Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 6.1926

DOI Heft:
Heft 10 (Okotber 1926)
DOI Artikel:
Oppermann, Alfred: Kunstbetrachtung und Richtlinien, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.23685#0226

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
201

Kunstbetrachtunq und Richtlinien

Von Alfred O pp ermann. /f , ^

Den Stoff sieht jeder vor stch, den
Gehalt findet nur der, der etwas
dazu zu tun hat, und die Form ist
ein Gcheimnis den Meisten. Goethe.

Kunskerziehung ein roker Faden durch die
Bildungsziele.

Ein Gymnasialdirektor machte mir gegenüber nach
eingehender Besprechung der Richtlinien die Fest-
skellung: „Den gröhten Gewinn aus der Schulreform
tragen die Zeiichenlehrer davon." Eindrucksvoll wird
das bestätigt, wenn man am Ende des Kapitels über
Zeichen- und Kunftunterricht den Bers findet: „MZ"!
Bertreter der bilüenden Kunst mutz der Zeichenlehrer r
bestrebt sein, i» Bcrbindung mit... dte ganze Schule
mik künstlerischem Geiste zu erfüllen und zu einer
vorbildlichen Stätte der Ausdruckskultur zu machen."
Niemand sonst in den RL wird mit so grotzen WK^
ken geehrk, und wenn wir dadurch bedenklich gemacht,
welter prüfen, wie es um die Kunsterziehung in Zu-
kunst bestellt sein soll, werden wir weiter über-
raschk. Eine derartig tiefe und umfassende Durchdrin-
gung der gesamten Leyrstoffe mit der Abstchk der
Kunstpflege haben auch die Kühnsten unker uns nicht
erwartet. Staunend stehk man, datz außer den Ge-
bieten der Phyflk und Chemie kein einziges Lehr-
fach ohne diese Berbindung gedachk werden kann.
3n der evangelischen Religlon kommt die
Kunst als unker Umständen reinster Derkünder reli-
giösen Empfindens zu Mort. Der Deukschunter-
richt ist von Sexka an in lmmer steigendem Maße
um die Bermittelung des Kunstwerkes bemühk. Dke
Geschlchte darf in der übersichklichen Schau an
den Gipfelhöhen der Bölker niemals den im Kunst-
werk anschaulich geformken Kulkurstnn übersehen.
Der Alkphilologe hak neben Aomer und Plako
gleichberechtigt die Basenmalerei, Olympia und
Darkhenon zu stellen. Die neueren Svrachen
sollen dem sprachlichen Werk die bildenden Künste als
gleicher Ausdruck ekner gestalkenden, entwickelnden
Gesellschaft zuordnen. 3n der Erdkunde, wo dle
Berwandkschafk der Lebensräume zu den Kulturfor-
mungen kieffte Beziehungen gäbe, ist wenigstens eln
Zusammenhang mit dem Zekchnen hergeflellt >und
ln der Fixierung der Hauptaufgabe der Erdkunde als
„flnnvolies Sehen des Landschastsbkldes" eine innere
Berbundenheik dargekan. Selbst die so spröde
Makhemakik, deren logische Gegebenheit als
Ankhikese der Phantasieschöpfung gilk, vermikkelt
tmmer nach die geometrischen und perspekkivischen
Grundlagen der Kunst. Dazu halken wir noch das
Work von Ministerialrat Richerk: „Kunsterziehung ist
Erzichungsprinzip", um den neuen Kurs zu erkennen.

Kunsterziehung unker dem Prlnzlpak
des HkfiorlsmuS.

Gehen wir an die Prüfung der Lchraufgaben für
den Kunstunkerrkchk, so finden wlr diese allerdings
nichk um der Kunst willen aufgestellt, auch nichk der
Kulkur, 'sondern der Kulturkunde. Anter den Ausfüh-
rungen zu diesem Begriff scheink der Aufsatz von
Zavenstetn (Philologenblatk 1926 Nr. 6 und 7) am
kreffendsten zu sein. Er führt aus, wie durch die Ileber-

ordnung der Kulturkunde dte Kultur zur Kulturge-
schichte, die Kunst zur Kunde, echke Bildung zu zwei-
selhaftem materiellen Wissen absinkt: die Rettgion
wird der Geschichke geopferk, der überzeitliche Wert
geht im Strome des geschichklichen Lebens unter.
Havenstein kennzeichnet den Geist der RL als den
Geist des Historismus, des Alexandrtnertums, der
Berwtssenschaftleichung der geistigen Kulkur. Ob die
lemperamentvollen Ausführungen des geiskvollen
Berfassers die mtndestens vielseitigen AL eindeutig
bestimmt haben, interessierk uns weniger als die
Frage, ob das Gebiet der Kunsterziehung diesem
Historismus ebenfalls ausgeliefert werden könnte.
Durchmustern wir die Lehraufgaben:

Deutsch: Sexka gilt noch als Borschulklasse.
Sie ist infolgedessen noch kindertümlich behandelt.
! Quinta: Kunstbetrachtungen im Rahmen des kultur-
' kundlichen Gesamtunkerrichts. Quarka: Hinweise auf
Reste der Aiechtsch-römischen Kulturwelt auf deut-
schem Boden. linterkertia: stm Anschlutz an die „Ileber-
schau über die Kultur der Germanen" Denkmäler
des deukschen Mittelalkers. Obertertia: Renaissance
und Barock. Ilntersekunda: Kunst des 19. Zarhunderts.
Künstlerischer Ausdruckswille der Gegenwark in Tech-
nik und Kunstgewerbe. Obersekunda: Einführung ln
das mittelalterliche Geistesleben, „Lebensstimmung
und Vorstellungen des Miktelalkers in seiner Ver-
schiedenheit vom griechischen Kunstwillen". Baugedan-
ken des romanischen, des gotischen Stils, charakke-
ristische Bildwerke des deukschen Mitkelalters.
Prima: Barock, Klasstzismus, Äiedermeier, heuttge
Kunst. Hinweise auf allgemetne Zeltströmungen <Rea-
lismus, Naturalismus, stmpresflonismus, Expressto-
nismus). 3m 1. Teil Grundsähliches und Mechodisches
wird dieser kunstgeschichtlichen Bekrächkung der
Grund gelegk. Deuffch Seike 56: „Die Einheik des
schöpferischen Bolksgeistes mutz bei solchen Bekrach-
kungen lebendig gefühlk werden." Der Schüler also,
der nur schwierig und langsam in ein Kunstwerk ein-
dringk, der nach meinen Erfahrungen erst als Abi-
kurienk beginnt zu der das Kunstwerk schaffenden
Persönlichkeik Stellung zu nehmen, soll genöttgk wer-
den, nichk nur eine Summe führender -Persönlichkei-
ken als Ausdruck etnes möglichen Zeikgeistes aufzu-
fassen, sondern auch den problemattschen Zustrom
schöpferischen Geistes aus der Bolksmasse nichk nur
zu behaupken, ntcht nur davon zu hören, sondern chn
selbst lebendig zu erfahren. Menn Primaner mik den
ihnen von anderer Selke aufgesehken Termink wie
Impresflonlsmus, Expresstonismus an ein Kunstwerk
wirklich kiefer Herangeführk werden, dann merken ste
(vielleichk vorläufig mlk einer kleinen Enttäuschung),
daß fle mik dkesen Begriffen garnlchks anfangen kön-
nen und.werfen ste bald wieder über Bord- Dieser
Historlsmus qls Äildungsi-eal relativierk den Men-
schen, machk lhn zum Ailfsglied einer eigenwerkigen
Organisatton, zum Arbeikskeil an elner sagenhafien
Entwicklung. Konsequenterweise gipfelk dieser enk-
wicklungsgeschichkliche Relativismus in der höheren
Schule im G e s ch i ch ksu nterr tchk, der in über-
ragender Schau alles in anderen Fächern Erworbene
zusammenfaßk, um „die Eigenart, den Wandel künst-
lerischen Ausdrucks der verschiedenen Epochen, dle
 
Annotationen