Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

DOI Heft:
Heft 1 (Januar 1932)
DOI Artikel:
Kolb, Gustav: Vom Naturstudium im Zeichen- und Kunstunterricht
DOI Artikel:
Sprechsaal / Schreibe in Angelegenheit
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0027

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
langene Bildwissen war schon ganz und gar in ihre
bildnerische Phantasie eingeschmolzen und begann
in ihr seelisch zu klingen und zu schwingen, als sie
an die Aufgabe herantrat. Und ungewollt begann die
Bildfläche sich mit einem rhythmischen Linienspiel
musikalisch ornamental zu füllen. Mit dieser Feststei-
lung soll keine künstlerische Wertung der vorliegen-
den Arbeit versucht werden. Es soll nur auf die ganz
andere seelisch-geistige Grundhaltung der Zeichnerin
hingewiesen werden, als sie in den vorangegangenen
Beispielen zutagetrat. Ohne Zweifel: hier spricht sich
die Urheberin selbst aus, während der Gegenstand
nur als „Erlebnisanlaß" mitklingt. Wem könnte es auch
einfallen, eine solche Zeichnung nach den Normen
der naturtatsächlichen Richtigkeit zu beurteilen?
Naturnäher ist die folgende Zeichnung: „Bauern-
gärtchen" (Abb. Seile 14).
Wäre sie ohne vorausgegangenes Naturstudium
zu denken? Solches „Naturstudium" ist allerdings we-
sensverschieden von dem, das den vorangestellten
Beispielen zugrunde liegt. Es beruht nicht auf absicht-
lichem zergliederndem Beobachten bestimmter Pflan-
zen, denen man sich zum Zweck des Zeichnens ge-
genüberstellt, sondern auf jenem absichtslosen, un-
willkürlichen Empfangen der Bilder von außen, das
wir schauendes Erleben nennen. Die Bilder, die man
sich auf diesem Wege einverlebt, im Unbewußten
ruhen, treten dann beim Zeichnen ins Bewußtsein.
Dieses schauende Erleben klingt auch In den orna-

mentalen Pflanzenformen der Abbildungen Seite 6
wieder. Uber die Entstehung der „Springerle" unter-
richtet uns die, von unserer württ. Arbeitsgemeinschaft
hochgeschätzte Kunstlehrerin Fr. Helene Dopfer. Ich
will nur noch hinzufügen, daß diese Beispiele wieder
einmal beweisen: es ist keine Utopie, wenn wir von
der Pflege des bildhaften Gestaltens im Schulunter-
richt eine neue Volkskunst erhoffen.
Und nun zum Schluß als erhebender Auftakt unserer
kurzen Betrachtung: Das Rasenstück mit der
Akelei von Albrecht Dürer (Abbildung Seite 17).
Es ist Dürers schönste, unmittelbar vor der Natur ge-
fertigte Pflanzenzeichnung. Das Urbild ist mit Tern-
perafarben auf Pergament gemalt und stammt aus des
Meisters letzter Periode, der Periode der Apostei-
jahre und des „großen Sehens" 15261 Im Gegensatz
zum sogenannten großen Rasenstück von 1505 ist es
nicht malerisch auf die zufällige Erscheinung hin ge-
sehen. Sondern das Unerschöpfliche ist hier, wie
Wölfflin sagt, zum Wenigen und Faßbaren, zum Typi-
schen vereinfacht. Wölfflin meint: „Das Blatt beweist
auch, wo die Dürersche Kraft ihre Wurzeln hat: Die
Größe der Apostel wäre für uns weniger überzeu-
gend, wenn die Empfindung Dürers nicht gleichzeitig
und gleichmäßig auch für die kleinen und unschein-
baren Dinge der Erde wach gewesen wäre." Wie ver-
hält es sich nun hier: Spricht der Gegenstand oder
der Künstler Dürer aus dieser Zeichnung? Diese Frage'
soll unseren Lesern zu denken geben.

SPRECHSÄÄL
Am Schlagbaum der Zeit!
Kritik der abgeänderten Stundentafeln von 1928 und
der neuen Leistungsmöglichkeiten an sächsischen
Gymnasien.
Von Johannes Fiedler, Dresden
Vorliegender Aufsatj entstand um die Jahreswende 1930,31.
Die in Zahl und Bild materialisierte Arbeitszeit des Kunst-
unterrichls an sächsischen höheren Schulen galt damals
durchschnittlich auch für die übrigen Reichsländer. Heute
nicht mehr. Eine Seplembernolverordnung 193t kürzte die
Arbeitszeit des höheren Kunstunlerrichls in Preufjen auf
Mittel- und Oberstufe um rund SO0/». Dieses Ereignis be-
droht den Kunslunterridit aller Reidisländer und damit den
edelsten Teil der höheren Schulreform der leßten Jahre«
Um so mehr Ursache, die Arbeitszeit des Kunslunterrichfs
nach den augenblicklich anderorts noch geltenden Stunden-
tafeln als pädagoglsdies Problem zu betrachten. Man er-
kennt alsdann das tragische Ausmaß der preußischen Schul-
sparverordnung, sowie ihre Wirkung auf Kunst und Jugend.
In Sachsen ist die Reform des höheren Schulwesens
vorläufig beendet, d. h., die neuen Stundentafeln
sind eingeführt worden; allerdings nicht die Stunden-
tafeln der Denkschrift von 1926*, sondern die a b g c- ■
änderten Stundentafeln von 1928.
Diese sind durch weitere Verhandlungen des Mini-
steriums mit dem Sächsischen Philologenverein und
den Fachlehrerverbänden entstanden. Für den Kunst-
unterricht gelten folgende Bestimmungen:
An Aufbauschulen, Deutschen Oberschulen, Ober-
realschulen sowie Studienanste.lten für Mädchen sind
Zeichnen und Musik Pflichtfächer bis Ol.
An den vier Arten des Gymnasiums sind Zeichnen
und Musik auf der dreijährigen Oberstufe Wahl-
fächer.** Die Denkschrift schlug vor, daß die Schü-

* Die Stundentafeln von 1926 sind im Jahrbuch des Reichsverbandes
von 1927 veröflentlidil worden,
” Nach der Denkschrift — Seile 43, 131 sollle Zeichnen an allen
Schularten Pflichtfach bzw. verbindliches Lehrfach bis Oberprima werden,
Gleichzeitig wurde aber der Zeichenunterricht der Oberstufe als freier
Kursus bezeichnet — siehe Rückseite der Stundentafel und Seite 66.
Dieser merkwürdige Widerspruch, den man nur bei genauem Studium
entdeckte, förderte die Abänderungen von 1926.

ler von Oll bis Ol zwischen bildender Kunst und Musik
wählen sollten. Nunmehr hat man die beiden Fächer
mit je einer Wochenstunde zu einem zweistündigen
Kurs vereint. Dafür steht neben dem zweistündigen
Kurs der Künste am Gymnasium und Reformgymnasium
ein zweistündiger Sprachkursus Französisch, am Real-
gymnasium und Reformrealgymnasium ein zweistündi-
ger Sprachkursus Griechisch zur Wahl.
Gesamtergebnis:
Abriegelung des Zuganges zu den Künsten für
einen Teil der reiferen Schülerschaft. Sprachen und
Künste nebeneinander auf der Rennbahn des wahl-
freien Unterrichts. Sprachkurse unkündbar. Künstle-
rische Kurse jährlich kündbar.*
Es ist unwahrscheinlich, daß diese Neuregelung den
Bestand des gymnasialen Kunstunterrichts der Ober-
stufe schon sichert. Es ist wahrscheinlich, daß er sich
einen festen Platz durch Bewährung erst erkämp-
fen muß.
Mit welchen Maßstäben wird man messen?
Man wird die Kurve der Belegzahlen und die
unterrichtliche Leistung prüfen.
Stützt die Neuregelung diese doppelte Bewährungs-
aufgabe?
Ab Ostern laufen die Kurse in 02.
Ihre Besuchsziffer umfaßt schätzungsweise 50% oder
mehr der jetzigen Obersekundaner. Schwankungsmög-
lichkeiten werden solange bestehen, als die Besucher-
zahl durch Kündigungsrecht der Willkür und Unbe-
ständigkeit des Schülerwillens preisgegeben ist. Nach
der Denkschrift und geltenden Bestimmungen ist kein
Lehrfach der höheren Schule diesen Zufälligkeiten
ausgeliefert. Man muß wünschen, daß das Ministerium
den Künsten aus pädagogischen und aus Gerechtig-
keitsgründen diese Bewährungsprobe erläßt. Schüler,
welche sich in O 2 für bildende Kunst und Musik ent-
scheiden, müssen in diesem Kurs bis 01 verbleiben.
Gestattet die Neuregelung erhöhte oder gar neu-
artige Leistungen?
Diese Frage muß gestellt werden. Von jeher haben
* Denkschrift, Seife 66: Bedingung ist in jedem Falle, daß der Schüler
an dem Kurs, den er belegt hat, bis zum Ende des Schuljahres, an Sprach-
kursen bis zur Reifeprüfung teilnimmt.
 
Annotationen