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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 11 (November 1932)
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Grauerholz, Hermann: Das formende und bildhafte Gestalten im neuen Tanz des Mädchen
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0206

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HERMANN GRAUERHOLZ-BREIVI ER HAVEN:
DAS FORIVIENPE UND BILDHAFTE GESTALTEN liVi NEUEN TANZ DES MÄDCHENS


Beitelszene aus dem Kinderbewegungschor „Der grausame Inselkönig".
Unbeeinllufjte Bildgestallung durch 8jähriges Grundschulkind inner-
halb des Klassenunlerrichts
In der Zeitschrift für gestaltende Arbeit „Die Form"
und in den deutschen Blättern für Zeichen-, Kunst- und
Werkunterricht stelle ich immer wieder fest, daß die
Formaufgaben des neuen Zeichen- und Kunstunterrich-
tos sielt immer stärker im Bildungsziel mit der neuen
Uiiuotischon Bewegungsoizieltung des Kindes berüh-
ren. Fast scheint es mir so, als bedeutete die Lebhaf-
tigkeit und die Gegenständlichkeit, mit der im Lager
der Zeichenlehrer die Fragen der neuen Unterrichts-
gestaltung in den letzten Jahren behandelt wurden,
die Vorwegnahme einer Entwicklung, in die jetzt die
tänzerische Bewegungsbildung unserer Mädchenschu-
len hineingeraten ist. Bei uns Bewegungslehrern
kommt es jetzt darauf an, die theoretischen, prak-
tischen, seelenkundlichen Erkenntnisgrundiagen zu ge-
winnen für die über den einfachen nachahmend dar-
stellenden Kinderreigen hinausgewachsene tänzerische
Entbindung bildhaften und formenden Gestaltens. Der
Bewegungsiehrer steht mit dem Zeichenlehrer in den
gleichen kunsterzieherischen Fragestellungen; Grund-
schulkinder mit ihrem ursprünglichen Schöpfungsver-
mögen, Reifekinder mit ihrer gespalteten Bildekraft
sehen sie beide an. Die Gegenseitigkeitsbeziehung
zwischen beiden Fachlehrern drängt geradezu zur
weiteren beispielhaften Belegung, im Sinne einer sol-
chen wünschenswerten Querverbindung zwischen
Kunstunterricht und tänzerischem Bewegungsunterricht
sind diese Ausführungen überhaupt gemeint.
Eine in diesem Zusammenhänge beachtenswerte An-
schauung vertritt Elsa Nicklaß in „Kunst und Jugend",
wenn sie in ihrem Aufsatz: „Kunstunterricht und szeni-
sches Spiel" äußert: „Der Kunstunterricht wächst, er
wächst in den Zielen und in den Mitteln vom flächigen
zum körperhaften Gestalten mit Plastilin und Ton.
Warum nicht gleich mit dem lebendigen Menschen-

material? Es ist nur ein Schritt weiter. Ein scheinbar
großer und doch so kleiner Schritt — und wii sind
beim szenischen Spiel."
Diesen Schritt vom gekneteten Ton oder Paslilin zum
selbstbewegten Körper macht das Grundschulkind rnil
größter innerlicher Anteilnahme. Irr dem Bcv/egungs-
chor der Grundschulklasse ist das Kind noch mit naivei
ungebrochener Urpantomime sein eigener Weikstoff
und sein eigener Werkmeister. Es ist ein bildhaftes
Gestalten heraus aus der ganzen Lebendigkeit dos
Inhaltlichen einer Bewegungsgeschichlo, die es mit
seinem Lehrer im Gesamtunterricht gewonnen hat. Es
nimmt die passive und aktive Bewegung mit gleicher
Hingabe und Andacht noch als wahren Geslallungs-
ausdruck auf der ganzen Linie. Der der ganzen Klasse
gemeinsame Erlebnishinlergrund gibt die gioßen Möy
lichkeiten für eine bewegte bildhafte Ausgestaltung,
die alle Vorzüge einer Gemeinschaftsarbeit in sich
vereinigt, da die gruppentänzerische Handlung nie-
mand am Wege des Mitschaffens zmückläßl.
Nach der Durchführung bewegungschoiischer Hand-
lungen war ich jedesmal wiedei in der Grundschule
darüber überrascht, wie seht die tänzerische Befreiung
gestaltende und darstellende Kräfte sich weiteiälrah-
lend auswirken ließ in der Lebendigkeit, Gegenständ-
lichkeit und Geschlossenheit der zeichnerischen Ge-
staltung. Als zeichnerisches Belcyboispiel füge ich
diesen Ausführungen die unbeeinflußte Bildgestallung
eines achtjährigen Grundschulkindes hinzu aus dem
Kinderbewegungschor: Der grausame Inselkönig. Den
Gestaltungsanreiz gab icli innerhalb des Gesamtunter-
richtes unmittelbar nach der Tanzstunde. Die Kinder
durften sich ein Tanzbild aus dem soeben getanzten
Bewegungschor aussuchen. Die meisten Kinder ent-
schieden sich für die spannunggeladene Bettelszene,
in der sie mit Bittgesten die geraubte Mitschülerin sich
vom König wiederholen wollten. Im gleichen Zusam-
menhänge füge ich ein Bild hinzu aus der Mappe des
Studienrats Paul Kunze, der Gast dieses tänzerischen
Spieles war und den Gleichklang und die Reihung in
eine ihm eigene zeichnerische Lösung brachte.
Ich nehme an, daß der Angriff der inhaltlich getra-
genen tänzerischen Bev/egung auf das „ganze Kind"
noch viel große Möglichkeiten für Bewegungsskizzen
und Handiungsbilder bringen wird. Eine am eigenen
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Die gleiche Bollelszone. Aus der Bildmappe von Sludiemal Kümo.

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