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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 6.1926

DOI issue:
Heft 4 (April 1926)
DOI article:
Segmiller, Ludwig: Künstlerische Erziehung und Unterbewusstsein
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https://doi.org/10.11588/diglit.23685#0082

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73

künstlerischen Ausleben Mittel an die Hand gibt,
sich in einer einwandfreien Form auszudrücken. Eine
vielfach beobachkete Erfahrung aus der Praxis lehrt,
dah derjenige, der ganz und gar von einer schöpferi-
schen Eingebung — liege sie nun auf dem Gebiet der
Malerei, der Plastik oder der Werlckunst — durch-
drungen ist, durch die Stärke seiner Konzeption zu
einer übereinstimmenden Darstellung mit dem An-
schauungsbild sieführt wird. Unser Skandpunkt hin-
sichtlich der Werkkunst, der hier nicht weiter aus-
geführt zu werden brauchk, datz die sofortige Um-
fetzung des Vorstellungsbildes in das Material das
Wlchtige ist, wird heute von den meisten führenden
Persönlichkeiken geteilk.

Wir sehen also in den zeichnerischen Uebungen, in
den Nakurstudien usw. nichk mehr einen Selbstzweck,
isondern eine Anterstützung für die Ver-
wirklichung des Vorskellungsbildes.
Auf keinen Fall dürfen durch die Zwangsjacke der
Richtigkeiksdarstellung und der „schönen" Darstellung
Gestaltungsdrang und Schöpferfreude zurückgedrängt
werden.

Selbstverständlich ist der u n a b s i ch t l i ch e n E r-
ziehung durch das Kunstwerk selbst ein
groher Naum anzuweisen. Ihre Bedeukung wird ja
in neuerer Zeit immel'richtiger eingeschäht. Von
unserem Standpunkt aus muß aber auch hier auf
einige wesenkliche Punkte hingewiesen werden, wenn
durch die Betrachkung eines Kunstwerkes ein voller
erzieherischer Gewinn herbeigeführt werden soll.

> ' Die unabsichklich wirksamen Kräfie künstlerischer
Erziehung liegen im Kunstwerk selbst.

Es dürfte kaum einen Menschen geben, der solche
bestimmende Einflüsse in sich nicht,einmal, mehrere
, Male, ja viele Male gefühlt hätte.

; Einzelbauwerke, Strahen- öder Städkebilder, Ge-
mälde, Plastiken, Linien oder Farbharmonien flnd es,
die unauslöschliche Eindrücke vermittelt haben. Nur
elniges sei darüber angeführk. Die Farben der Schöp-
sungen von Giorgione, Rubens, Rembrandt, Manet
haben zeitweise ihre ganze Ilmgebung beeinflutzt. 3m
Leben Micheiangelos bedeuten die Fresken Masac-
cios einen solchen Höhepunkk, im Leben Dürers sind
es die Werke Mantegnas auf seiner ersten ikalieni-
schen Reise. Hunderte von Beispielen der Wirkung
dieser Ausstrahlungen könnten aus dem Leben von
Künstlern und Laien angeführt werden.

Lichtwark äußert 1901: „wer hat nicht beobachtet,
wie ein halbes Dutzend Bilder auf einer Ausstellung
in München oder Berlin mik einem Schlage die ganze
künstlerische llahresproduktion beeinflutzk hat?"

Eine solche geradezu epochale Bedeutung für die
deutsche Kunst gewann zum Beispiel dle inkernatio-
nale Kunstausstellung 1865 im Münchner Glaspalast
oder später die erste Sezessionsausstellung daselbst,
auf die die Gründung anderer Sezesflonen in Wien
und späker ln Berlin und in anderen Skädten einsehke.

5n diesem Betracht ist eine Stelle eines Briefes der
italienischen Reife Goekhes aus Rom vom 2. Dezem-
ber 1786 interessank.

Er berichtet folgendes: „Am 28. November kehrken
wir zur Sixtinischen Kapelle zurück, ließen die Galerie
aufschlietzen, wo man den Plafond näher sehen kann:
man drängk slch zwar, da sie schr eng ist, mit einiger
Beschwerlichneit und mit anscheinenöer Gefahr an
den eisernen Stäben weg, deSwegen auch die Schwin-
deligen zurückblelben: alles wird aber durch den An-

blick des gröhken Meisterstücks ersetzk. Und ich bin
in dem Augenblick für Michelangelo so eingenom-
men, daß mir nicht einmal die Nakur auf ihn schmeckt,
da ich sie doch nicht mit so grotzen Augen wie er sehen
kann. Wäre nur ein Mittel, sich solche Bilder in
der Seele recht zu fixieren!" William Morris wendet
sich gegen das Zerstören alker Bauwerke, weil von
ihnen ein erhebender Eindruck ausgehe. Und von
Naumann wifsen wir, datz er in einem seiner Aufsähe
die Stärke des Eindrucks des Eiffelturms dem der
Wüste Sahara und ähnlichen großen Nakurerlebnissen
gleichseht.

Es ist demnach keineswegs ekwa dererzählende
Znhalt eines Kunstwerks, wie manche meinen, der
solche hastende künsklerische Eindrücke hervorrufi.
Form und Farbe allein besihen solche Kraft. Ein
Kunstwerk nur dann gelten zu laflen, wenn es einen
3nhalt habe, ist daher unrichtig.

Auf ganz andere Dinaeckommt es an, der 3n -
halk isk sekundä r. sWirkliche Kunst hat keine
Zwecksetzung. Znhalkserftlflung wäre eine Ver-
s t a n o e s aufgabe, genau so wie die Realitäkswie-
dergabe in der Kunst lehten Endes hauptsächlich eine
Verstandeskäkigkeit darstellt swomik meisterliche Ge-
schicklichkeit der Darstellung keineswegs geleugnek
sei, aber sie ist schließlich nichts anderes als etn hand-
werklicher Vorgang). -

Kunst ist daher auch nichk verstandesmähig meßbar:
weder mit dem Flächenmaß noch mik dem Punkkier-
zirkel, noch mik dem Weslenlängenmaß der Farbtöne
oder durch Farbanalyse^

Nur ein Narr wkrd'sich einreden, er könne, was
am Tone des Geigers wesenhast ist, durch akustische
Messung der Schwingungszahlen und Klangfarben
bestimmen oder gar den Ausdrucksgehalt eines flpäken
Rembrandk durch Nachprüfung mit der Farbskala
erfassen. Bis zu dlesem Punkk dringt der Verstand
und verstandesmäßiges Erklären — wie Prinzhorn
. meint— nicht weiter.

> Der Quellpunkt künstlerischer Erzeugung liegk allein
- im künstseris chen Gefühl, die Skärke der

> Ausstrahlung eines Kunstwerns alleln in der Skärke
der dadurch heroorgerufenen Gefühlsauslösung.

Es sind also psychische Vorgänge, die ein Kunstwerk
entstehen und im Beschauer erleben laflen.

Bei solchen bestimmenden künstlerischen Eindrücken
verhalken wir uns in Wirklichkeit passiv, ste rei-
en uns ohne unseren Willen fort. Es ist nur eine
albe Sache, durch Inhalkserläuterung zu versuchen,
eine künstlerlsche Schöpfung vom Beschauer oder
Hörer wirklich erfaffen laflen zu wollen. Denn dieses s
Vorgehen wendet stch wesentlich an den Verstand.p

Obrist sprichk daher mik einem gewissen RechrüBM
„Gift des Erklärens elnes Kunstwerks' sim bisherigen
Sinne).

Das Ungeelgneke dieses nur oder hauptsächlich
rakionalen Verfahrens beweist die allgemein erkannke ,
Tatsache, daß im Unterricht, zumal in der Kunst- i
geschichte und Literakurgeschichke, gerade durch lang- s
stielige Erläuterungen die Berührung zwischen den ;
seelischen Dorgängen bei Lehrer und Schüler, sofern '
sie überhaupt vorhanden sinü, nichk gefunden werden. /
Auch technische Erklärungen führen nichk welt.

Das Wichklge ist das Aufnehmen des seelischen !
Gehalts des Kunstwerks. Wir können dis Stärke
dieser vom Kunstwerk ausgehenden Kräfie nicht nur ;
 
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