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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 4 (April 1932)
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Zum Abbau, [3]
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Zum Nachdenken / Umschau / Buchbesprechungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0079

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ncilüilicli nicht sehr, aber ein Dutzend und mehr junge
Künstler und Künstlerinnen werden durch sie immer-
hin vor der äußersten Not geschützt. Indem ein Bild-
hauer Öfen seizl, ein Maler Zimmer anstreicht oder
tapeziert, eine Schauspielerin Böden scheuert und die
ganze Gemeinschaft Sachen packt, transportiert, aus-
packt und aufstellt!
So sieht das berühmte lustige Künstlerleben heute
aus, so verbringt das berühmte, ausgelassene Künsl-
lervölkchen seine jungen Tage. Der Propagandist —
ernst, aber unverzagt — meint ohne Pathos: „Bei uns
kann jeder Mäzen sein, indem er uns Arbeit schafft.
Wir sind schlechter dran als die Handarbeiter, denn
wir bekommen keine Arbeitslosenunterstützung."
Hermann Sinshpimer
(Berliner Tageblatt Nr.573.)

ZINV1 NACHDENKEN
Die beiden Haupttypen der Ausdruclisstörung
]ede über den Durchschnitt gesteigerte Ausdrucks-
hemmung verurteilt ihren Träger zu dauernder Be-
mühtheit des Willens und infolgedessen wieder zu
jener unablässigen Bewußtheit, die ihn fort und fori
in sich selbst zurückwirft und gerade im Vollbringen
völlig beraubt der hinnehmenden „Liebe zur Sache"
Die Wirkungen dessen sowohl auf sein Innenleben als
auch auf die Formen seiner Betätigung sind jedoch
außerordentlich verschieden, je nachdem er vielleicht
aus echtem Stolz und bei jedenfalls nur mäßigem
„Willen zur Macht" auf die versagte Leichtigkeit der
Lebensverwirklichung verzichtet oder aber aus un-
überwindlichem Geltungstrieb sein Gefühl der Aus-
geschlossenheit dadurch zu betäuben sich gedrungen
findet, daß er, und zwar nicht allein der Welt, son-
dern vor allem sogar sich selbst das Gegenteil seines
Mangels vortäuschtl Der Rückschlag des Dar-
stellungsdranges gegen das Gefühl der
Lebensohnmacht gibt den Erklärungsgrund für
alle Verhaltungsweisen und Eigenschaften des para-
sitären Charakters, den man heute fälschlich den
„hysterischen" nennt, und führt uns in ein wahres In-
ferno hinab von lärmenden Scheingefühlen und markt-
schreierischen Gesten, mit denen ein durch nichts
mehr beschränkter Beutehunger noch die innigsten
und zartesten Laute der Seele befiehltl
Dem schlechthin Ausdrucksgehemmten fehlt es all-
gemein an der Stärke der Gestaltungskraft, um auf
irgendeinem Gebiete die Kluft zu überbrücken, die
seinen Willen von seinen Trieben trennt. Wie er nun
diese in sein Inneres verschließen muß, wo er sie
gleichsam hegt, um gerade an ihrer Verborgenheit
eine bescheidene Genugtuung zu nähren, so aber
auch weiß sich sein Tun nirgendwo siegreich freizu-
machen von angelernter Schablone. Da er indes als
ein noch wirklich Erlebender durchaus nicht von
Scheingefühlen bestochen wird, so befindet er sich
in einem immerwährenden Zwiespalt des Ablaufs sei-
ner Körpervorgänge mit den Bewegungen der Seele;
und von solcher Gequältheit erhält sein Bewegungs-
leben die eigentümliche Starrheit, Gezwungenheit,
Härte, die es dennoch unterscheidet vom schlechtweg
Mechanischen, und dem geschulten Betrachter die
Möglichkeit gibt, das gleichsam verdeckte Form-
niveau zu erspüren.
Beschreitet den Notweg des Ausdrucksverzichtes
eine irgendwie noch erweisliche Lebens tiefe, so
kann es Vorkommen, daß sie sogar einen Stil der
Entzweiung erzeuge. Das geschah weltgeschicht-
lich in der architektonischen Fraktur der Gotik, mit
der die Lebensmystik der Germanenheit farbig zer-
splittert am überwindenden „Gesetz" des Christen-
tums. Wie hoch man die gewaltigen Kathedralen be-
wundern möge, so gibt doch ein Vergleich der For-

niensprache ihier ßaugliedei und Zierstucke mit dem
störungslos perlenden Rhythmus des in mehr als einei
Rücksicht nicht unverwandten maurischen Stils die
Gewißheil, daß nur im Widerstreit mit einer ihn ver-
werfenden Disziplin und an dieser gewaltsam empor-
gebäumt ihr Lebenspulsschlag zur Darstellung komme.
Wenn man gleichwohl schwerlich Gebilde fände, wor-
an sich der Stil — im Gegensatz zur Form —■ schärfer
verdeutlichen ließe als an denen der Gotik, so liegt
darin für die Wissenschaft vom Ausdruck die Lehre,
daß er überhaupt zu erwachsen pflege aus leiden-
schaftlichem Ungenügen an geistesgehemmter Gestal-
tungskraft; welchem gemäß er den Forscher jedesmal
zu fahnden veranlassen sollte nach dem seeli-
schen Tatbestände unerfüllbarer Ausdrucks-
wünsche.
Der gehemmte Ausdruck bietet, wie gesagl, den
Übergang zum mechanisierten Ausdruck oder richtiger
zur Entseelung des Körpers. Während im Ausdrucks-
gehemmten gegen das Übergewicht der Schablone
doch immerhin eine Auflehnung bleibt, die ihn be-
stenfalls sogar zur Verinnerlichung der Bewegung und
zur Umstilisierung der Regel in der Richtung auf cha-
raktervolle Härte befähigt, so nimmt der Gelehrige
sie schlechtweg an und liefert die natürliche Eigen-
art seines Tuns kampflos um den Besitz nützlicher
Fertigkeiten aus. Im Verhältnis zu ihm können
wir nun den Begabten dahingehend bestimmen, daß
er befähigt werde, mit seiner Eigenform die Schab-
lone zu überwältigen. Der Schreibgelehrige
etwa wird es rasch zu einer ausdruckslosen „Schön-
schrift" bringen, in allen Formen Sauberkeit und Glätte
zeigen und möglicherweise Höchstleistungen in leser-
lichem Schnellschreiben vollführen; der Schreibbe-
gabte hingegen, auch wenn er an Gewandtheit hinter
jenem beträchtlich zurückstände, wird seiner Schrift
das Gepräge seines Charakters verleihen.
Darnach bestände das Wesen der Begabung u. a.
in der Fähigkeit, nach Maßgabe der überhaupt ver-
fügbaren Seelenfülle irgendein Tun bis an den
Rand mit Ausdruck füllen. Wir erblicken dar-
um in jeder Begabung eine Art der Gestaltungskraft.
Aus „Ausdrucksbewegung und Gestaltung" von Dr. Ludwig Klnges.
(Verlag Joh. Ambrosius Barth, Leipzig.) 1923.

UMSCHAU
im Kampf um unsere Sache.*
In Breslau fand vom 13. -19. März eine „K u n s t-
erziehungswoche" statt, veranstaltet vom Vor
band akademisch gebildeter Zeichenlehrei und -lehre
rinnen in Verbindung mit dem Schlesischen Museum
der bildenden Künste. Zweck und Ziel dieser Veran-
staltung war, die breite Öffentlichkeit für die Kunst-
erziehungsarbeit an den höheren Schulen zu inter-
essieren. Sie bedeutete zugleich u|non sachlichen Pio-
test gegen die Abbaumaßnahmen in diesem Unter-
richtsfach. Im Mittelpunkt des Programms stand die
Ausstellung „Das Kind zeigt sein Herz" im
Museum der bildenden Künste, die den Bekenntnis-
und Gestaltungswillen des Kindes —- auch die jüngsten,
noch nicht schulpflichtigen waren herangezogen —
eindrucksvoll bekundete. Sie war nach künstlerischen
Gesichtspunkten aus tausenden von Kinderzeichnun-
gen aus ganz Schlesien ausgewählt und zusammen-
gestellt worden. Als Parallelveranstallung zeigte da-.
Kunstgewerbe-Museum eine kleine, das Methodische
betonende Ausstellung unter dem Titel „Ein Blick
in den Zeichensaa I".
' Unter dieser Überschrift sollen von joljl ob in unserer Zeitschrift
wichtige Veranstaltungen vermerkt werden, die die erzieherische Be-
deutung unserer Arbeif ins Licht stellen und gegen die zerstörenden
Sparmaßnahmen Front machen. Die Breslauer „Kunsierziehungswoche"
möchte ich als vorbildlidi organisiert bezeichnen. Sie kann liir uns alle
anspornend und wegloilend wirken. G.K.

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