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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 9 (September 1932)
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Händel, Hugo: Kunst und Kitsch
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0156
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neben Rubens, Raffael neben Perugino und Michel-
angelo. Liebermann ist ohne Manet, Hofer ohne Cezanne
und Gauguin nicht zu denken. Sie werden die Maler
der kunstverständigen Gesellschaft, sie decken den
Bedarf der oberen Tausend an Kunst. Sie bestimmen
den Maßstab für das Kunsturteil der Gesellschaft, sie
stellen sich häufig als Lehrer an Kunstschulen vor die
Erkenntnis junger Kunst, indem sie nur gelten lassen,
was ihren Ruhm nicht schmälert. Sie bestimmen das
Niveau einer künstlerischen Kultur.
Als Kunst zweiten und dritten Ranges muß die üb-
liche Gesellschaftskunst gelten, die den Bedarf der
größeren Masse des zahlfähigen Publikums an Por-
träts, Landschaften und Malerei aller Art deckt, die
Mode- und Pressekunst. Vieles davon ist nicht weit
vom Kitsch entfernt.
Und schließlich ist alles, was den Bedarf der brei-
ten Volksmasse, der Armen, an sogenannter Kunst
deckt, Kitsch. Die schlimmsten Beispiele sind die Still-
leben aller Art in den Bildeinrahmungsgeschäften von
Paris über Berlin bis New-York und Peking, die Haide-
landschaften, Sonnenuntergänge, Feen- und Amoretten-
bildchen, die Waldkulissen der Vorstadtbühnen, die
Landschaften auf Kissen, Gobelins und Wandtellern,
„handgemalte" und gedruckte Kunstpostkarten, „hand-
gemalte", d. h. übermalte Photovergrößerungen von
Familienangehörigen, ferner die noch massenweise die
guten Stuben füllenden Öldrucke und Nippessachen,
Die süßlichen Bilder der Parfüm-, Zigaretten-, Schoko-
laden- und Margarineindustrie. Das alles ist fabrik-
mäßig nur um des guten Geschäfts willens hergestellt,
Mit grellsten, oberflächlichsten, bombastischen Mitteln
und Effekten sind für den primitivsten Geschmack der
Unwissenden all die Dinge dargestellt und zurecht-
frisiert, die im Leben schön sind, an denen das Publi-
kum seelisch Interesse nimmt und mit Rührung hängt.
Der Laie ist zufrieden, wenn er seinen geliebten Ge-
genstand, sein geliebtes Motiv ähnlich sieht und
wiedererkennt. Ob das eine schöne Frau oder ein
Kind, eine Frühlings-, Mond- oder Sonnenuntergangs-
landschaft, ob ein Pferde-, Autorennen oder Fußball-
spiel ist. Um Kunstform und feinere geistige, höhere,
starke, individuelle Darstellung kümmert er sich nicht,
da er davon noch nichts weiß. Ein Sonnenuntergang
an sich ist gewiß ein herrliches Ereignis, aber weder
durch objektive, photographische Darstellung, noch
durch die Wiedergabe mit gröbsten Mitteln wird er
schon zur Kunst.
Gerade weil seine starken Farbeffekte den Nicht-
künstler zur Effekthascherei verführen, ist die Wahl
solcher Motive als Objekt der Kunst so gefährlich und
schwierig. Man ist nämlich' versucht, den Inhalt mit
der Form zu verwechseln, die Kunstform, d. h. den
Stil über den Stoff zu vergessen. Es kommt aber in
der Kunst nicht auf den Stoff, das Was, den Inhalt an,
sondern auf den Stil, die Kunstform, das Wie. Es gibt
natürlich auch künstlerisch gelöste Sonnenuntergänge,
z. B. v. Rembrandt, Corot, Turner, Segantini, v. Gogh
und manchem Impressionisten.
Eine schöne Frau kann als Bild und Kunstwerk häß-
lich sein. Eine alte, häßliche Frau durch die Kunst ge-
adelt und schön. Wenn das nicht wahr wäre, müßte
die Darstellung von Engeln, Blumen und anderen
„schönen Sachen" immer Kunst sein. Oder die Mode-
zeitschriften der eleganten Welt müßten die Blätter
der Kunst ersetzen können.
Man könnte Kitsch formulieren als die süßliche,
schablonenhafte Verflachung der hohen Kunst im Sinne
der Massenfabrikation und Konfektionsware. So kann
aus jeder Kunst Kitsch gemacht werden durch bewußte
Popularisierung, Entgeistigung, Wiederholung, Nach-
ahmung für irgend einen Zweck der geschäftlichen
Ausnutzung, ob das Raffael oder Rembrandt, die An-
tike oder die Gotik, ob Expressionismus, Impressio-
nismus oder die neue Sachlichkeit ist.

Das Publikum sollte in der Kunst nicht den Begiifl
des Schönen im mißverstandenen Sinne des Renais-
sanceideals wie bei den Friseurladenbildchen odei
Filmdivenphotos so sehr betonen, sondern dafür das
Starke, Herbe oder Individuelle, Eigenartige setzen.
Dürers Holzschnitte oder Barlachs oder Riemenschnei-
ders Plastiken sind gewiß nicht schön im Sinne eines
verwässerten Raffaelschen Madonnenideals, sie sind
aber echt, urwüchsig, stark, herb, eigenartig. Gerade
so Grünewald oder Hodler.
Ein schönes Bild im Laiensinne braucht noch nicht Kunst
zu sein. Ein Kunstwerk kann primitiv und grob sein. Alle
erstmalige neuschöpferische, wegebahnende Kunst wird
Zeichen des Suchens undTastens, des Anfangs haben,
da sie ohne Vorbild und Vorarbeit schaffen muß. Das
elegant Virtuose, die geschickteste Handschrift kann ein
Zeichen von Leere oder Mache, ohne innere Anteil-
nahme sein. Die eleganten, sehr geschickten Presse-
und Modezeichnungen sind sicher gutes Können, aber
nicht hohe Kunst wie die primitive und derbe Hand-
schrift eines v. Gogh, Cezanne oder Barlach.
Die noch ungeschickte, primitive stammelnde Tech-
nik einer Kinderarbeit kann mehr Kunst sein als die
virtuose Arbeit eines Gesellschaftsmalers, da sie noch
mehr Möglichkeiten in sich trägt und einheitlicher in
Sprache und Form unverbildeter, echter, erstmalige!
sein kann. Gerade wie die Werke der Eingeborenen,
wie jede Frühkunst aller Kulturen mehr mit Kunst z'u
tun haben können, weil sie so urhaft, so echt, so un-
verbildet, so eigenartig, so stark Zeichen tiefen, see-
lischen und geistigen Erlebens sind.
In der Technik ist's doch ähnlich. Das Segelflug-
zeug, mit dem der Lehrer Schulz den Weltrekord auf-
stellte, war primitiv und grob, wurde von einer Jury
als unbrauchbar zurückgewiesen und war doch wert-
voller für die Entwicklung des Segelflugs als die ele-
ganten, säubern, fabrikmäßig hergestellten Flugzeuge
von heute.
Viele Laien, auch gebildete, verlangen von der
Kunst die Naturkopie im Sinne der Photographie oder
der naturwissenschaftlichen Richtigkeit und Objek-
tivität, wie sie das verstehen.
Daß das ein Irrtum ist und Kunst vor allen Dingen
Subjektivität, individuellste Sehart, gefühlsmäßiges,
intuitives Schaffen, vereint mit handwerklichem Kön-
nen, bedeutet, möchte ich an folgendem, krassem
Beispiel beweisen: Bei einem Gewittererlebnis im
Freien wirkt die Natur auf alle Sinne mit den unend-
lichen Mitteln ihrer großen Skala. Aufs Gesicht durch
Farben, Linien, Helldunkelgegensätze. Aufs Gehör
durch Donnergrollen, Regen- und Blätterrauschen, Pras-
seln und Knacken von Ästen. Aufs Gefühl durch den
Luftdruck und die Luftbewegung, Kälte oder Hitze und
Sturm. Auf den Geruch: man riecht die dampfende Erde,
die blühende und grünende Vegetation. Ja fünftens
schmeckt man Regen, Erde, Unweher. Aber der Künst-
ler hat nur schlichtes weißes Papier oder weiße Lein-
wand und die paar Farben, welche die chemische In-
dustrie ihm zur Verfügung stellt. Er hat nur die Mög-
lichkeit, auf den Gesichtssinn zu wirken. Daraus folgt
das Recht und die Pflicht, Nebensachen wegzulassen,
Wichtiges zu betonen, zu verstärken, zu übertreiben.
Er muß nach subjektivstem Ermessen in diese erdrük-
kende Mannigfaltigkeit der Natur eine künstlerische
Ordnung bringen durch Intensivierung, Verdichtung,
Rhythmisierung. Er wird Dichter, Baumeister der Fläche
sein müssen, will er ein Werk schaffen, das als Gleich-
nis des Naturgeschehens gleichwertig, wenn auch
anders geartet neben der Natur bestehen und eine
starke Wirkung ausüben kann. Diese Verwandlung der
Natur im Kunstwerk kann so weit gehen, daß sie der
Vorstellung des Laien nicht mehr entspricht. Da Kunst
das Resultat intensivster, geistiger Arbeit ist, muß der
Laie bemüht sein, das Denken, die Auffassung, die
Gestaltungsgrundsätze, den Schöpferwillen des Künst-

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