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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 6.1926

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Heft 1 (Januar 1926)
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Stiehler, Georg: Vom ''wissenschaftlichen'' Zeichnen
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Völker, August: Die Entwicklung von zeichnerischen Ausdrucksmöglichkeiten und Bildideen aus Material und Technik
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https://doi.org/10.11588/diglit.23685#0012

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2m Anschluß an dtese allgemetne Lage ist beson-
ders wtchtig der Fall Bayern. Dort bestand früher
an den Realanstalten ein zweistündiges obligatori-
sches Linearzeichnen (wle in Württemberg und
Oesterreich). Dasselbe wurde von den gediegen vor-
ebildeken Lehrkräften deS Zetchnens gegeben und
efand slch in einem anerkannt guten Zustand. Wenn
gegenüber früher ein RLckschritt eingetreten ist, so
Ist das nicht die Schulü der Fachlehrkräfke des Zeich-
nens, sondern, wie es den Anfchetn hat, ist dieser

Niedergang in andern Gründen zu suchen: 2n der
allgemeinen Einführung der Handelsabteilungen an
den Oberrealschulen, in der Stundenbereicherung
anderer Fächer auf Kosten des Ltnearzelchnens und
nicht zuleht in der gerkngen Einstcht der behördlichen
Stellen gegenüber den zeitgemähen Bedürfnisien für
das wirtschastliche Zeichnen, wie das durch die zu-
rückgesetzte Behandlung dieses Gebieks im bayr.
Lehrprogramm zum Ausdruck kommt.

Die Entwicklung von zeichnerischen
Ausdrucksmöglichkeiten und Bildideen aus Material und Technil

Bon Augu st Bölker -Lübeck.

Wie stark Material und Technik bel dem Merden
eines Werkes der bildenden Kunst mitsprechen, weiß
jeder, der über die Anfänge künstlerischer Selbsttäkig-
keit oder auch nur künstlerischen Verständnisies
htnaus ist.

Sich mit beiden bekannt zu machen, fle beherrschen
zu lernen — und oft daran zu scheitern, ist die Nok
des Anfängers. Er ringk mlk allem, der 2dee, der
Form, der Technik, dem Material. Und er schlägt,
wenn er ekwas aus stch heraus schaffen wlll, den
Meg ein, enkweder auf Grund von Studienmaterial
oder frei aus der Dorstellung heraus zu entwerfen
und zu komponieren, — den schwersten Weg, den er
hetreten kann: FSr eine ferkige, wenn auch ost noch
so verschwommene 2dee mögllchst glelch die kreffende
Form, den entsprechenden Ausdruck in mögllchfier
Beherrschung der Technik zu suchen.

Aber warum sollen nlcht Material und Technik
auch umgekehrk einmal die Wege zeigen, um zu
Ausdruck und Form, zur Vorstellung «nd Dar-
stellung selbst zu gelangen?

Es dürste wohl anregend sein, auf einem bepimm-
ten Gebiek, dem der Bleistifizeichnung» solchem Wege
einmal nachzugehen.

Wenn ein Kind, das Augen und Hände frei ge-
brauchen gelernk hat, einen ihm unbekannken, nicht
ganz einfachen Gegenstand in die HSnde bekommt,
so fatzk es, betastet, drehk und wendek es ihn nach
allen nur möglichen Seiken und Richtungen. Ls ist
erstaunlich, wie viele verschiedene Äewegungen bei
einem begabten Kind dabei herauskommen! Papier
und Blelstist werden von ihm ihrer Beschaffenheik
nach und der Möglichkeit nach, was damit angefan-
gen werden könnke, genau geprüst und erfahren. Es
krltzelt und strichelk, drückk und punktet, fLhrt rhykh-
misch hln und her, und je beffer das Makerial, je
mehr Papier vorhanden, desto mehr Möglichkelten
pröbt es durch, indem es stch dem Unbekannten ganz
LberlStzk, das chm da in die HSnde geraten ist.

Ich soll mein Makerial, mit dem ich arbeite,
kennen, ich soll die Grenzen, die mir durch seine Be-
schaffenheit gezogen flnd, beachten, andererseits aber
dix Äesonderheiken, die Vorzüge, ausnutzen, die
Schönhelken, die zu erreichen flnd, mir nicht enkgehen
laffen. Es wtrd also keine vertorene Zeik sein, ln
der Art des Kindes Papiere und Stifie elnmal
ordenklich -urchzuproben.

Der harte, der weiche Stift, der gespitzte und der
Breltstifk, der Menzelsche Zlmmermannsblei und dei
dtcke Graphit, — was kann ich mit ihnen auf den
verschiedenen Papieren machen, was erlauben, ge-
bielen Stist und Papier und was verbieten fle? —
Ich werde die Grenzen bald kennen, die mir da vor-
geschrieben werden: aber ich sche mlch auch, wenn
ich mich dem Makerial einmal ganz spielerisch üher-
lasie, ohne von einer vorgefatzten 2dee auszugchen,
mehr und mehr eingeladen, ihre Vorzüge und Schön-
heiten ordenüich auszukosten.

Bei dem einen Papier werde ich schöne brelte
Lagen etwa wegen seiner Festigkeik nie heraus-
bekommen, — es zwingk zum Linearen; bei den
anderen stnkk mekn Blei, have ich nicht den richstgen
Süst, zu schr ins Weiche ein. Hier kann tch auf-
drücken, gerade durch dieses lehte, etwas gewattsam«
Hineingehen in dte Faser oder das Korn besonder«
Tiefen herausholen, ohne datz die Schönheit des
Tons oder -as Papier darunter leidet. Dort wiede,
würden dlese letzten Drucker Papier und Zeichnung
verderben.

Nchme tch zu Stist und Papier noch den Finger
oder den Wischer hinzu, — welche Fülle von Aus-
drucksmögllchkeiten ergeben flch da von der reinen
Linienzeichnung bis zu der virtuosen Wechselkechnik
Adolph Menzelsl '

Versuche in dieser Richtung gebieken flch also wohl
von selbst. Aber aus -iesen Versuchen lStzt flch doch
noch mehr entwickeln, es kvnnen weikergehende An-
regungen daraus geschöpft werden» indlviduelle Aus-
drucksnelgungen flch darqn entzünden und. Mege ge-
funden werden, dle über das reine Materialerproben
weit hinausgehen.

Es lohnk stch, für diese Proben nichk nur etnen
schmalen Randstrelfen des PapierS zu opfern, wie
das Kind aus ihm herumzustrkcheln, von der fplnn-
gewebedünnen Linie bis zur derben Skrichlage und
tiefsten SammetschwSrze dle Tonskala abzukafien, es
kohnk flch, elnen ganzen Teil des Bogens dafür her-
zugeben, Flächen aüfzukeilen, in linearer RhychMik,
wie fle der Augenblick elngibk, oder flSchig .in wohl
abwSgender Tonwertfolge, mlk oder ohne Wtschen,

Dah solchen Stricheleien und FlSchenassteilungen
Ssthetische Werte abgewonnen werden können» datz
außer rhykhmischen KlLngen, dekorattven Mrkungen
a'uch an unser Empfinden rührende Ausdruckswerte
flch ergeben, zeigen die beigegebenen Schülerarbesten.
 
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