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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

DOI Heft:
Heft 8 (August 1932)
DOI Artikel:
Huppert, Willy: Kunstbetrachtung an höheren Schulen
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0137

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Deutsche Blätter für Zeichen» Kunst» und Werkunterricht

Zeitschrift des Reichsverbandes akademisch gebildeter Zeichenlehrer und Zeichenlehrerinnen

Verantwortlich für die Sdiriftleifung: Prof. Gustav Kolb, Stuttgart, Ameisenbergsfr. 65
Druck, Expedition und Verlag; Eugen Hardt G. m. b. H. Stuttgart, Langestrafje 18
Für Besprechungsexemplare, Niederschriften oder andere Einsendungen irgendwelcher Art wird eine Verantwortlichkeit nur
dann übernommen, wenn sie erbeten worden sind * Schreibt sachlich klar und einfach! Meidet alle entbehrlichen Fremdwörter

12. Jahrgang August 1932 Heft 0

WILLY HUPPERT-KARLSRUHE:
KUMSTBETRACHTUNG AM HÖHEREM SCHULEM

Der praktisch tätige Zeichenunterricht hat bis jetzt
methodisch eine gewisse Klärung erfahren; „Bild-
gestaltung" und „Sachzeichnen" sind bereits so ein-
gehend durchgesprochen worden, daß bei allen er-
kannten und noch nicht restlos behobenen Schwierig-
keiten sich doch eine große zielstrebige Linie verfol-
gen läßt. Anders steht es um die Kunstbetrachtung,
die wohl eine von einzelnen vorgenommene, aber un-
verbindliche Sichtung der Stoffülle in Teilgebiete auf-
weist, aber ohne Verankerung in einer einheitlichen
methodischen Klärung dieses Unterrichtszweiges. Dem
in der Ausbildung begriffenen, jungen Zeichenlehrer
wird die Fülle des kunstgeschichtlichen Stoffes vor-
getragen und im Lichtbild vor Augen geführt. Er
schreibt fleißig mit, zeichnet sich das ihm wesentlich
Erscheinende skizzierend auf, und so erhält er einen
Überblick über die geschichtliche Entwicklung der
Kunstformen. Dieses Wissen wäre auch aus guten
Kunstgeschichten zu erarbeiten, die ja in öffentlichen
Büchereien zur Verfügung stehen. Aber dieses Wissen
genügt nicht allein, es muß auch übermittelt werden
können. Und damit beginnen die Schwierigkeiten. Wie
oben schon erwähnt, wird dem jungen Zeichenlehrer
sein Wissen durch Vortrag vermittelt; er aber muß
eine Sichtung des ungeheueren Stoffgebietes vorneh-
men und es dosiert an Menschen weitergeben, die in
einem Entwicklungsablauf begriffen sind. Es fehlt nun
bei unseim Ausbildungsgang dem jungen Kunsterzie-
her fast jegliche Anleitung zu diesem sichtenden Um-
arbeiten, er hilft sich, so gut er kann, vertraut seinem
erzieherischen Instinkt. Und so gerät er mitten in die
Schwierigkeiten des Themas: Kunstbetrachtung.
In meinen Ausführungen möchte ich die heftig um-
sirittone Frage nach der Berechtigung der Kunst-
betrachtung nicht aufwerfen; unser Lehrplan fordert
Kunstbetrachtung, Richtlinien und Zielsetzung sind
aber so weit gefaßt, daß der einzelne der Pein über-
lassen bleibt, sich zurechtzufinden. Daher betrachte
ich die folgenden Ausführungen in erster Linie als An-
regungen, die Kunstbetrachtung so zu gestalten, daß
sie an der Crziehung fördernd teilnehmen kann.
Kunstbetrachtung bedeutet für uns nicht eine philo-
sophisch-spekulative Betrachtung der Kunst an sich,
sondern ihrer jeweiligen Manifestation im gestalteten
Werk. In dem Wort Betrachten liegt ein Besinnliches,
ein Schauen in jenem Goetheschen Sinn, daß das An-
schauen vom Ansehen wohl zu unterscheiden sei. Wir

sagten, daß das Kunstwerk betrachtet werden soll,
daher müssen wir versuchen, das Wesen eines Werks
der bildenden Kunst klar zu umreißen. Nach Britsch-
Kornmann* besteht es in der geistigen Verarbeitung
der Gesichtssinneserlebnisse. Oder nach Scheffler:“
„Kunst der Malerei oder Plastik im besonderen ist
lebendige Ausdrucksform für solche Seelenvorgänge,
deren Ursprung im Optischen liegt, und die nur mit
optischen Mitteln, d. h. mit den materiellen und tech-
nischen Mitteln der Malerei und der Plastik, sonst
aber in keiner andern Weise, versinnlicht und versinn-
bildlicht werden können." Ich möchte diese beiden
Wesenserklärungen, besonders die Schefflersche, mei-
nen Ausführungen zugrunde legen.
Leider sind diese Erkenntnisse keineswegs All-
gemeingut, und auch die gebildeten Schichten zeigen
oft eine beängstigende Begriffsverwirrung über das
Wesen bildkünstlerischer Werke. Es begegnet einem
immer wieder, daß Menschen, die einem dichterischen
oder literarischen Werke gegenüber eine geradezu
fein unterscheidende Beurteilungsgabe und Einfüh
lungsfähigkeit besitzen, ratlos oder völlig ablehnend
vor einem guten Gemälde stehen. Grund dafür ist
jene Einstellung, die ein Werk der Malerei als Träger
eines außerhalb der ästhetischen Wirkung liegenden
literarischen Inhalts begriffen wissen will und ihm so
sein Eigentliches nimmt. (Worringer.) Es scheint den
Sinnen nicht möglich zu sein, den im Kunstwerk aus
vertiefter Anschauung gestalteten formalen und far-
bigen Aufbau zu geordneter höherer Einheit, unvor-
eingenommen aufzunehmen. Jede Kunst drängt danach,
mit den ihr gemäßen Mitteln, in unserm Falle also mit
Form und Farbe, aus innerer Anschauung heraus Er-
kenntnisurteile zu schaffen, deren Weilerverrnittlung
sich also wieder nur an die Organe wendet, die eine
Aufnahme des jeweiligen Werkes ermöglichen. Es gilt
somit für ein Gemälde:
„Anschaun, wenn es Dir gelingt,
daß es erst ins Innere dringt,
dann nach außen wiederkehrt,
bist am Herrlichsten belehrt." (Goethe.)
Die oben erwähnte Unempfindlichkeit läßt es begreif-
lich erscheinen, daß Menschen von anerkanntem Bil-
* Brilsch-Kornmann „Theorie der bildenden Kunst".
** Karl Scheffler „Die Europäische Kunst im 19. Jahrhunderl (Biuno
Cassirer-Verlag, Berlin).

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