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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 9 (September 1932)
DOI Artikel:
Händel, Hugo: Kunst und Kitsch
DOI Artikel:
Fiedler, Johannes: Realistisches Bildungsideal und Kunsterziehung
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0157

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IL,|S in selbsttätiger Arbeit zu erarbeiten. In dieser
Aibeii und Erkenntnis liegt der Wert des Kunsterleb-
nisses, nicht in dem Genuß des dargestellten Natur-
ciusschnittes. Die Einheitlichkeit, die Intensität der Dar-
stellung, d. h. der subjektive Stil, sind ein Maßstab
der Qualität. Diese Einheit kann mit vielen, sie kann
üLich mit wenigen Mitteln erreicht werden. Sie wird
durch die Schwingung, Bewegung und Spannung zwi-
schen den Einzelformen des Werks, durch ihre Farben-,
Union- und Helldunkelbeziehungen erreicht. Sie be-
stellt im Rhythmus der feinsten Schwingungen. Sie
kann immer anders, immer neu sein. Kunst ist Bewe-

gung, ist immer neues Leben, immei neue Erfindung,
Neudichtung. Ist nicht Erstarrung, Formel, Schema,
Zwang, Vorschrift, Gesetz.
Kunst ist in ihrem Letzten und Tiefsten aber weder
mit dem Verstände und Willen zu machen, noch wieder
zu erfassen und zu erklären. Kunst ist Geheimnis wie
der letzte Grund des Seins. Sie kommt aus dem Un-
endlichen, Unfaßbaren, aus dem Urgrund allen Geistes
und Lebens und ist wie dieses nur dem geistig und
seelisch gleich Gestimmten fühlbar und erlebbar.
Wenn Ihr's nicht fühlt,
Ihr werdet's nicht erjagen."

JOHANNES FIEDLER-DRESDEN:
REALISTISCHES BILDUIMGSIDEAL UND KUNSTERZIEHUNG

Na t u r u n d Kultur sind die wesentlichen Lehr-
stoffgebiete des modernen Zeichenunter-
lichts. Er beschäftigt den Schüler anschaulich und ge-
staltend mit der Natur seiner Heimat. Mit ihren Einzel-
wesen -- Pflanze, Tier, Mensch. Mit den Stätten ihrer
vielfältigen Lebensgemeinschaft — der heimatlichen
Landschaft. Er beschäftigt ihn anschaulich und gestal-
tend mit der Kultur seiner Heimat. Mit Sitte und Le-
bonsgewohnheit der Mitmenschen, mit ihrer differen-
zierten Werktätigkeit und Technik. Mit den Sammel-
punkten ihres Kulturwerkes —- Dorf und Stadt — in
Gegenwart, Geschichte und Sage. Auf der Oberstufe
ist der Zeichenunterricht spezielles Kulturfach. Er be-
schäftigt den Schüler anschaulich und nachschaffend
mit bildender Kunst, deren Werke seine engere und
.vollere Heimat erfüllen.
Die Entwicklung des Zeichenunterrichts hat also seit
1900 lehrstofflich vorn toten Modell und von der
Voilage zum realen Leben, zu Natur und Kultur ge-
luhrl. Zeichnen ist ein allgemein lebenskundliches
Ichiliich geworden. Wie Deutschi Mit dem Deutsch-
unterricht ist es auch strukturverwandt. Hier gramma-
tische und phonetische Übungen, dort werktechnische
Übungen, um den regelrechten Gebrauch der Werk-
zeuge, Materialien, des Handarmapparates zu erler-
nen. Hier allgemein lebenskundlich gerichtete Auf-
atzübungen, dort allgemein lebenskundlich gerich-
tete Bildübungen: Darstellung, Gestaltung! Hie Werke
rei Dichtkunst, dort Werke der bildenden Kunst.
Zeichnen und Deutsch gehören lehrstofflich zum Kreis
je r Realfächer: Biologie, Geographie, Physik,
Geschichte. Dort dieselben Lehrstoffgebiete: Natur,
i.ultur. In Biologie: die Organismen der Natur —
Mensch, Tier, Pflanze. In Geographie: die Erdober-
iluclio bez. die Landschaft mit ihren organischen Le-
nensgemeinschaften sowie das Wirtschaftsleben des
Menschen. In Physik: Industrie- und Verkehrstechnik
jIs moderne Kulturgebiete. In Geschichte: Gesamtkul-
lur und Zivilisation in ihren zeitlicher, Entwicklungs-
zuständen.
Biologie, Geographie, Physik, Geschichte — rea-
listische Spezialfächer. Deutsch, Zeichnen — allgemein
icalistische Fächer. Auch der Zeichenunterricht ver-
irklicht somit in Gemeinschaft mit den genannten
löchern das realistische Bildungs ideal.
Im vergangenen Jahrhundert herrschten in der höhe-
K’ii Schule das humanistische Bildungsideal und seine
Muirakteristischen Lehrfächer Griechisch, Latein. Man
.vollte P- isönlichkeiten nach antikem Muster bilden.
Am Ausgang stellte sich das realistische Bildungs-
ivleal mit den genannten Fächern auf gleiche Stufe.
Man will heute Gegenwartsmenschen bilden,
,reiche die Natur ihres Vaterlandes und die Kultur
Mos Volkes kennen. An dieser Bildungsaufgabe ist
Zeichnen beteiligt. Auch der Zeichenunterricht ver-
mittelt Kenntnisse von Natur und Kultur. In Bio-

logie, Geographie, Physik, Geschichte erfaßt der
Schüler die wissenschaftlichen Werte, in Deutsch und
Zeichnen die künstlerischen Werte der gleichen Leht-
stoffgebiete. Beide zusammen geben ihm ein abgerun-
detes Lebensbild. Deshalb kam am Ausgang des vo-
rigen Jahrhunderts mit den Realien der Zeichenunter-
richt in die höhere Schule. Zuletzt bis Oberprima.
Wozu diese Betrachtung? Well der Beitrag der Lehr
Stoffe des Zeichenunterrichts zur Wissenssub
stanz des Schülers noch übersehen wird. Man be-
tont, daß diese Lehrstoffe Mittel zur Bildung von Tech
nik und Geist sind.
Hierzu ein Wort der sächsischen Denkschrift 1926
Deshalb darf auch der Werl des Stofflichen in
der Schularbeit nicht unterschätzt weiden. „Die Bil
dungswerte und Bildungsgüter dürfen" — um mit Litt
zu reden — „nicht zu bloßen Mitteln des see-
lischen Prozesses, zu bloßem Material, an dern
die Funktion sich entwickelt, ... herabsinke n" -
Seite 45.
Fachvertreter, Freunde und Fördeiei der Kunst
erziehung haben am 30. November 1931 zur Protest
Versammlung im Berliner Rathaus und nachfolgend in
„Kunst und Jugend" hauptsächlich darauf hingewie-
sen, daß der moderne Zeichenunterricht in der höheren
Schule ein unentbehrliches Mittel zur Formalbil-
dung des Menschen ist.
Er entwickelt Handfertigkeiten im Gebrauch
verschiedenster Bildtechniken. Er bildet Geist
und Persönlichkeit des Schülers. Seinen Werk-
trieb, seine Gestaltungskräfte: Beobachtung, Vorstel-
lung und Phantasie, sein Gemüt und sein Kunstver-
ständnis.
Das Zitat der sächsischen Denkschrift läßt erkennen,
daß damit für unsere Zeit die Vollwertigkeit des
Zeichenunterrichts noch nicht bewiesen ist, wenn seine
anerkannt formalbildenden Lehrstoffe nicht z u
gleich substantiellen Bildungsv/ert besitzen,
d. h., zur W i s s e n s b i I d u n g beilragen. Vollweilig
nennt dieselbe Denkschrift d i e Lenrstoffe, welche
aus den „Bezirken des Lebens" stammen und die „erste
Orientierung in Natur und Kultur" vermitteln - S, 35
Das sind zunächst die Lehrstoffe der realistischen
Spezialfächer auf wissenschaftlicher Seite.
Es ist Sache des Zeichenunterrichts, daraufhinzuwei-
sen, daß er mit den gleichen Lehrstoffen arbeitet, also
auf künstlerischer Seite ebenfalls das Wissen des
Schülers bereichert: von Natur- und K u 11 u r s c h ö n-
h e i t, von künstlerischen Techniken und der E n t-
stehung des Kunstwerks, von bildender
Kunst.
Mit Recht betonte Professor Dr. Kurth im Berliner
Rathaus, daß die vom Zeichenunterricht zu entwickeln-
den Fertigkeiten und Kräfte des Willens, des Geistes
und des Gemütes allgemeinmenschJiche An-
lagen sind, daß also der Zeichenunterricht ebenso-

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