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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 7 (Juli 1932)
DOI Artikel:
Busse, Wilhelm: Die Beurteilung der Schülerarbeiten im Zeichen- und Kunstunterricht
DOI Artikel:
Zum Abbau: meine Ansicht über den Zeichen- und Kunstunterricht, [6]
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0127

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den sich schon in Quinta und Quarta Schüler, die gern
und mit Erfolg sachliche Darstellung treiben. Normaler-
weise dürfte es vom geistigen Stand der Klasse ab-
hängig sein, wenn Sachzeichnen Erfolg versprechen
soll. Das wird in Unter- und Obertertia der Fall sein.
Die Beurteilung erstreckt sich lediglich auf zeichne-
rische Darstellung der Einzelformen. Dazu ist selbst-
redend eine genaue Kenntnis der Merkmale von Dar-
stellungsformen der einzelnen Altersstufen Voraus-
setzung, um der in Frage kommenden Entwicklungs-
stufe gerecht zu werden. Nebenbei läßt sich auch ein
Schluß auf die Entwicklung des Raumgefühls ziehen,
das für sich selbständig genommen natürlich nicht zur
Beurteilung steht. Jedoch ist die Kenntnis des augen-
blicklichen Standes wichtig zur allgemeinen Einschät-
zung des Schülers. Um den erreichten Grad dieser
Entwicklung festzustellen, schiebe ich schon von Quarta
ab vierteljährlich eine Klassenarbeit ein, die nur als
einfache Umrißzeichnung aus der Vorstellung angefer-
ligt wird. Themen sind: Frühstückstisch, Topfmarkt, Kü-
chengeräte, Herdplatte mit Töpfen, Ecke eines Lebens-
mittelgeschäftes mit Fässern, Krügen und Eimern, Glas-
gefäße im chemischen Laboratorium, Schaufensterecke
mit ausgestellten Waren, Bücher auf dem Arbeitstisch,
usw. Diese Arbeiten ermöglichen auch, das Gefühl
der Schüler für die Verteilung der Massen in der
Fläche (des Zeichenblattes) zu erkennen, doch kann
man das genügend bei Arbeiten freier Gestaltung
beobachten. Die Entwicklung des Raumgefühls wird
durch das Fortschreiten von der Anordnung der Ge-
genstandsformen übereinander zum deutlichen Hinter-
einander und Uberschneiden deutlich sichtbar. Paral-
lel damit läuft die allmähliche Umstellung von der
Darstellung im Aufriß- oder Grundrißmäßigen zur per-
spektivischen Erscheinung, was meist mit dem 13. und
M. Lebensjahre klar einsetzt, wenn keinerlei vorzei-
tige Beeinflussung nach dieser Richtung hin vorge-
nommen wurde. Erfolgt sie schon, ehe der Schüler
innerlich dafür reif ist, besteht das Ergebnis meist in
unverstandenem zeichnerischen Ausdruck. Es gibt in
last jeder Klasse immer einige Ausnahmen, die schon
recht zeitig Sinn für Raumwirkung zeigen, ebenso
sind aber auch in den oberen Klassen Schüler vor-
handen, die vor dem Objekt vielleicht Befriedigendes
leisten, aber bei einer der oben genannten Aufgaben
in die Auffassung eines 11- oder 12-Jährigen zurück-
lallen. Ob hier intensive Einwirkung des Zeichenleh-
ters am Platze ist oder ob ein Mangel in der Ver-

anlagung oder irgend eine andeie Hemmung vorliegt,
muß eine Untersuchung ergeben. Unter Umständen
müssen solche Schüler dann auf irgend einem anderen
Gebiete beschäftigt werden, bei dem flächenhafte
Auffassung am Platze ist.
Alle diese angestellten Überlegungen möchte ich
nunmehr für die praktische Beuiteilung, wie ich sie
vornehme, etwa so zusammenfassen:
Die künstlerische Wertung bezieht sich auf
Gesamtwirkung (dabei ist schon typische, großzügige
und detaillierte Gestaltung zu unterscheiden), Aufbau
und Linienführung, Hell-Dunkel und Farbe.
Die psychologische Wertung berücksich-
tigt visuelle Einstellung (eidetische Veranlagung),
überlegendes Konstruieren, Vorstellungsleben und
Handgeschicklichkeit,
Die pädagogische Wertung fragt nach der
zeichnerischen Form, die durch das Augenmaß bedingt
ist und nach dem Tiefensehen, für welches das Raum-
gefühl grundlegend ist.
In welchem Umfange nun die Anwendung dieser
Wertungsgruppen möglich ist, hängt von den ver-
schiedensten Umständen ab. Bei der starken Beset-
zung unserer Klassen heute gehört große Energie und
Arbeitskraft dazu, die Arbeiten in dieser intensiven
Weise durchzumustern. In vielen Fällen werden aber
nur einzelne Teile der genannten Beurteilungsgruppen
in Frage kommen, sie hängen ja auch stets von der An
der zu prüfenden Arbeit ab, weiter von der dem betref-
fenden Alter gemäßen Denkstufe. Hin und wieder
prüfe ich auch nicht die einzelne Arbeit, sondern eine
ganze Gruppe von Arbeiten desselben Schülers in
großen Zügen, es vereinfacht die Wertungstätigkeit
und ergibt ein noch geschlosseneres Bild von einem
bestimmten Zeitabschnitt. Wesentlich scheint mir aber,
daß nicht nur eine einseitige künstlerische oder päda-
gogische oder psychologische Wertung vorgenommen
wird, sondern daß mindestens einmal im Vierteljahr
der ganze Komplex zur Auswirkung kommt. Die No-
tizen über die Leistungen der Schüler werden sich
auf diese Weise nicht nur auf Nummern beschränken,
sondern sie werden auch Stichworte aufweisen, welche
von den Eigentümlichkeiten des Betreffenden berich-
ten. Wenn das Endergebnis schließlich doch in einer
kalten Zahl ausmünden muß, weil die Schultechnik es
so verlangt, so kann man sich dot-h mit gutem Gewis-
sen sagen, daß man alles getan hat, um der Eigenart
des Schülers gerecht zu werden.

ZUM ABBAU: Meine Ansicht über den Zeichen- und Kunstunterricht
(2. Fortsetzung; siehe lieft 5, Seite 85 und Heft 6, Seite 98 usw.)

Ich halte den Zeichen- und Kunstunterricht auf den
höheren Schulen für ein grundwesentliches Teilstück
der allgemeinen Ausbildung, weil dadurch zunächst
die von Natur meist fehlende Fähigkeit zu sorgfältiger
und systematischer Beobachtung geweckt und
geschärft wird; darüber hinaus aber eröffnet dieser
Unterricht — so wie er heute gefordert und betrieben
wird—, dem Schüler den Zugang zu dem ganzen Reich
ästhetisch-künstlerischer Werte und damit zu einem
der wichtigsten Gebiete des allgemeinen Bildungs-
inhalts.
Der RückI11 in die frühere einseitige Bevorzugung
einer nur intellektualistischen Schulung, wie er durch
die vorgesehene Abdrosselung des Zeichen- und
Kunstunterrichts vollzogen würde, ist meiner Überzeu-
gung nach auf das Entschiedenste zu verurteilen und
zu bekämpfen.
Prof. Dr. Wackernagel,
Universität Münster i. Westf.

Das Goethejahr mag besonderen Anlaß geben, die
Bestrebungen des „Reichsbundes Deutscher Kunst-
erzieher" zu unterstützen. Goethe erzählt in „Dichtung
und Wahrheit" von dem Wert, den sein Vater bei der
Erziehung auf das Zeichnen legte: „Zeichnen müsse
jedermann lernen, behauptete mein Vater, und hielt
mich ernstlicher dazu an als zur Musik."
Man sieht ja immer mehr ein, ein wie kluger und
weitschauender Erzieher und Lehrer der Kaiserliche
Herr Rat gewesen ist, wie seine vielseitige Aus-
bildung und Anleitung des großen Sohnes es dem
erleichtert hat, seinem Genie schon früh bedeu-
tende Leistungen abzugewinnen. Das Sehenlernen
durch Zeichnenlernen hat daran nicht den kleinsten
Anteil.
Auch kann uns die Folge Goethescher Zeichnungen
und Aquarelle die wir kennen, gut darüber belehren,
welche bedeutende Rolle ein geübtes Auge und eine
etwas ausgebildete Hand auch in einem Leben spielt,

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