ERNST FRITZ-DORTIVIUND:
KUNSTERZIEHUNG IN NOT. Protestkundgebung im Berliner Rathaus
Der Reichsbund Deutscher Kunsterzieher lud am
30. November zu einer großen öffentlichen Kund-
gebung ein in den Bürgersaal des Berliner Rathauses,
um Einspruch zu erheben gegen die rücksichtslosen
Sparmaßnahmen, die den Zeichen- und Musikunterricht
an den höheren Schulen Preußens vernichtend getrof-
fen haben. Die Berliner Kollegen und Kolleginnen hat-
ten die Veranstaltung bestens vorbereitet; besonders
erfreulich war dabei, daß neben unsern vier Ver-
bänden auch die nicht dem Reichsbund angehören-
den Berliner Kunsterzieherverbände in treuer Arbeits-
gemeinschaft zusammenstanden; nur diesem Umstande
wai es zu verdanken, daß die Kundgebung auf so
breiter Grundlage aufgebaut und durch eine peinlich
genaue Vorbereitung der Erfolg gewährleistet werden
konnte. Die Presse war bearbeitet, Einladungskarten
waien verschickt worden, Plakate riefen zum Be-
suche auf und in letzter Stunde war es noch gelun-
gen, für die erste halbe Stunde der Veranstaltung den
Rundfunk (Deutsche Welle) zu erhalten. Demi rührigen
Berliner Aktionsausschuß spreche ich auch an dieser
Stelle den herzlichsten Dank des Reichsbundes aus
für die im Dienst der Allgemeinheit und unserer Sache
geleistete Arbeit und die mit ihr verbundene Mühe.
Ein besonderes Verdienst erwarb sich der Ausschuß
durch die Gewinnung führender Männer und Frauen
des Berliner Geisteslebens als Redner an unserm Pro-
lestabend; wir gingen dabei von dem Gedanken aus,
daß es am wirkungsvollsten wäre, wenn für die ge-
fährdete Kunsterziehung nicht von den eigentlichen
„beamteten" Fachleuten das Wort ergriffen würde,
sondern wenn sich aus dem großen Kreis von Interes-
sierten, die durch ihre Liebe zur Kunsterziehung Fach-
leute und Kollegen werden, Verteidiger finden wür-
den. Um es gleich zu sagen: das ist glänzend gelun-
gen, und es war eine Freude zu sehen, wie schneidig
die Waffen für die Kunsterziehung geführt wurden,
und auf welch beachtenswerter geistiger Höhe die
Darbietungen standen.
Der Rundfunk ist nicht jedermanns Sache, und es
gibt Leute, die der Meinung sind, daß das bekannte
Wort „Zu einem Ohr hinein, zum andern hinaus", ein
Wort, das zwar schon viel älter ist als Radio, erst
durch diese Erfindung an Bedeutung gewonnen hat.
Bei einer solchen Veranstaltung ist der Rundfunk aber
als modernstes Reklamemittel nicht zu unterschätzen,
Ein kleiner Nachteil der genau befrisleten Sprechzeit
besteht darin, daß der Einladende, in diesem Falle
ich als Vorsitzender des Reichsbundes, nur in aller-
kürzester Form die Gäste begrüßen konnte.
Pünktlich auf die Minute erhielt ich das Zeichen
zum Beginn. Wer in der liebgewordenen Gewohnheit
des akademischen Viertels zum Rathaus wandelte,
mußte unverrichteter Dinge wieder umkehren, da der
große Saal wegen Uberfüllung geschlossen worden war.
Um dom Augenblickserfolg der Beiliner Kundgebung
Dauer zu geben, und auch die Amlsgenossen, die
weit von Berlin sitzen, nachträglich an der Veranstal-
tung teilnehmen zu lassen, bringt hiermit unsere Zeit-
schrift die meisten Reden im Wortlaut. Wir danken
den Reieienten für die liebenswürdige Überlassung
ihrer Ausarbeitung.
Zwei Minuten Sprechzeit waren mir bewilligt. Voll-
kommen genug, denn andere sollten zu Wort kommen.
Meine Ansprache am Rundfunk lautete:
„Der Reichsbund Deutscher Kunsterzieher ist hoch-
oifreut, daß seiner Einladung so viele Freunde der
Kunsterziehung gefolgt sind. „Kunsterziehung in Not!"
Idutet das Motto unserer Protestkundgebung gegen
den Abbau des Zeichen- und Musikunterrichtes an
den höheren Schulen Preußens. Eine der wesentlich-
sten Errungenschaften der Preußischen Schulreform
war es, die Bedeutung der Kunsterziehung erkannt und
ihr im Lehrplan der höheren Schule die notwendige
Geltung verschafft zu haben.
Hingebungsvolle begeisterte Arbeit zeitigte all-
gemein anerkannte Erfolge, um die auch das Ausland
die deutsche Schule beneidete.
Die harmonisch allseitige Erziehung und Persön-
lichkeitsbildung ist das Ziel der modernen Schule.
In richtiger Erkenntnis wurde zur Erreichung dieses
Zieles neben die intellektuelle Ausbildung als gleich-
berechtigt. die andere Hälfte menschlicher Geistigkeit
gestellt: das Gefühl, das Intuitive.
Alle Welt schreit heute in Deutschland nach dem
schöpferischen Menschen, und gerade der Unterricht,
der die schöpferischen Kräfte weckt und entwickelt
und hinführt zum Verständnis der Werke der Kunst,
wird abgebaut.
Während der wissenschaftliche Unterricht etwa 5'/<
einbüßt, wird das eine künstlerische Lehrfach Zeich-
nen an einzelnen Schularten um 22 und 28%, am
Reform-Realgymnasium sogar um 33% verkürzt. Noch
trostloser gestaltet sich das Bild auf der Oberstufe.'
Dazu kommt noch die Einschränkung der Arbeitsge-
meinschaften und des Werkunterrichtes.
Bei der Musik finden wir dasselbe, ebenso an den
höheren Schulen für die weibliche Jugend. Damit ist
die Kunsterziehung auf den Stand von vor 1900 zu-
rückgeworfen.
Sollte der Rembrandt-Deutsche sein köstliches Buch
vergeblich dem deutschen Volke geschenkt haben?
Haben wir es hier, wie eine Hamburger Protestver-
sammlung sagte, mit einem Generalangriff der Kultur-
reaktion auf das Schulwesen zu tun?
Inzwischen mehren sich die Anzeichen, daß diese
Art Sparen als falsch erkannt wird: so folgten die
andern deutschen Staaten trotz gleicher Not dem
Beispiel Preußens nicht, so wurden in Elternversamm-
lungen scharfe Worte dagegen gesprochen und nam-
hafte deutsche Männer und Frauen setzten sich in
Wort usnd Schrift gegen den Kulturabbau und für die
Kunsterziehung ein.
Sparen muß sein, das weiß jeder; heißt das aber
an der richtigen Stelle sparen? Ein süddeutscher Mu-
seumsdirektor überschrieb seinen Abwohraufsatz mit
„Sich — tot —- sparen."
Der Reichsbund Deutscher Kunsterzieher wendet
sich an die Ellern und Lehrer, die deutschen Fach- und
Hochschulen, die führenden Männer und Frauen in
Kunst und Wissenschaft,Technik und öffentlichem Leben.
Wir rufen sie alle auf, die von deutscher Seele1
etwas wissen und zu künden haben,
sie alle, die an Deutschlands glücklichere Zukunft
durch schöpferische Persönlichkeiten und einen toi
chen Schatz an kulturellen Gütern glauben.
Wir erheben mit ihnen feierlichen Einspruch gegen
die durch die Notverordnung unausbleibliche Vernich-
tung des Kunstunterrichtes an den höheren Schulen
und fordern Zurücknahme der Stundeneinsparung, be-
vor sie dauernden Schaden verursacht.
Alle, denen Kunsterziehung Herzenssache ist, sind
sich einig in dem Gelöbnis:
Wir glauben an die hohe Aufgabe der Kunsterziehung^,
Wir glauben an ihre Unentbehrlichkeit,
Wir glauben an die deutsche Jugend!
Der Beifall, der allen Ansprachen folgte, zeigte die
innere Verbundenheit der Redner mit ihren Zuhörern.
Als erster Redner nahm hierauf Herr Oberstudien-
direktor Dr. Reiske das Wort.
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KUNSTERZIEHUNG IN NOT. Protestkundgebung im Berliner Rathaus
Der Reichsbund Deutscher Kunsterzieher lud am
30. November zu einer großen öffentlichen Kund-
gebung ein in den Bürgersaal des Berliner Rathauses,
um Einspruch zu erheben gegen die rücksichtslosen
Sparmaßnahmen, die den Zeichen- und Musikunterricht
an den höheren Schulen Preußens vernichtend getrof-
fen haben. Die Berliner Kollegen und Kolleginnen hat-
ten die Veranstaltung bestens vorbereitet; besonders
erfreulich war dabei, daß neben unsern vier Ver-
bänden auch die nicht dem Reichsbund angehören-
den Berliner Kunsterzieherverbände in treuer Arbeits-
gemeinschaft zusammenstanden; nur diesem Umstande
wai es zu verdanken, daß die Kundgebung auf so
breiter Grundlage aufgebaut und durch eine peinlich
genaue Vorbereitung der Erfolg gewährleistet werden
konnte. Die Presse war bearbeitet, Einladungskarten
waien verschickt worden, Plakate riefen zum Be-
suche auf und in letzter Stunde war es noch gelun-
gen, für die erste halbe Stunde der Veranstaltung den
Rundfunk (Deutsche Welle) zu erhalten. Demi rührigen
Berliner Aktionsausschuß spreche ich auch an dieser
Stelle den herzlichsten Dank des Reichsbundes aus
für die im Dienst der Allgemeinheit und unserer Sache
geleistete Arbeit und die mit ihr verbundene Mühe.
Ein besonderes Verdienst erwarb sich der Ausschuß
durch die Gewinnung führender Männer und Frauen
des Berliner Geisteslebens als Redner an unserm Pro-
lestabend; wir gingen dabei von dem Gedanken aus,
daß es am wirkungsvollsten wäre, wenn für die ge-
fährdete Kunsterziehung nicht von den eigentlichen
„beamteten" Fachleuten das Wort ergriffen würde,
sondern wenn sich aus dem großen Kreis von Interes-
sierten, die durch ihre Liebe zur Kunsterziehung Fach-
leute und Kollegen werden, Verteidiger finden wür-
den. Um es gleich zu sagen: das ist glänzend gelun-
gen, und es war eine Freude zu sehen, wie schneidig
die Waffen für die Kunsterziehung geführt wurden,
und auf welch beachtenswerter geistiger Höhe die
Darbietungen standen.
Der Rundfunk ist nicht jedermanns Sache, und es
gibt Leute, die der Meinung sind, daß das bekannte
Wort „Zu einem Ohr hinein, zum andern hinaus", ein
Wort, das zwar schon viel älter ist als Radio, erst
durch diese Erfindung an Bedeutung gewonnen hat.
Bei einer solchen Veranstaltung ist der Rundfunk aber
als modernstes Reklamemittel nicht zu unterschätzen,
Ein kleiner Nachteil der genau befrisleten Sprechzeit
besteht darin, daß der Einladende, in diesem Falle
ich als Vorsitzender des Reichsbundes, nur in aller-
kürzester Form die Gäste begrüßen konnte.
Pünktlich auf die Minute erhielt ich das Zeichen
zum Beginn. Wer in der liebgewordenen Gewohnheit
des akademischen Viertels zum Rathaus wandelte,
mußte unverrichteter Dinge wieder umkehren, da der
große Saal wegen Uberfüllung geschlossen worden war.
Um dom Augenblickserfolg der Beiliner Kundgebung
Dauer zu geben, und auch die Amlsgenossen, die
weit von Berlin sitzen, nachträglich an der Veranstal-
tung teilnehmen zu lassen, bringt hiermit unsere Zeit-
schrift die meisten Reden im Wortlaut. Wir danken
den Reieienten für die liebenswürdige Überlassung
ihrer Ausarbeitung.
Zwei Minuten Sprechzeit waren mir bewilligt. Voll-
kommen genug, denn andere sollten zu Wort kommen.
Meine Ansprache am Rundfunk lautete:
„Der Reichsbund Deutscher Kunsterzieher ist hoch-
oifreut, daß seiner Einladung so viele Freunde der
Kunsterziehung gefolgt sind. „Kunsterziehung in Not!"
Idutet das Motto unserer Protestkundgebung gegen
den Abbau des Zeichen- und Musikunterrichtes an
den höheren Schulen Preußens. Eine der wesentlich-
sten Errungenschaften der Preußischen Schulreform
war es, die Bedeutung der Kunsterziehung erkannt und
ihr im Lehrplan der höheren Schule die notwendige
Geltung verschafft zu haben.
Hingebungsvolle begeisterte Arbeit zeitigte all-
gemein anerkannte Erfolge, um die auch das Ausland
die deutsche Schule beneidete.
Die harmonisch allseitige Erziehung und Persön-
lichkeitsbildung ist das Ziel der modernen Schule.
In richtiger Erkenntnis wurde zur Erreichung dieses
Zieles neben die intellektuelle Ausbildung als gleich-
berechtigt. die andere Hälfte menschlicher Geistigkeit
gestellt: das Gefühl, das Intuitive.
Alle Welt schreit heute in Deutschland nach dem
schöpferischen Menschen, und gerade der Unterricht,
der die schöpferischen Kräfte weckt und entwickelt
und hinführt zum Verständnis der Werke der Kunst,
wird abgebaut.
Während der wissenschaftliche Unterricht etwa 5'/<
einbüßt, wird das eine künstlerische Lehrfach Zeich-
nen an einzelnen Schularten um 22 und 28%, am
Reform-Realgymnasium sogar um 33% verkürzt. Noch
trostloser gestaltet sich das Bild auf der Oberstufe.'
Dazu kommt noch die Einschränkung der Arbeitsge-
meinschaften und des Werkunterrichtes.
Bei der Musik finden wir dasselbe, ebenso an den
höheren Schulen für die weibliche Jugend. Damit ist
die Kunsterziehung auf den Stand von vor 1900 zu-
rückgeworfen.
Sollte der Rembrandt-Deutsche sein köstliches Buch
vergeblich dem deutschen Volke geschenkt haben?
Haben wir es hier, wie eine Hamburger Protestver-
sammlung sagte, mit einem Generalangriff der Kultur-
reaktion auf das Schulwesen zu tun?
Inzwischen mehren sich die Anzeichen, daß diese
Art Sparen als falsch erkannt wird: so folgten die
andern deutschen Staaten trotz gleicher Not dem
Beispiel Preußens nicht, so wurden in Elternversamm-
lungen scharfe Worte dagegen gesprochen und nam-
hafte deutsche Männer und Frauen setzten sich in
Wort usnd Schrift gegen den Kulturabbau und für die
Kunsterziehung ein.
Sparen muß sein, das weiß jeder; heißt das aber
an der richtigen Stelle sparen? Ein süddeutscher Mu-
seumsdirektor überschrieb seinen Abwohraufsatz mit
„Sich — tot —- sparen."
Der Reichsbund Deutscher Kunsterzieher wendet
sich an die Ellern und Lehrer, die deutschen Fach- und
Hochschulen, die führenden Männer und Frauen in
Kunst und Wissenschaft,Technik und öffentlichem Leben.
Wir rufen sie alle auf, die von deutscher Seele1
etwas wissen und zu künden haben,
sie alle, die an Deutschlands glücklichere Zukunft
durch schöpferische Persönlichkeiten und einen toi
chen Schatz an kulturellen Gütern glauben.
Wir erheben mit ihnen feierlichen Einspruch gegen
die durch die Notverordnung unausbleibliche Vernich-
tung des Kunstunterrichtes an den höheren Schulen
und fordern Zurücknahme der Stundeneinsparung, be-
vor sie dauernden Schaden verursacht.
Alle, denen Kunsterziehung Herzenssache ist, sind
sich einig in dem Gelöbnis:
Wir glauben an die hohe Aufgabe der Kunsterziehung^,
Wir glauben an ihre Unentbehrlichkeit,
Wir glauben an die deutsche Jugend!
Der Beifall, der allen Ansprachen folgte, zeigte die
innere Verbundenheit der Redner mit ihren Zuhörern.
Als erster Redner nahm hierauf Herr Oberstudien-
direktor Dr. Reiske das Wort.
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