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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 4 (April 1932)
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Sommer, P. K.: Kunst und Alltag
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0068

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Deutsche Bläffer für Zeichen» Kunst- und Werkunterricht
Zeitschrift des Reichsverbandes akademisch gebildeferZeichenlehrerund Zeichenlehrerinnen

Verantwortlich für die Schriftleitung: Prof. Gustav Kolb, Stuttgart, Ameisenbergstr. 65
Druck, Expedition und Verlag; Eugen Hardt G. m. b. H. Stuttgart, Langesfrafje 18
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12. Jahrgang April 1932 Heft 4

P.K. SOMMER-BR ES LAU: KUNST UND ALLTAG

Wie sieht der Alltag aus? Grau und gar oft recht
unfreundlich. Kämpfen, Ringen um Essen und
trinken, um Ruhm und Reichtum. Mensch gegen Mensch,
hart auf hart. Aus der Vogelperspektive ein Ameisen-
haufen, ein Hin und Her. Die Zivilisation sorgt dafür,
daß das in erträglichen Formen geschieht. Die Kultur
sorgt dafür, daß aus dem Gewoge Werte erstehen,
die allen zu Nutz und Frommen dienen, nicht maschi-
neller Art, sondern in bezug auf Höhen-Edeimenschen-
lum, das Barmherzigkeit übt, Gerechtigkeit, Treue,
Dankbarkeit und alles, was man als Tugenden bezeich-
net. Damit aber ist der Alltag noch nicht erschöpft.
Zivilisation und Kultur sind das öl, das die Räder
einer Maschine reibungslos macht (Soziales Zusam-
menleben). Zivilisation und Kultur haben zahlreiche
Diener, die beides erhalten und fördern, wie Wissen-
schaft, Kunst, Körperpflege, Rechtsprechung, Ernährung,
Wehrhaftigkeit u. a. Während z. B. Rechtsprechung
der Zivilisation dient, sind die stärksten Stützen der
Kultur Kunst und Wissenschaft. Beide haben die Auf-
gabe, die erdbeschwerten Menschen immer weiter
vom Tiere zu entfernen und emporzuheben zum Edel-
menschen. Eines ist ganz besonders berufen, das Er-
dendasein zu verschönen und Würze zu geben einem
kräftigen Mahl, das ist die Göttin Kunst. Während die
fieude über eine gelungene Leistung, über ein er-
kämpftes Ziel aus unserem Innern kommt und andere
lall läßt, ja Neid erzeugt, ist Kunst eine Macht, die
von außen her auf alle eindringt und alle reich
macht, das Leben lebenswert macht, an allen rüttelt
und alle in Bann schlägt und beglückt.
Man nennt sie auch Poesie. Doch ist dieses Wort
so abgegriffen, daß es inhaltlos geworden ist und
einer neuen Füllung bedarf.
Man war gewöhnt, unter Kunst nur Kunstwerke von
Menschenhand geschaffen zu verstehen und sie im
Konzerlsaal, im Museum zu suchen. Und Kunsterzie-
hung hieß, diese Menschenwerke kennen lehren und
genießen. Gewiß ein hohes Ziel aber nicht das Ziel;
denn Kunst (Poesie) umgibt uns überak im Alltag.
Was nützte die ganze Kunsterziehung den Ärmsten,
Jiu n i o Gelegenheit haben, gute Konzerte z j hören
..nd in Museen zu gehen. Sollten sie vom Schöpfer
.liulmülterlicher bedacht sein? Es sind viei'eicht
; J Piozenl der Menschheit. Nein. Wir Menschen haben
.'■lest die Grenze so eng gezogen, weil Eitelkeit Ein-
H'lnet ous der Kunst eine Pfründe für sich gemacht
NI, weil die andere auch echte Kunst im Alltag,
.Ins einbringt, weder Geld noch Einen. Und doch ist
j,u Kunst im Alltag die eigentliche, die Gott

den Menschen geschenkt als Beglückerin. Sie umweht
alle Dinge auf Straßen und Plätzen, den engen Hof
der Vorstadt wie den Palast, das Krankenzimmer v/ie
den Festsaal, die Berge, das Meer, die Wüste und den
Fruchtgarten, Sturm und Sonnenschein, Kälte und Hitze.
Sie umgibt die Dinge mit göttlichem Odem. Sie isl
etwas für sich. Sie ist die heilige Wandlung, wie die,'
die aus der Hostie und aus Wein etwas schafft, vor
dem die Menschen in die Knie sinken.
Es ist unverständlich, wie man eine Zeitlang diesen
Standpunkt bekämpfen konnte und eine Kunst schuf,
die nichts mehr mit diesem Umweben der natürlichen
Dinge zu tun halte, sondern als abstrakte Kunst für
sich bestehen wollte, eine Kunst ohne Mark und Kno-
chen. Gott sei Dank sieht man aber jetzt wieder ein,
daß der Mensch erdgebunden ist, und die Kunst an-
dere Aufgaben zu erfüllen hat, als für sich dazustehn.
Sie soll gerade die Nüchternheit der Umwelt, des
Alltags beseitigen, sie soll die Natur beseelen, sie
liebenswert, geheimnisvoll, tief, inhaltsschwer machen.
Es ist nicht nötig, daß uns Sage und Märchen die
Dinge umwehen müssen. Gewiß, sie stehen im Dienste
der Göttin Kunst und geben den Menschen das, was
die Kunst verschenken will. Aber ein Zuviel schadet
auch hier. Auch ohne das Märchen von der Blumen-
fee vermögen die Farben der Blüten und ihr Duft uns
zu beglücken. Und Kunstsinn arrangiert sie zu Sträu-
ßen und schmückt damit Räume, Kunstsinn pflanzt sie
so im Garten, Park, auf Balkon, an der Hauswand usf.,
daß der Vorübergehende etwas mehr empfindet als
Wissenschaftliches, das, was ihm das „Ah” entlockt,
das die Göttin Kunst gern hört. Sie hat wieder mal
Erfolge zu verzeichnen, wenn die Menschen staunend
Augen und Mund aufreißen und schließlich ausrufen:
„O, wie wundervoll ist das." Wo der Mensch dazu
nicht fähig ist, da gibts für ihn keine Kunst, selbst
wenn er einen verblichenen Rembrandt für eine halbe
Million sich leistet. „Kunstliebhaber” nennt ihn zwar
die Well, aber die Kunst hat keinen Teil an ihm. Kunst
ist nicht bloß in dem von Künstlern Gemalten, Geform-
ten, Kunst ist überall in dem Alltag. Ein Klingen, ein
Singen, ein frohes Farbenspiel, das Große und Kleine,
alles stimmt eine Hymne an, die uns auf die Knie
zwingt. Und so wie der religiöse Mensch ausruft: „Dich
predigt Sonnenschein und Sturm, dich preist der Sand
am Meer", so sieht der Kunsterzogene in all den Din-
gen die Göttin „Kunst”. Den hat die Göttin in ihren
Bann geschlagen, der innerlich ergriffen wird, so daß
er auszurufen vermag: „Wie ist die Welt so schön und
reich, wie bin ich klein und winzig.” Kunst verkündet

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