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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 12 (Dezember 1932)
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Kolb, Gustav: Bildhaftes Gestalten als Aufgabe der Volkserziehung: Rundfunkvortrag ... gehalten am 5. Oktober im Südfunk
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0221

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BILDHAFTES GESTALTEN ALS AUFGABE DER VOLKSERZIEHUNG
Rundfunkvortrag von Gustav Kolb, Stuttgart-Sillenbuch, gehalten am 5. Oktober im Südfunk,

Dieser Rundfunkvorlrag, der mit Auslassung einiger Stel-
len — er durfle nur 25 Minuten dauern — hier wörtlich
wiedergegeben ist, wendete sich vornehmlich an die Eltern
und sonstige Eriiehungsberufene, nicht an Fachleute. Ich
versuchte, zu ihnen schlicht, anschaulich und gemeinver-
ständlich zu sprechen, ohne flach zu werden. Verschiedene
Leser unserer Zeitschrift baten mich, den Vortrag in Kunst
und Jugend wiederzugeben. Ich habe midi, obwohl er für
unsere Leser, zumal für die, die meine Bücher kennen,
nichts Neues enthält, deshalb dazu entschlossen, weil
immer noch Mißverständnisse aller Art, selbst in den Krei-
sen der Lehrerschaft über unser erzieherisches Wollen und
Tun vorhanden sind. Somit ist es notwendig, das Grund-
sätjlldie immer wieder ins Licht zu stellen. (Vergleldie
mein Buch „Bildhaftes Gestalten als Aufgabe der Volks-
erziehung". Verlag Holland & Josenhans, Stuttgart.) G.K.
Verehrte Hörerinnen und Hörerl
Gegenwärtig findet im Kronprinzenpalais in Stutt-
gart eine Ausstellung von Kinder- und Schülerar-
beiten aus dem Gebiet des bildhaften Gestaltens statt,
die Besucher aus allen Teilen des Landes anlockt. Die
Ausstellung zeigt die neuen Wege der Entwicklung
der bildnerischen Gestaltungskräfte unserer Tugend,
in ununterbrochener Folge vom Kleinkind an bis zum
16. Lebensjahr,
Sie will hinweisen auf die Bedeutung und auf den
Sinn dieser Erziehungsaufgabe, die nicht nur die Lehrer
und Lehrerinnen angeht, sondern ebenso die Eltern,
namentlich die Mütter,
Diesem Zweck sollen auch meine Worte dienen.
Verehrte Hörerinnen und Hörer! Der Trieb zum
bildnerischen Gestalten ist aller
Menschheit von Anbeginn an einge-
boren.
Mit der Formung des ersten Werkzeuges —■ wie
lange ist es her? — hunderttausende von Jahren? —
wer weiß es? — beginnt sich das Wesen, das sich
Mensch heißt, über das Tier zu erheben.
Und merkwürdig — beachten Sie das wohl — schon
der erste uns bekannte, vor der Eiszeit lebende
Mensch, besitzt Schönheitsempfinden. Seine
Werkzeuge haben nicht nur N u t z form, sondern sind
schon rhythmisch gestaltet.
Der nachfolgende, fast affenartige Neandertaler der
Eiszeit hat noch keine Wortsprache; aber erbringt das
Werkzeug auf eine höhere Formstufe und verwendet
schon Farben als Körperschmuck. Und der spätere,
höher organisierte Höhlenbewohner der Alt-Steinzeit
gestaltet Schmuckformen, schnitzt Zauberstäbe, model-
liert Merischenfiguren und ritzt unerreicht lebensvolle
Tiergestalten in den Fels: Bison, Mammut, Wildpferd!
So ist die Bildkunst schon vor mehr als zehntausend
Jahren in voller Kraft und Schönheit da. Sie ist der
Anfang des Menschseins überhaupt.
Das bildhafte Schauen, sein Bildsinn erschließt dem
vorgeschichtlichen Menschen auch den Sinn des Le-
bens und er bannt die erschauten Erkenntnisse in Bild-
zeichen, damit sie ihm nicht mehr entrissen werden
können. Auf diese Weise entstehen die uralten magi-
schen Symbole als Zeichen des Unsichtbaren und
Unsagbaren. Aus den Symbolen erwachsen sodann die
Mythen, die wir die Wissenschaft des vorgeschicht-
lichen Menschen nennen können. Und nun ist auch
schon die Dichtkunst da.
Später entwickelt sich aus den Bildsymbolen die
Bilderschrift, und erst aus ihr entsteht in einem
Werdegang, der Jahrtausende währt, unsere Buch-
stabenschrift.
Am Anfang waralso dasBild, nicht das Wort,
das bildschauende Erkennen, nicht das begriffliche
Denken.
Verehrte Hörerl Damit glaube ich kurz dargelegt zu
haben: Die dem Menschen e 1 n geborene Schau-

kraft und Gestaltungskraft ist die seelisch-
geistige Grund kraft, aus der heraus sich alle an-
dern geistigen Fähigkeiten entfalteten.
In der Tatl Ich wiederhole: Ohne diese Urkraft
wäre das Wesen, das sich Mensch heißt, ein Tier
geblieben, nackt in Höhlen hausend, mit ungeformten
Steinen andere Tiere jagend. Kein Tier besitzt die
göttliche Gabe des Schauens und Gestaltens.
Der Mensch hat nun mit diesem ihm anvertrauten
Pfund redlich gewuchert, in den Jahrtausenden seiner
Entwicklung im bunten Wechsel Kulturen um Kulturen
geschaffen. Man denke nur an die Kultur des Woh-
nens und Kleidens. Alles handwerkliche Schaffen, alle
Technik haben hier ihre Wurzel, und wieviele Zweige
der Wissenschaft nähren sich an dieser Quellei Von
der Kunst, von den unsterblichen Meisterwerken der
Bildnerei, von den Tempeln Griechenlands, von den
gotischen Kathedralen, von unseren neuzeitlichen Ge-
meinschaftsbauten will ich gar nicht reden.
Daraus, verehrte Hörer, werden Sie nun auch ersehen,
wie gefährlich, ja lebensbedrohend es für das see-
lisch-geistige Bestehen und Gedeihen der Menschheit
sein muß, diese Grundkraft zu mißachten, schon in dei
Jugenderziehung zu mißachten, wie das unbestreitbar 1
mindestens seit der zweiten Hälfte des vergangenen
Jahrhunderts, und zwar im steigenden Maße, der Fall
gewesen ist.
Unsere heutige Kultur- und Bildungskrise hat vor-
nehmlich ihre Ursache darin: Man aß zu viel vom Baurn
der begrifflichen Erkenntnis und vergaß darob fast
ganz und gar den'Baum des Lebens.
Schon Goethe, dessen Forschen kraft seines bildne-
rischen Schauvermögens stets ein Forschen nach den
Urbildern des Lebens, nicht nach den Ursachen
mechanischer Vorgänge war, hat diese Gefahr er-
kannt und davor gewarnt, nicht nur mit Worten, son-
dern mit seinem ganzen Leben und Wirken. Mich dünkt:
Es wäre die beste Art, sein Andenken zu feiern, wenn
wir dieses Erbe erwürben, um es zu besitzen.
Seitdem sind weitere geistesgewaltige Kämpfer auf
den Plan getreten. Ich nenne nur Nietzsche und Lud-
wig Klages, die mit machtvoller Stimme die kultur-
schöpferischen Kräfte aufrufen, um uns von dem Alp-
druck des abendländischen mechanistischen Intellek-
tualismus zu erlösen. In diesem Kampf gegen den
Geist, sofern er Widersacher der Seele ist, fiel auch
das Wort des Rembrandt-Deutschen:
„Deutsches Volk, wenn Du Dich wieder im rechten
Sinne zum Bilde und zum Bilden kehrst, so wirst
Du eine Bildung haben. So wirst Du genesen."
Verehrte Hörerl Unsere Lage ist aber nicht hoff-
nungslos. Jede Zeit, sofern sie nicht völlig herzkrank
ist, bringt die Gegenkräfte hervor, die ihre Krank-
heiten zu heilen vermögen.
Wer spürt es nicht? In unserer Zeit lebt ein unbän-
diger Bildhunger.
Die Buchstabenaugen schließen sich. Die Bildaugen
erwachen wiederl — Warum rennen die armen Seel-
chen so ins Kino? — Von diesem Augenhunger, von
dieser Sehnsucht nach den Bildern des Lebens, ist
aber unsere Jugend am stärksten ergriffen.
Daß dieser Bildhunger nicht verfla-
chend wirke, sondern im tieferen Sinne
lebensanregend, ja lebensgestaltend
werde, darauf muß unsere Sorge gerich-
tet sein. Darin liegt heute eine der wich-
tigsten Aufgaben der Jugenderziehung.
Zunächst gilt es zu erkennen: Die Lösung dieser
Aufgabe kann uns nur gelingen, wenn wir die Jugend
ablenken vom passiven, erschlaffenden genießerischen

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