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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 2 (Februar 1932)
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Gahlbeck, Rudolf: Photographie und Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0038

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RUDOLPH GA HLBECK- SCHWERIN: PHOTOGRAPHIE UND KUNST

In dem Aufsatz „Photographie und Kunstunterricht''
| im Augustheft von „Kunst und Tugend" versucht
Einst Lorenz, Dortmund, den Nachweis zu erbringen,
daß die heutige Photographie „ohne weiteres als
Kunstgattung anzuerkennen" ist, weil sie „unter dem
Einfluß der neuen Sachlichkeit eine.., Ausdrucksweise
erlangt hat, daß sie mit Recht einen Platz neben
den bisher üblichen bildend-künstlerischen Flächen-
lechniken beanspruchen kann".
Eine Frage vorweg: ist hier „Neue Sachlichkeit"
bezüglich der betreffenden Malrichtung gemeint oder
will sie im weiteren Sinne verstanden sein? Das
eischeint deswegen zweifelhaft, weil an anderer
Stelle von dem „schädlichen Einfluß der Malerei" auf
die Photographie gesprochen wird, während er hier
doch offenbar als fördernd hingestellt ist.
Uber das eigentliche Thema, den Wert der Einbezie-
hung der Photographie für den Kunstunterricht, ist
nicht zu streiten. Er ergibt sich offensichtlich, wenn
in der ausgangs skizzierten Art verfahren wird, was
ich aus eigener Praxis bestätigen kann. Eine andere
i rüge aber ist es, ob die Photographie „ohne weiteres
.ils Kunstgattung" anzuerkennen und „mit Recht neben
Ju> Malerei" zu stellen ist.
Um es gleich zu sagen: ich verneine das und bin
überzeugt, nicht der einzige zu sein.
Die Lorenzschen Betrachtungen müssen m. E, zum
Fehlschluß führen, weil er einmal Teile — und mögen
diese noch so wichtig seinl — fürs Ganze nimmt, —
.vobei der wichtigste, der nämlich, welcher ein Kunst-
werk letzten Endes entscheidend bestimmt, unberück-
sichtigt blieb, und zum andern, weil in der Beziehung
zwischen Urheber und Werk der gleiche wichtige
Punkt nicht gewürdigt wurde.
„Das Fortschreiten der Malerei" wird damit begrün-
det, daß sie sich angesichts der Erfolge der Photo-
yiaphie „bedroht" fühlt und sich demzufolge auf
das „nur ihr zukommende Gebiet zurückzieht". Es
eischeint nicht eben glücklich, ein „Fortschreiten" als
Rückzug infolge Bedrohung" anzusprechen, wobei
liier nicht auf die Grenzen der Malerei überhaupt und
iie als heilsam gepriesene „Einengung" eingegangen
weiden soll. Wenn dieser Fortschritt im Übergang
,om „Darstellen" zum „Gestalten" erblickt wird, wobei
jas „Gestalten" als das Höhere gilt, dann dürfte
die Malerei dahin Vordringen, sich aber nicht dar-
auf zurückziehen.
Nun wäre kurz etwas Grundsätzliches zu dieser
liennung zwischen „Darstellen" und „Gestalten" zu
jgen, wenn auch Mißverständnisse in Anbetracht der
liier gebotenen Kürze kaum zu umgehen sein wer-
den. Mir erscheint es doch recht bedenklich, solche
bestimmten Zuordnungen vorzunehmen. Denn gibt es
,n der Malerei tatsächlich „reines Abbilden'',
:eine „Naturwiedergabe", reine „Darstellung"? Ich
,i,die für den Nachweis eines Gemäldes sehr dankbar,
jus in obigem Sinne nur Darstellung wäre. Bisher
renne ich keins. Diese, heute so oft anzutreffende
liennung vermag ich nur aus Gründen der Ubersicht-
.chkeit anzuerkennen, nicht aber als gültige Setzung
■inor in Wahrheit klar vorhandenen Grenze.
Innerhalb der Malerei kann m. E. nur von graduel-
en Unterschieden des Gestaltens gesprochen
,'.oiden im Hinblick auf Richtung, Sloffwahl und Ver-
alten zur Natur. So gesehen, würde ein vermutlich
:ls „Darstellung" bezeichnetes Bild auf der ersten,
,.in „gestaltetes" auf jeweils anderen, bzw. höheren
ftufen des Gestaltens stehen. Denn selbst bei —
^genommen — redlichstem Bemühen der Malerei
.in „icine Darstellung" ist niemals der Stempel des
i y i s ö n I i c h e n aufhebbar, der, ganz abgesehn von
_;Iom anderen, schon im „Handschriftlichen liegt

und liegen muß. Wenn also überhaupt von „reiner
Darstellung" gesprochen werden soll, so bliebe sie
und selbst hier noch bedingt — der Photographie
Vorbehalten. Denn der Apparat hat keine „Gesichts-
sinneserlebnisse" und das daraus „entsprungene Leben
der Form". (Vgl. den Aufsatz „Darstellendes und
gestaltendes Zeichnen" von H. Herrmann im gleichen
Heft.) Wo aber wären diese „Erlebnisse" beim Zeich-
nen und Malen fortzudenken? Es gilt allerdings, die-
sen Punkt im Auge zu behalten, denn er ist einer der
entscheidensten des ganzen Fragenkomplexes,1
Nehmen wir nun aber einmal an, die Malerei wäre
zu „reiner Darstellung" wirklich imstande, wo bliebe
dann das für diese Betrachtung ebenso wichtige Ele-
ment der Farbe? Wenn die Ablösung durch die
Photographie erfolgen soll, was nach Lorenz „nicht zu
bedauern" wäre? Hier wird offenbar ganz die Ver-
schiedenartigkeit der künstlerischen Bega-
bung soWohl wie der künstlerischen Absichten
übersehen, und die „Darsteller" hätten demnach
zweckmäßigerweise Pinsel und Palette mit der
Kamera zu vertauschen, ganz zu schweigen von einer
entsprechenden Parallelen auf dem Gebiet der Dicht-
kunst etwa oder anderer Kunstzweige, wo ja die
gleichen Unterschiede vorliegen, Das Ergebnis einer
diesbezüglichen Rundfrage in „darstellenden" Kreisen
würde sicherlich fürLorenz recht überraschend ausfallen.
Die Farbe spielt also in unserm Fall demnach eine
untergeordnete Rolle, denn anders bliebe es unerklär-
lich — zur Zeit wenigstens — wieso die Photographie
die „darstellende Aufgabe der Malerei zu überneh-
men wohl imstande " sein soll, Lorenz sagt zwar, nach
der Seite der „F o r m Wiedergabe" hin, aber über die
andere, ebenso wichtige Seite der Farbwiedergabe
schweigt er sich aus. Demgegenüber genügt doch
wohl der Hinweis, daß unzählige Werke der sog.
„darstellenden" Malerei durch die Farbe erst recht
eigentlich den Stempel des Künstlerischen erhalten.
Und selbst, wenn man an farbige Photographie denkt
— und bisher kann man das leider nur mit einigem
Grausen —wird diese, und sei sie noch so „kultiviert",
niemals imstande sein, eine Wirkung von gleich künst-
lerischer Eindringlichkeit zu erreichen, wie dies die
„darstellende" Malerei vermag.
Mit dem hier zu erwartenden Einwand,1 daß die Pho-
tographie das auch gar nicht will, auf Grund eben
einer sicherlich beachtlichen und begrüßenswerten Her-
auskehr ihrer Eigengesetzlichkeit,* ist aber noch keines-
falls gesagt, daß sie neben der Malerei steht.
Denn — und nun kommen wir zu dem von mir ein-
gangs erwähnten Punkt — von der Hand des Künstlers
fließt ein derartig feines und geheimnisvolles Fluidum
in das Werk über, um mit der gleichen verschwiege-
nen Magie aus diesem zurückzustrahlen, wie sie ein
auf mechanischem Wege erreichtes Lichtbild niemals
in dem Maße ausstrahlen kann. Dabei ist der wichtige
Unterschied zwischen der Wirkung des Objekts
an sich und der der Wiedergabe stets zu
beachten, denn gerade von der Verkennung
dieses Unterschiedes lebt zum großen
Teil die Photographie! „Schön", sagt v. Schint-
ling, „ist die Natur sehr häufig schon an und für sich,
Kunstwerk ist sie nie. Wer Kunst mit ästhetischen
Qualitäten für wesensgleich hält, irrt. Deshalb erfaßt
auch die rein ästhetische Bewertung nie das Wesent-
liche der künstlerischen Leistung."
* Audi Dr. F. Schnafj spridit von dem „durdigreilenden Untersdiied
eines mehr objektiven, saditreuen, auf die Dinge zielenden Ge-
stallungswillens — nidil DarslellungswillensI und einer idibe-
Ion|en Bekonnlnisboreitsdiafl." (Siehe hierzu den Aufsal) unlci „Um
schau" im Auguslhetl, 1931).

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