlösen vom Alltag ist, desto schöpferischer wird der
Beschauer oder der Hörer von hoher Kunst sein.

desto reiner senkt sie sich als eine Gabe in sein Herz. ^
— So kann ein Blumenstrauß von Courbet, wle ich
chn neulich sah, göttliches Sein offenbaren — -ie
ganze Seligkeikder Schöpfung ahnenlassen—oderdas
versinnbildlichende, matt in den Farben erklingende
Btld des Herbstes von Cosia wie ein geistliches Lied
ersahren werden. — And das Hohe Lied? Das wie
eine weltliche Blume zwischen den geistlichen der
Bibel zu blühen scheink—ist nicht auch feine Sprache
„höherer Aakur?" „Welches ist dle herrlichste Samm-
lung Liebeslteder, bie Gott geschaffen hat" — sagt
Goethe! „Die Gokt geschaffen hat! - Änd schuf Gott

und erst fein „Ganymed" — reden sie andere als
göktliche Sprache? So kief ifi das Wesen aller wah-
ren Kunst, so hinreißend chr Gelst, daß ste den Cm-
pfänger in Andacht unmikelbar heranziehk, wo er
ihren Hauch verspürk.

Es tst nicht vorübergehende Ändachk, die da aus-
gelöfi wirü, wo überhaupt eine Aufnahmefähigkeit in
Menschenseelen vorhanden ist — große Kunst wkrkt
nichk nur im Augenblick besretend, sje macht retn
und stark für den Alltag — sie facht zu fchönsm Tun
an — sie veredelt, da sie fechst edel ist. Hinterläßt
nichk jede klefe Kunstbekrachkung Echnsuchksgefühle?
 
Annotationen