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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 6.1926

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Heft 4 (April 1926)
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Von Wesen des Rhytmus
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https://doi.org/10.11588/diglit.23685#0094

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88

Bom Wesen des Rhythrnus

(Sedanken aus den Schrifien von Ludwig Klages,
Ausdrucksbewegüng^lZ^^i^MünM^räfk^

Iede individuelle Bewegung hat stekigen und rhyth-
mi>chen Charakter. AUes Stnnltche ist etwas Flie-
hendes; auch unsere Empfindungen fließen. Dagegen
gnd unsere getstigen Akte punktuell: durch das lLmp-
stnden lassen sich daher ketne unbeüingt jcharfen
Grenzen sehen, aber vermittelst des Geistes. Unsere
Lebensvorgänge sind von fiießenöer und unendlicher
zusammengesetzter Natur: unsere geisttgen Akte hin-
gegen von punktueller und einsacher ^ratur. Unsere
Sinnltchkeit verfügt nur über fliejzenöe Marken,
unser Berstand setzt absoluk scharfe (punktuelle) Mar-
ken an dte räumlichen und zeitlichen Grenzen öer
Dinge und Geschehnisse. Hieraus entspringk katsächlich
eine tznkongruenz öer menschlichen ^iatur.

Der Begriff „geistiges Leben" enthüllt die Doppel-
natur unseres psychischen Berhaltens. Die Ber-
lockung, das Leben geistig zu interpretieren, ist
den meisten Philosophen verhangnisvoll geworden.
Lebendig ist öas ununterbrochen Lrlebende.
So gewiß das Erleben eine Totalität fließender
Borgänge ist, so gewih bedeutet „Bewutztsein"
die durch sie verklammerte Abfolge ununter-
brochener Akte. Geist und Leben sind zwei ür-
sprüngliche Möglichkeiten: die zeitlose des
Seins und die zeitliche des Geschehens. Es gibt alfo
ein auherraumzeitliches Seienden: Geift, ver-
möge dessen jedes urteilsfähige Wesen zu ein und
demjelben Begriff der Linheit, der Zahl und des
Mahes kommt — und dies zeitlich Wirkliche aus
dem Gesichtspunkt eines Beziehungsjystems zähl-
barer Punkte zu betrachten gezwungen ist.

Statt dem Kind die Geschlossenheit des Seelijchen
nach Möglichkeit zu erhalten und die Totalttät der
Kinderseeie, die organische Einheit umzuformen öurch
die organische Wirkung öes sympathischen Erlebens,
ist der tatjächlichste Effekt der Schulbildung die
Schwächung der jeelischen Kräfte zugunsten deS äch-
zentrums und der ihm innewohnenöen geistig-
mechanischen Tätigkeitsformen.

3n der Rationalisierung der änstinkte liegk der
letzte fahbare Grunö für öen inneren und äußeren
Zusammenbruch Deutjchlands. Ein kräftiger Insttnkt
ist die Aeuherung einer ungebrochenen organischen
Einheit seines individuellen Dajeins, wie der inneren
Gejchlosjenheit des Bolkskörpers, dem er sich orga-
nisch etngegliedert fühlt, schädlich oder nühlich ist.

Wenn jetzt die Massen wie hypnotisiert sind von
Schlagworten", so verrät sich darin übergewaltig die
Macht jenes Zchzentrums, zu dessen Wesen es ge
hort. schlagwortartig den Strom des seelischen Ge-
schehens zu treffen und zu zerstören. Wie denn
unsere Zeir durchweg den Stempei trägt des Anheim-
fallens an das alles auf sich beziehenöe 3ch und nicht
des Hingegebenseins an die sich opfernde Seele!

Stetig wächst unter Psychologen die Einsicht, daß
das wirkliche Erleben selbst des entwickelteren
Menschen „auf weite Strecken" in vorstellungsmäßig
wenig differenzierten Formen verläuft. (Felir
Krüger.)

Auf weiten Strecken verläuft unser Erleben
ohne die Störung, die der Einkritt der Borstellungs-
tätigkeit (ö. h. erfassenden Akte des Geistes) her-
oorruft.

Erst vom Standpunkt geistig-mechanistischer Melt-
betrachtung aus gewinnt das dem Feuer gleich in
stetigem rhythmischem Wanöel begrisfene Leben der
Kinöerseele den Lharakter des „Disziplinloien", öes
„Ehaotischen", vom Standpunkt etner lebendigen,
ö. h. seelenhaften Weltbetrachtung entspringt aller
Wechsel, alle Durchbrechung der „Ordnung", öer 2n-
dividualität, die ihrerseits wieder dem kosmischen
Lebensrhythmus ihre Form verdankt.

Leo Frobenius: „Es ist etwas Unheimliches, etwas
Tieftrauriges, wie mechanistisch unsere Zeit mit den
Seelen der Kinder umgeht (S. 87 von kaiäsuwu
(— änbegriff gestaltend flutender Seelenkräfte). Um-
risse einer Kultur- und Seelenlehre. München 1S21.)

Aufgabe der Körpererziehung ifi die Erhaltung
der organischen Geschlossenheit des Lebens und die
Erhaltung der ursprünglichen Rhythmik der Lebens-
bewegung gegenüber dem Ansturm lebensfeindlicher
Mächte geistig mechanischer Zielsetzung von innen
und außen. >

Richt den Kampf zwischen Seele und Geist be-
seitigen, sondern ihn steigern!

Die Seele hat zwei Seiten, die Kraft der Strö-
mung und die Form der Strömung. Beide bilden
die lindividualität.

Totalität — Psychologisch bedeutet es dle Ge-
schlossenheit des Triebgefühls, physiologisch Einheit
des Bewegungsablaufes, anatomlsch Einheik des
durch Körperbewegung erzielten muskulären Ge-
samtbildes.

Träger des Rhykhmischen ist nicht der Willensakt,
sondern die ursprünglich körperliche Bewegung. 3edes
Gefühlserlebnis ist ein Totalerlebnis; es antwortel
deshalb unser Gefühlsleben auf Totalbewegungen
des Körpers.

Ze mehr Schüler gemeinsam an öer Uebung teil-
nehmen, umso schneller ftndet jeder Schüler seinen
individuellen Rhythmus. Es gibt keinen rein phyfl-
schen Ahythmus. Ieder echte Ahychmus entspringt
der „organischen Einhei^.


Nringeud gebete«

werden die Kollegen und Kolleginnen, chre
Schul-, Stadt- und Gemeiydebehörden
auf „Kunst und Iugend« als dte geeignetste
Zeitschrist zum Ausschreiben osfener

, Ierchenlehvev- rmd
Ierchenlehvevttmett-Gteüett

für höhere Schulen aufmerksam zu machen.

-Kunst und Iugend« muß auch in dteser
Richtung den Kollegen und Kolleginnen
wertvoll werden. Zur Vorlage an die
Behörden tst zu diesem Zweck besonders
Nr.3 geeignetl

G. Stiehler 1. Borsitzender Leipzig-Süd 3.
 
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