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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 6 (Juni 1932)
DOI Artikel:
Dorner, Alexander: Im Kampf um unsere Sache: die Kinderzeichnung
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0109

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IM KAMPF UM UNSERE SACHE: DIE KINDERZEICHNUNG
Zur 2. Ausstellung des vorbildlichen Kunst- und Zeichenunterrichts an den hannoverschen Schulen in
der Ausstellungshalle des Provinzial-Museums. Von Museumsdirektor Prof. Dr. A. D o r n e r.

Isl es niclil ein erhebendes Erlebnis für uns, dafj in dieser
Zoil des Kullurabbaues, der den Zeichen- und Kunstunter-
lichl und seine Lehrer in Preuljen und anderwärts so grau-
sam hart, so lebensvernichtend gelrollen hat, sich hoch-
gesinnte, führende Männer und Frauen in allen Gauen
Deutschlands für unsere Sache einseljen?
Dank sind wir aber auch denen unter uns schuld, die durch
ihre Arbeit in der Öffentlichkeit für unsere Sache zeugen
und den Glauben an den Sinn und die Bedeutung unserer
Erzieliungsautgabe und Erziehungsleistung in unserem
Volke wecken.
Ich wies schon im 4. Heft auf die Bedeutung der Breslauer
vorbildlich organisierten „Kunslerziehungswoche" hin und
gebe heule die nachfolgenden Ausführungen wieder. Die
Namen der beiden Vorkämpfer In Hannover lasse ich weg.
Ich weif), datj Ich dabei in ihrem Sinne handle. G. Kolb
Unser Zeichenlehrer auf dem Gymnasium hatte
einen Liebling, einen sehr kurzsichtigen Jungen
mit einer Brille. Gerade dies Leiden aber war der An-
laß zu dem besonderen Interesse des Lehrers. Der
war, was damals für sehr kühn galt, ein begeisterter
Anhänger der Impressionisten und ihrer Darstellung
dunstiger Atmosphäre. Er versuchte immer wieder mit
sanftem Druck den Jungen zu bewegen, ohne Brille
Aquarelle nach Faksimile-Vasen aus dem Schatz des
Priamus oder nach sonstigen Objekten unserer Vor-
bildersammlung zu machen. Diese Aquarelle hatten
notwendig einen dunstig verschwommenen Stil, und
das schmeichelte dem Kunstwollen des Lehrers.
Heute lacht man darüber, damals war daran eigent-
lich nichts komisch. Denn ob die Schüler nun im da-
mals modern impressionistischen oder noch im alten
realistischen Stil unterwiesen wurden, war dem Prinzip
nach gleich. In jedem Fall sollte damals im Zeichen-
unterricht nichts anderes erreicht werden, als eine
Fertigkeit in der Wiedergabe von Vorbildern. Sie ge-
schah in dem künstlerischen Stil, der zur Zeit Achtung
genoß. Er wurde dem Schüler aufgezwungen, Was er
also zu lernen hatte, war Handfertigkeit. Erwies er
sich darin als ungeschickt, sei es, weil er eine schwere
Hand, sei es, weil er zu viel eigene Phantasie hatte,
so hatte er eine 4 mehr im Zeugnis.
Es war dieser Zeichenunterricht also nur das nor-
male Glied in einem Lehrsystem, das den Schüler vom
ersten Tag an mit einer von J^hr zu Jahr immer höher
und schwerer werdenden Anschüttung fremden Wis-
sens eindeckte, das er zu konsumieren hatte, wollte
er nicht daran ersticken, also zunächst einmal sitzen
bleiben. Es mag vielleicht nicht überall so schlimm
gewesen sein: man sagt ja aber nichts Neues, wenn
man behauptet, daß die Schulträume, durch die man
gelegentlich noch heimgesucht wird, die beäng-
stigendsten und erdrückendsten sind. Das Abiturium
war für die Menschen der damaligen Generation nicht
wegen des Ausmaßes und der Vielseitigkeit des Wis-
sensstoffes viel schwerer als das Doktorexamen, son-
dern weil der eigene Lebenstrieb, der freie Wille,
etwas zu schaffen, dabei ebensowenig in Aktion treten
konnte, wie bis dahin in der ganzen Schulzeit. Man
bekam kein Material in die Hände, das man zu formen
hatte. Man konnte nicht beweisen, daß man einen
Stoff, den man sich selbst gewählt hatte, oder der
einem so nah qehracht war, daß er zum eigenen ge-
worden war, gestalten konnte. Man hatte keine Gele-
genheit, durch selbständiges innerlich freies Schaffen
Vertrauen zu sich selbst zu bekommen, sondern man
hatte gewissermaßen mit den Händen auf dem Rücken
zu konsumieren. Was Wunder, daß man heute noch
davon träumt.
Wie anders ist das jetzt geworden! Es gibt wenig,
was sich in der letzten Zeit so grundlegend und so
erfreulich gewandelt hat, wie der Schulunterricht, und

das schlagendste Beispiel hierfür scheint mir der neue
Zeichenunterricht.
+ + i
Das innerlich fremde Vorbild in Gestalt jener troja-
nischen Vasen, von gepreßten Blättern, Vögeln,
Schmetterlingen reflexreichen Ritterhandschuhen, die-
ses Vorbild, das zwecks Erledigung dem Schüler vor
gesetzt wurde und dessen er sich durch äußere Hand-
fertigkeit ohne innere Teilnahme auf die reibungs-
loseste Manier zu entledigen hatte, ist verschwunden.
Man muß durch die beiden Ausstellungen im Museum
gegangen sein, die die Früchte dieses neuen Zeichen
Unterrichts an den hannoverschen Schulen zeigen, um
ganz zu begreifen, was hier an positiver Einzelarbeil
geleistet worden ist. Beide Ausstellungen, sowohl die
vorige, die den Zeichenunterricht an der H e r s c h ei-
se h u I e, als die jetzige, die die Arbeiten des K a i-
ser-Wilhelm-Gymnasiums zeigen, geben das-
selbe wirklich erhebende Bild.
Hier schlägt uns wirkliches Leben entgegen, der
freie und frohe Schaffenstrieb der Jugend, der durch
kluge und feinfühlige Leitung zu positiven Leistungen
geführt wird. Daß dabei zum Teil künstlerische Leistun-
gen ersten Ranges zu Tage kommen, ist eine zv/eite
Frage. Das entscheidend Wichtige ist, daß hier Men-
schen erzogen werden, Menschen, die an sich und
ihre eigenen freigewachsenen Fähigkeiten, an ihre
Produktivität glauben lernen, Menschen, die Selbst
vertrauen zu ihrem Können und ihrer Art bekommen,
Menschen, für die Lebensfreude und Leistung nicht
zwei fremde Dinge sind, sondern das gleiche. Man
glaube nicht, hier würde gespielt. Hier wird mit viel-
leicht mehr, aber sicherlich mit mehr innerem Ernst
gearbeitet, als das Im früheren Zeichenunterricht mög-
lich war. Hier muß jeder seine eigenen Kräfte anspan-
nen, sich konzentrieren, dauernde Selbstkritik üben,
bis er aus sich heraus zu der Gestaltung des gege-
benen Themas kommt, die vor seinem Urteil bestehen
kann. Ob er nun das Thema „Robinsoninsel" oder „Ur-
wald" oder „Apfelbaum" oder „Straßenkreuzung" zu
bewältigen hat, er muß in jedem Fall zu einer Form
kommen, die nicht nur ihm, sondern auch seinen Mit-
schülern verständlich ist und zugleich in der eindring-
lichsten Weise das ausdrückt, was ihm innerlich vor-
schwebt. Intensität des Erlebens, mitgeteilt in der ein-
dringlichsten und klarsten Form — was kann in wirk-
lichem Sinne mehr „erziehen"? Was ist geeigneter,
zur Bildung von Persönlichkeiten zu führen, als diese
Art des Schulunterrichts?
Es Ist, wie gesagt, ein zweiter und trotz seiner Größe
nicht der wichtigste Erfolg dieses neuen Zeichenunter-
richts, daß er quantitativ und qualitativ zu künst-
lerischen Leistungen führt, die bei der alten Methode
auch nicht entfernt erreicht wurden. Er hat uns ein
ganzes weites Gebiet neu erschlossen, die Kunst des
Kindes. Er hat uns die Augen dafür geöffnet, daß fast
in jedem Kind, bei dem die Kraft der angeborenen
produktiven Phantasie nicht durch äußeren und frem-
den Zwang erstickt ist, ein Künstler steckt. Wenn der
neue Zeichenunterricht in vorbildlicher Weise erteilt
wird, weckt er den eigenen Willen des Kindes zu best-
möglicher, intensivster und klarster Gestaltung und
dann überrascht uns als Erfolg eine wahre Flut von
künstlerischen Leistungen. Dabei sind die Mittel überall
die denkbar einfachsten. Nichts ist richtig im Sinne
der alten Lehrmethode. Keine Linie ist gerade, richtig
wagerecht oder senkrecht, kein Schatten gibt den
Dingen die Plastik, keine Spur von Perspektive, also
nichts von dem, was früher als Pensum erlernt und

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