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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 3 (März 1932)
DOI Artikel:
Kolb, Gustav: Goethe
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0050

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Deutsche Blätter für Zeichen» Kunst» und Werkunterricht

Zeitschrift des Reichsverbandes akademisch gebildeter Zeichenlehrer und Zeichenlehrerinnen


Verantwortlich für die Schriftleiiung: Prof. Gustav Kolb, Stuttgart, Ameisenbergslr. 65
Druck, Expedition und Verlag: Eugen Hardt G, m. b, H. Stuttgart, Langeslrafje 18
Für Besprechungsexemplare, Niederschriften oder andere Einsendungen irgendwelcher Art wird eine Verantwortlichkeit nur
dann übernommen, wenn sie erbeten worden sind + Schreibt sachlich klar und einfach I Meidet alle entbehrlichen Fremdwörter

12, Jahrgang März 1932 Heft 3
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GUSTAV KOLB-STUTTGART: GOETHE

Es ist seit dem Krieg in Deutschland Sitte gewor-
den, in den Schulen und darüber hinaus die gro-
Uon Männer unseres Volkes zu ehren. Das ist gut so.
filtern wirtschaftlich und seelisch-, niedergebrochenen,
innerlich zerrissenen, verarmten Volk muß man seine
Helden zeigen, damit ' es zu diesen Sternen im
Dunkel seines augenblicklichen Daseins in Ehrfurcht
jutschaue und neuen Glauben an seine guten Kräfte
und an seine Zukunft gewinne.
Ein unerhörtes Glück für ein Volk,, wenn es Helden
ehren kann, deren Talen noch unmittelbar wirksam
sind oder gar über den Augenblick hinaus wegleitend
m die Zukunft weisen! /
Zu diesen Männern gehört ohne Zweifel Johann
Wolfgang Goethe, dessen Andenken in diesen
lagen einmütig das deutsche Volk und darüber hin-
aus wohl die gesamte Kulturwelt, mindestens aber
die Gebildeten des Abendlandes, feiern. Woraus wir
entnehmen: Goethe wurzelt wohl ursprünglich ganz
und gar in seiner Heimaterde, in seinem Volk —
woher anders hätte er denn seine Ursprünglichkeit
und Unmittelbarkeit! —; aber er ist mit seinem Wirken
gewaltig zum Licht emporgewachsen, ein Baum ge-
worden, dessen Äste und Zweige weit hinausragen
in die Gefilde der Menschheit.
Wenn ich es hier unternehme, mich dem Genius, wie
es sich gebührt, in Ehrfurcht zu nahen, um ihn mit
einigen bescheidenen Worten zu würdigen, so tue
ich es in der Überzeugung, daß wir Kunsterzieher vor
anderen Veranlassung haben, ihn zu ehren,
i + +
Goethe war Augenmensch: „Zum Sehen
geboren, zum Schauen bestellt." „Das Auge war vor
allem das Organ, womit ich die Welt faßte," bekennt
er in „Dichtung und Wahrheit". Dort können wir auch
iiüchlesen, wie frühe schon er in den Bannkreis der
bildenden Kunst getreten ist: „Ich hatte von Kindheit
auf zwischen Malern gelebt und mich gewöhnt, die
Gegenstände in bezug auf die Kunst anzusehen" er-
fühlt er später. Aber ein Glück war es für ihn, daß er
sich nicht nur passiv mit Kunst beschäftigte — was
.brigens seiner zum Schaffen drängenden Natur nicht
gemäß gewesen wäre —, sondern frühzeitig schon
feichnen lernte.
Sein Vater, sonst ein trockener, dem Nützlichen zu-
gowandter Mann, ging ihm und seinet Schwester dar-
n „auf eine musterhafte Weise vor". Er hatte, nacn
Jom Zeugnis des Sohnes, nie gezeichnet, wollte nun

aber, da seine Kinder diese Kunst trieben, nicht zu-
trückbleiben, sondern Ihnen selbst in seinem Alter ein
Beispiel geben, wie sie in ihrer Jugend verfahren
sollten . . . „Zeichnen müsse ein jeder lernen, be-
hauptete er und verehrte deshalb besonders Kaiser
Maximilian, welcher dies ausdrücklich sollte befohlen
haben."
Diese bemerkenswerte Stelle in „Dichtung und
Wahrheit", zusammengenommen mit anderen Zeit
stimmen aus dem zu Ende gehenden 18. Jahrhundeit,
beweist uns, daß Zeichnen damals als allgemeines
Bildungsmittel hoch im Kurse stand — trotz der damals
üblichen dürftigen, ja gründlich verkehrten Zeichen-
pädagogik.
Wie lernte nun der kleine Wolfgang zeichnen? Auch
darüber hat der alte Goethe eingehend berichtet.
Sein erster „Zeichenmeister" war ein „guter alter
Mann," „nur ein Halbkünstler".
„Wir mußten Striche machen und sie zusammenset-
zen, woraus denn Augen und Nasen, Lippen und
Ohren, ja zuletzt ganze Gesichter und Köpfe ent-
stehen sollten; allein es war dabei weder an natür-
liche noch künstlerische Form gedacht. Wir wurden
eine Zeitlang mit diesem qui pro quo der mensch-
lichen Gestalt gequält, und man glaubte uns zuletzt
sehr weit gebracht zu haben, als wir die sogenann-
ten Affekten von Le Brun zur Nachzeichnung erhielten
Nun schwankten wir zu den Landschaften, zum Baum-
schlag und zu allen den Dingen, die im gewöhnlichen
Unterricht ohne Folge und Methode geübt werden.
Zuletzt fielen wir auf die genaue Nachahmung und
auf Sauberkeit der Striche, ohne uns weiter um den
Wert des Originals oder dessen Geschmack zu küm-
mern."
Wer in der Geschichte des Zeichenunterrichts be-
wandert ist, weiß: So oder ähnlich war die Zeichen-
methode damals, und noch über ein Jahrhundert spä-
ter, allenthalben, nicht nur in Deutschland, beschaffen.
Welch unverwüstlicher Bildnerdrang muß den Kna-
ben beseelt haben, daß er sich durch diesen geist-
und sinnlosen Drill in seinen Zeichenversuchen nicht
abschrecken ließ I Es ist nicht auszudenken, was
Goethe, der von sich erzählt: „überhaupt hatte ich
nur Freude an der Darstellung meiner inneren Welt,
ehe ich die äußere kannte", für seine seelisch-geistige
Entwicklung gewonnen hätte, wenn er in der Erwek-
kung seiner bildnerischen Gestaltungskräfte den Weg
von der inneren Vorstellung zur äußeren Anschauung
geführt worden wäre, den wir heute mit der Jugend
gehen.

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