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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 6.1926

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Heft 4 (April 1926)
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Segmiller, Ludwig: Künstlerische Erziehung und Unterbewusstsein
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https://doi.org/10.11588/diglit.23685#0079

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lung des Kunstwerkes an sich, die es ohne weiteres
nuf den Beschauer überträgt. Auch die künstlerische
Erziehung wurde zu sehr aus das Verstandesmähige
zugerichtek Damit soll keineswegs die Bedeukung
der intellektuellen Erziehung herabgeseht werden,
denn ohne sie gäbe es keine exakten Wissenschafken.
AndererseitS liegk es auf der Hand, daß durch die
Ileberschätzung der einen Gruppe notwendigerweise
eine Unkerschähung, wenn nicht Mißachkung (troh
der energischen Bersuche der künstlerischen Lehr-
kräfke) der anderen Werte erfolgen muhke. Der
gröhte Prozentsah unserer berühmkesken Künstler,
Kunsthandwerker, auch Kunstindustriellen, ferner der
Architekken, der Musiker, Dichker und ein Teil un-
serer Zngenteure und Erfinder muhten sich, von den
Schulen weggestohen, schwer durchs Leben kämpfen.
Ein nicht geringerer anderer Teil der motorisch-
schöpferischen Begabungen vermochte sich nur schwer
an unseren Bildungsanstalten zu behaupken, weil die
Fächer, nach denen hin ihre Veranlagung inklinierke,
nichk gewertet wurden.

Bei ganz nüchterner und kühler Erwägung wird
durch die Forderung der künstlerischen Begabung —
und die moderne Psychologie behaupket, dah seder
Mensch einen gewissen Grad von künstlerischer Be-
gabung besitze — ein Ausweg offen gelassen, der in
ein berufliches Reservegebiet einmündet. Eine Be-
leuchkung dieses Problems vom idealen Skandpunkk
aus dürfte sich erübrigen. Iedenfalls sehen wir in
der Förderung der künstlerischen Begabung eine der
wichkigsten Aufgaben des Wlederaufbaues.

Menn wir uns der Aufschlietzung künstlerischer
Beranlagung nähern wollen, so mutz versucht wer-
den, den Wurzelbereich, aus dem iyre Bekäkigung
wächst, zu ergründen.

Nakurgemäß steht die Seele des Kindes dem Unker-
bewuhksein am nächsten. ste mehr der rakionale
Ueberbau, das heihk also die Erfahrungstaksachen,
die Zweckziele des Handelns und die darauf ein-
gelkellte Erziehung in die Sphäre des Bewußtseins
füyrk, desto weiker enkfernk sich die Kindesseele von
den unkerbewuhten Borgängen.

Es ist daher notwendig, schon die ersten Aeuhe-
rungen graphischer oder plastischer Bekäkigung des
Ktndes genau zu beobachken. Möchte man es für
möglich halten, dah es schwer ist, heuke in ganz
Deukschland solche Beobachtungen zu sämmeln und
dah nur wenige aufbewahrke Arbeiten aus der ersten
Kindeszeit zu finden sind!

Einige Psychologen bezeichnen solche erste Kriz-
zeleien und sonstigen künstlerischen Anfangstättg-
keiten als Ergebntsse des spielerischen Bekätigungs-
dranges. Uns scheink die Begriffsfeststellung des
spielerischen Betäkigungsdranges nichk eindeukig ge-
braucht zu sein, denn man wendek thn nichk nur auf
die Krizzeleien der Kinder, sondern auch auf die
Lrwachsenen an, die etwa aus Langeweile, in einer
Gesellschaft während eines Bortrages oder während
des Telepyonierens entstanden sind. Diese sind in
der Tat in den meisten FSllen nichts anderes als
Ergebnisie des spielerischen Betäkigungsdranges.

Auch in der ersten Täkigkeik des Kindes gibk es
manches festzustellen, das sich auf die gleichen Mokive
zurückleiten läßt.

Aber ebenso sicher ist, dah ein anderer Teil der
geäuherken Täkigkeiten — und er ist bestimmt nicht
der Kleinere — aus tieferen Urgründen entspringt.

Wir sehen in diesen Täkigkeiken und Krizzeleten
eine Umsehung, d. h. Sichkbarmachung
von Empfindungen.

Erstlingskrizzeleien offenbaren auch dem Laien: Es
kann sich hier nicht etwa um Auslegen des Betäki-
gungstriebes oder um das Hervorbringen gewisier
Geräusche handeln (obgleich diese Dinge vielleichk
niitspielen), sondern es handelt sich um ungebundene
rhythmische Darstellungen, welche aus unkerbewuß-
ken Schwingungen hervorgehen. Das Kind hak ganz
unbewußt, also weitab von oberbewuhker Ueber-
wachung, das Bedürfnis, eine innere Borstellung
(Borstellungsbild, Anschauungsbild) wiederzugeben,
gleichviel in welcher Ärt und in welchem Material
dies geschiehk.

Wenn ein Kind z. B. wahllos in irgend ein Stück
Holz Nägel einschlägk oder aber, wenn es diese in
Baters Kommode eintreibk, die ihm zu glakt, zu wenig
geziert erscheink, so liegen verschiedene Bewegungs-
gründe vor. stm ersten Fall handelt es flch um Be-
tätigungsdrang, im zweiken Fall aber um Gestalkungs-
trieb, der sich in gebundenem oder ungebundenem
Rhythmus Sußerk. Alle Erstlingsäutzerungen graphi-
scher Art bestehen aus solchen Rhythmen, seien
es nun die Zickzack-Bogenformen oder Parallel-
führungen. Das Ktnd kämpfk zunächst mik den
Schwierigkeiten der Darstellungsmiktel. Daher wird
häufig eine schon vorhandene Form als Symbol für
die Empfindungen genommen. Wenn man so einen
kleinen Künstler fragk, was er sich unker seiner Zeich-
nung vorstellk, so empfängk man oft die verblüffend-
sten Antworken. Gerne wird die gleiche Darstellung
für verschiedene oft ganz^entgegengesehke Borstel-
lungsinhalte ausgegebeniMeder, der sich mit solchen
Beobachtungen befatzk hak,' erkennt, daß der helße
Wunsch, bestimmke Rhythmen, bestimmke Farbharmo-
nien festzuhalten, ohne jed e Z iel - undZweck-
sehun g stark vorhanden isk..I

Das Kind möchke seine Borstellungsbtlder (An-
schauungsbilder) und Empfindungen flch selbst und
der Umwelk flchkbar machen. Allerdings wird es hie-
bei anfänglich durch die Schwierigkeit der Führung
von Stifk und Pinsel usw., also durch manuelle Hemm-
nisie, gestörk. -

Aedenfalls steht fest, daß chm gar nicht s d ar a n
liegt, seine Darstellungen irgendwie nach Rich-
t i gkeit oder D e vklichkeik durchzuarbeiken und
zu überprüfen. 3m Gegenteil.

Umsehung unkerbewußker Empftn-
dungen isk„zunSchsk alleiniges Ztel
der Aebung.H -

Bekrachtet MIn das schwer zugängliche Makerial
frühzeikiger künstlertscher BekStigung des Kindes, so
leuchket es ein, wie sehr unkerbewußke Regungen die
Beranlasiung des Gestalkens flnd. Schon in den
ersten Krizzelelen beobachket man eine gewiffe, oft
gleichförmige Bewegung, die man fast als einen
Paratlelismus der Form bezeichnen könnte. Dieser
wird nicht von außen her veranlaßk, sondern ist ohne
Zweifel Ilmwerkung parafleler Empfindurwsschwin-
gungen. Dazu kreken dann kontrastierende Bewegun-
gen, ekwa Oval- und Bogenform, spitze Haken- und
Winkelformen.

Auch dle Farbe wird höchskenS ganz im Anfang aus
spielerischem Bekäktgungsdrang aufgelegt. Gar bald
erscheinen offenbar sehr beliebte Zweiklänge, z. B.
Rok und Grün oder Äelb und Blau, die immer wieder
 
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