FRITZ WIEDER MANN-BRESLAU: DIE KUNST IN DE R D Ü R F K I R C H E
Wenn wir mit wanderfrohem Schritt unsere Hei-
mat erobern, dann wird das Bild der kleinen
Dorfkirchen wieder zum Erlebnis. Vielleicht klingt noch
ein wenig Erinnern mit an Kindheitstage, an das hei-
matliche Dorf, Und beim Klange der Pfingstglocken
wird die stille Sehnsucht wieder geweckt. Eindringlich
und mahnend sprechen die kleinen Dorfkirchen zu uns
und die Schönheit ihrer Räume, die Kunstfülle ihrer
Schätze wird zum unvergeßlichen Erlebnis sonniger
Tage. Wir haben im Trubel der Städte, im Lärme der
Straßen das Schauen nach den kleinen, feinen Dingen
verlernt. Die Kunst der bescheidenen Kirchen führt
uns zurück in unser Kinderland. Auch an die Werke
der Volkskunst, die aus der Fülle des Alltags geschaf-
fen wurden, erinnern sie uns. Bauern und Handwerker
waren es, einfache Leute, die jene herrlichen Dinge
schufen. Was ihnen an Verständnis für große Kunst
fehlte, dasersetzten sie mit frommem Eifer und inniger
Liebe. Und dieser Schein herzlicher Anteilnahme über-
glänzt noch heute ihre Kunst und adelt alle noch so
bescheidenen Versuche.
Kirchen und Landschaft sind eins. Zur Harmonie der
welligen Hügel paßt die feinsinnige Silhouette der
schlanken Türme und aufstrebenden Pfeiler. In die
beschaulich gelagerte Ebene gehört die breite Halle
mit ihrem stolzen weithin schauenden Giebelfelde.
Holzkirchen im Waldland, Fachwerkbauten in der
Heide sprechen die Sprache des Landes. Im Berglande
sind die Mauern aus farbigen Graniten oder aus fun-
kelnden Glimmerschiefern gebaut. Das Maintal baut
seine Kirchen aus weichem Kalkstein und in Bayern
und Franken liebt man die bunt bemalten weißen
Pulzwände. Aus roten Findlingssteinen sind die schle-
sischen Gotteshäuser gebaut und das norddeutsche
Tiefland kennt überall die brennend roten Ziegel-
steine mit weißen Fugen. So hat jedes Land seine
Eigenarten, jeder Stamm seine Besonderheiten. Bau-
form und Volksseele sind miteinander vertraut und die
Kirchen werden zum Mittler der jeweiligen Eigenart.
Die Kunst beginnt mit dem Grundstein und beglei-
tet jedes Stück des Baues bis zur Turmspitze. Zugleich
sind ihre Formen der beste Maßstab für das Alter der
Kirchen. Da zeigen die starken Mauern und die run-
den Zierfriese die Kunst der Romanik an, deren Spu-
ren gar nicht einmal so selten sind. Die Gotik kündigt
sich in hohen schlanken Fenstern an, mit zierlichem
Maßwerk und schlanken Säulen. Mit kunstvollen Pfei-
lern und kühnen Gewölben. Die Pracht der Fialen
zeichnet die Portale aus und der schlanke Turmhelm
ist ein Kind jener schöpferischen Kunstepoche. Auch
die Zeichen der Renaissance sind reichlich im Kirchen-
bau vertreten. Nur zögernd entschlossen sich die Bau-
meister zu jenen Formen, die aus Italien übernommen
wurden. Aber das Barock, das im Zeichen der Gegen-
reformation seinen Einzug hält, schafft eine Welle
neuer herrlicher Kunstformen. Wie blühen und ranken
köstliche Formen, wie klingt die gewaltige Musik je-
ner Kunst aus allen Bauten. Die stolze Fassade bis zur
vollen Kuppel überglüht die Schwungkraft einer kraft-
vollen Lebensfülle und aus tausend Einzelheiten spricht
die köstliche Gestaltungskraft echter künstlerischer
Leidenschaften zu uns. Das Rokoko bringt noch ein-
mal eine Fülle von zierlichen Formen und herrlichen
Ornamenten. Bis im Biedermeier die ruhige Kurve
gleichmäßiger Entfaltung verklingt. Achthundert Jahre
lang haben deutsche Meister mit schöpferischer Kraft
an den kleinen Dorfkirchen gebaut. Dann tritt eine un-
fruchtbare Stille ein, die erst allmählich wieder von
schöpferischer Baukunst abgelöst wird.
Dem kunstvollen Äußeren unserer Dorfkirchen ent-
spricht auch die Ausstattung des Innenraumes. Auch
hier ist mit aller Liebe und Sorgfalt gearbeitet wor-
den, um eine würdige Stätte zu bereiten. Wuchtige
Gewölbe binden Wand und Decke zu einet Einheit,
die zierliche Sternform des Chores schließt den Raum
ab oder läßt die strenge Vertikale der Säulen und
Pfeiler verklingen im weichen Rundbogen der Apsis.
Farbige Malerei, in der Zeit der Gotik mit kühner
Flächenhaftigkeit ausgebreitet über alle Archilektur-
teile, zeigt Bilder aus dem Leben der Bibel oder des
alten Testamentes. Die Renaissancezeit bringt eine
streng naturalistische Malerei, während das Barock
wieder zum Ornament und zur Stilisierung übergeht.
Seltsam und von phantastischer Schönheit ist die
Bauernmalerei des 17. und 18. Jahrhunderts, die sich
nicht genug tun kann in wilden Schwüngen und gro-
tesken Figuren. Die Altäre sind mit aller bildnerischen
Pracht ausgestattet, die nur denkbar ist und die Pla-
stiken stehen an Kühnheit und Gestaltungskraft nicht
nach. Künstler von Rang sind oft auf Wunsch eines
hohen Patrones selbst für kleinste Kirchen tätig
gewesen und haben die Spuren ihrer Schöpferkraft
auch in stille, weltabgeschiedene Dörfer geleitet. Da
sind die Muttergottesstatuen aus gotischer Zeit. Streng
und herrlich, weitabgewandt und doch so gütig und
anmutsvoll. Da sind hochragende Heilige von asrce-
tischer Gestalt, fordernd und drohend und vom hei-
ligen Feuer einer unirdischen Leidenschaft verzehrt.
Das Barock bringt die üppige Fülle seiner bildne-
rischen Kunst, Bringt Maria als stolze Königin in höfi-
scher Tracht. Zeigt die heilige Kümmernis, jene selt-
same Frau mit einem Barte und allerlei wunderliche
Erscheinungen. Phantastisch in ihrei Alt, übeiflutet
von einem sprudelnden Orkan der Einfälle, oft bis zur
Groteske gesteigert. Ein Engelskonzert, lieblich und
zierlich, pausbäckige Puttos und das Heer der alle-
gorischen Gestalten mit phantastischem Beiwerk. Von
gleicher Erlebniskraft, ausgezeichnet in ihrer Wirkung,
ist die Malerei des Barock. Auch sie spiegelt getreu
den Stil ihrer Zeit und schafft Werke von erstaunlicher
Meisterschaft. Eng beisammen die Arbeiten der dörf-
lichen Handwerker und der großen Künstler. Wer aber
wollte entscheiden und einen Preis zuerkennen?
Sind nicht die Stücke der dörflichen Meister von
gleich herrlicher Art? Spricht nicht aus ihrer Naivität
mit quellfrischer Kraft die Seele unseres Volkes zu
uns? Mag ihr künstlerischer Wert geringer sein, ihr
kulturhistorischer macht alle Mängel wieder gut.
Eine Welle künstlerischer Einheit verbindet alle
Kräfte, die im Dienste der kleinen Dorfkirche tätig
waren. Ob es ein Künstler aus der großen Stadt oder
ein heimischer Handwerker war, sie haben beide die
Gemeinsamkeit kraftvoller Frömmigkeit und mensch-
lich edler Güte. Den Meister der Gotik wie den
Künstler des Barock verbindet der gleiche Impuls, die
verwandte Fülle der Erlebnisse. Und jedes Stück im
kleinen Raume zeugt von erlesener Qualität. Nichts
ist unwichtig, jedes Stück ist mii gleicher Liebe und
gleichem Können bearbeitet worden. Selbst der Kirch-
hof mit seinen Kreuzen und Grabplatten, die Glocken
im Turmstübchen und der Wetterhahn auf dem Dache,
sie alle sind Kinder des gleichen Geistes. Geboren
aus der kraftvollen Frömmigkeit eines kernigen selbst-
bewußten Volkes, hinaufgefühlt und geadelt durch flei-
ßiger Hände Werk und schöpferischen Willen zurFoim.
So sehen wir in den kleinen Dorfkirchen mehr als
etwa drittrangige Kunstwerke, die auf den Neben-
straßen des Schaffens entstanden. Aus der Fülle der
Erlebnisse, eng verbunden mit den ewig quellenden
Äußerungen der Volkskunst, wurde ihr Bild geformt.
Als Zeugen jener impulsiven Anteilnahme am Leben
ihrer Zeit ragen sie in unsere Gegenwart hinein. Wir,
die wir mit gleicher Sehnsucht nach dem Kern aller
Dinge spüren, stehen ihrem Sinne näher als jede Zeit
vor uns. Darum üben die stillen Kirchen noch immer
ihren alten Zauber auf unsere Herzen aus.
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Wenn wir mit wanderfrohem Schritt unsere Hei-
mat erobern, dann wird das Bild der kleinen
Dorfkirchen wieder zum Erlebnis. Vielleicht klingt noch
ein wenig Erinnern mit an Kindheitstage, an das hei-
matliche Dorf, Und beim Klange der Pfingstglocken
wird die stille Sehnsucht wieder geweckt. Eindringlich
und mahnend sprechen die kleinen Dorfkirchen zu uns
und die Schönheit ihrer Räume, die Kunstfülle ihrer
Schätze wird zum unvergeßlichen Erlebnis sonniger
Tage. Wir haben im Trubel der Städte, im Lärme der
Straßen das Schauen nach den kleinen, feinen Dingen
verlernt. Die Kunst der bescheidenen Kirchen führt
uns zurück in unser Kinderland. Auch an die Werke
der Volkskunst, die aus der Fülle des Alltags geschaf-
fen wurden, erinnern sie uns. Bauern und Handwerker
waren es, einfache Leute, die jene herrlichen Dinge
schufen. Was ihnen an Verständnis für große Kunst
fehlte, dasersetzten sie mit frommem Eifer und inniger
Liebe. Und dieser Schein herzlicher Anteilnahme über-
glänzt noch heute ihre Kunst und adelt alle noch so
bescheidenen Versuche.
Kirchen und Landschaft sind eins. Zur Harmonie der
welligen Hügel paßt die feinsinnige Silhouette der
schlanken Türme und aufstrebenden Pfeiler. In die
beschaulich gelagerte Ebene gehört die breite Halle
mit ihrem stolzen weithin schauenden Giebelfelde.
Holzkirchen im Waldland, Fachwerkbauten in der
Heide sprechen die Sprache des Landes. Im Berglande
sind die Mauern aus farbigen Graniten oder aus fun-
kelnden Glimmerschiefern gebaut. Das Maintal baut
seine Kirchen aus weichem Kalkstein und in Bayern
und Franken liebt man die bunt bemalten weißen
Pulzwände. Aus roten Findlingssteinen sind die schle-
sischen Gotteshäuser gebaut und das norddeutsche
Tiefland kennt überall die brennend roten Ziegel-
steine mit weißen Fugen. So hat jedes Land seine
Eigenarten, jeder Stamm seine Besonderheiten. Bau-
form und Volksseele sind miteinander vertraut und die
Kirchen werden zum Mittler der jeweiligen Eigenart.
Die Kunst beginnt mit dem Grundstein und beglei-
tet jedes Stück des Baues bis zur Turmspitze. Zugleich
sind ihre Formen der beste Maßstab für das Alter der
Kirchen. Da zeigen die starken Mauern und die run-
den Zierfriese die Kunst der Romanik an, deren Spu-
ren gar nicht einmal so selten sind. Die Gotik kündigt
sich in hohen schlanken Fenstern an, mit zierlichem
Maßwerk und schlanken Säulen. Mit kunstvollen Pfei-
lern und kühnen Gewölben. Die Pracht der Fialen
zeichnet die Portale aus und der schlanke Turmhelm
ist ein Kind jener schöpferischen Kunstepoche. Auch
die Zeichen der Renaissance sind reichlich im Kirchen-
bau vertreten. Nur zögernd entschlossen sich die Bau-
meister zu jenen Formen, die aus Italien übernommen
wurden. Aber das Barock, das im Zeichen der Gegen-
reformation seinen Einzug hält, schafft eine Welle
neuer herrlicher Kunstformen. Wie blühen und ranken
köstliche Formen, wie klingt die gewaltige Musik je-
ner Kunst aus allen Bauten. Die stolze Fassade bis zur
vollen Kuppel überglüht die Schwungkraft einer kraft-
vollen Lebensfülle und aus tausend Einzelheiten spricht
die köstliche Gestaltungskraft echter künstlerischer
Leidenschaften zu uns. Das Rokoko bringt noch ein-
mal eine Fülle von zierlichen Formen und herrlichen
Ornamenten. Bis im Biedermeier die ruhige Kurve
gleichmäßiger Entfaltung verklingt. Achthundert Jahre
lang haben deutsche Meister mit schöpferischer Kraft
an den kleinen Dorfkirchen gebaut. Dann tritt eine un-
fruchtbare Stille ein, die erst allmählich wieder von
schöpferischer Baukunst abgelöst wird.
Dem kunstvollen Äußeren unserer Dorfkirchen ent-
spricht auch die Ausstattung des Innenraumes. Auch
hier ist mit aller Liebe und Sorgfalt gearbeitet wor-
den, um eine würdige Stätte zu bereiten. Wuchtige
Gewölbe binden Wand und Decke zu einet Einheit,
die zierliche Sternform des Chores schließt den Raum
ab oder läßt die strenge Vertikale der Säulen und
Pfeiler verklingen im weichen Rundbogen der Apsis.
Farbige Malerei, in der Zeit der Gotik mit kühner
Flächenhaftigkeit ausgebreitet über alle Archilektur-
teile, zeigt Bilder aus dem Leben der Bibel oder des
alten Testamentes. Die Renaissancezeit bringt eine
streng naturalistische Malerei, während das Barock
wieder zum Ornament und zur Stilisierung übergeht.
Seltsam und von phantastischer Schönheit ist die
Bauernmalerei des 17. und 18. Jahrhunderts, die sich
nicht genug tun kann in wilden Schwüngen und gro-
tesken Figuren. Die Altäre sind mit aller bildnerischen
Pracht ausgestattet, die nur denkbar ist und die Pla-
stiken stehen an Kühnheit und Gestaltungskraft nicht
nach. Künstler von Rang sind oft auf Wunsch eines
hohen Patrones selbst für kleinste Kirchen tätig
gewesen und haben die Spuren ihrer Schöpferkraft
auch in stille, weltabgeschiedene Dörfer geleitet. Da
sind die Muttergottesstatuen aus gotischer Zeit. Streng
und herrlich, weitabgewandt und doch so gütig und
anmutsvoll. Da sind hochragende Heilige von asrce-
tischer Gestalt, fordernd und drohend und vom hei-
ligen Feuer einer unirdischen Leidenschaft verzehrt.
Das Barock bringt die üppige Fülle seiner bildne-
rischen Kunst, Bringt Maria als stolze Königin in höfi-
scher Tracht. Zeigt die heilige Kümmernis, jene selt-
same Frau mit einem Barte und allerlei wunderliche
Erscheinungen. Phantastisch in ihrei Alt, übeiflutet
von einem sprudelnden Orkan der Einfälle, oft bis zur
Groteske gesteigert. Ein Engelskonzert, lieblich und
zierlich, pausbäckige Puttos und das Heer der alle-
gorischen Gestalten mit phantastischem Beiwerk. Von
gleicher Erlebniskraft, ausgezeichnet in ihrer Wirkung,
ist die Malerei des Barock. Auch sie spiegelt getreu
den Stil ihrer Zeit und schafft Werke von erstaunlicher
Meisterschaft. Eng beisammen die Arbeiten der dörf-
lichen Handwerker und der großen Künstler. Wer aber
wollte entscheiden und einen Preis zuerkennen?
Sind nicht die Stücke der dörflichen Meister von
gleich herrlicher Art? Spricht nicht aus ihrer Naivität
mit quellfrischer Kraft die Seele unseres Volkes zu
uns? Mag ihr künstlerischer Wert geringer sein, ihr
kulturhistorischer macht alle Mängel wieder gut.
Eine Welle künstlerischer Einheit verbindet alle
Kräfte, die im Dienste der kleinen Dorfkirche tätig
waren. Ob es ein Künstler aus der großen Stadt oder
ein heimischer Handwerker war, sie haben beide die
Gemeinsamkeit kraftvoller Frömmigkeit und mensch-
lich edler Güte. Den Meister der Gotik wie den
Künstler des Barock verbindet der gleiche Impuls, die
verwandte Fülle der Erlebnisse. Und jedes Stück im
kleinen Raume zeugt von erlesener Qualität. Nichts
ist unwichtig, jedes Stück ist mii gleicher Liebe und
gleichem Können bearbeitet worden. Selbst der Kirch-
hof mit seinen Kreuzen und Grabplatten, die Glocken
im Turmstübchen und der Wetterhahn auf dem Dache,
sie alle sind Kinder des gleichen Geistes. Geboren
aus der kraftvollen Frömmigkeit eines kernigen selbst-
bewußten Volkes, hinaufgefühlt und geadelt durch flei-
ßiger Hände Werk und schöpferischen Willen zurFoim.
So sehen wir in den kleinen Dorfkirchen mehr als
etwa drittrangige Kunstwerke, die auf den Neben-
straßen des Schaffens entstanden. Aus der Fülle der
Erlebnisse, eng verbunden mit den ewig quellenden
Äußerungen der Volkskunst, wurde ihr Bild geformt.
Als Zeugen jener impulsiven Anteilnahme am Leben
ihrer Zeit ragen sie in unsere Gegenwart hinein. Wir,
die wir mit gleicher Sehnsucht nach dem Kern aller
Dinge spüren, stehen ihrem Sinne näher als jede Zeit
vor uns. Darum üben die stillen Kirchen noch immer
ihren alten Zauber auf unsere Herzen aus.
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