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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 2 (Februar 1932)
DOI Artikel:
Müller, F.: Was lehrt uns die ägyptische Flachbildkunst?
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0032

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Deutsche Blätter für Zeichen- Kunst» und Werkunterricht
Zeitschrift des Reichsverbandes akademisch gebildeter Zeichenlehrer und Zeichenlehrerinnen

Verantwortlich für die Sclirittleifung: Prof. Gustav Kolb, Stuttgart, Ameisenbergsfr. 65
Druck, Expedition und Verlag; Eugen Hardt G. m. b. H. Stuttgart, Langesfrafje 18
Für Besprechungsexemplare, Niederschriften oder andere Einsendungen Irgendwelcher Arl wird eine Veranlworllichkeil nur
dann übernommen, wenn sie erbeten worden sind t Schreibt sachlich klar und einfach I Meidet alle entbehrlichen Fremdwörter

12. Jahrgang Februar 1932 Heft 2

p.tvtüiier, Beriin-schmargendorf: Was lehrt uns die ägyptische Fiachbildkunst ?

Man sieht erst genau, wenn man mit dem Zeichen-
stift sieht. Als ich in Anwendung dieser „Er-
fahrung in letzter Zeit oftmals im Berliner Ägyptischen
Museum Zeichenstudien machte, merkte ich, wie wenig
ich die ägyptische Kunst, die ich zu kennen glaubte,
in Wirklichkeit kannte. Was ich bei der bloßen Be«
Pachtung gar nicht bemerkt hatte, tauchte nun erst
lur mein Bewußtsein auf, und es ergaben sich bei
den fortschreitenden Studien eine Menge Fragen, die
mich früher nicht berührt hatten. So fiel mir, beson-
ders beim Nachzeichnen der kleineren Stücke, auf, daß
die Ägypter mit erstaunlicher Naturtreue geschaffen
haben, was mir mit dem Typus ihrer Werke nicht im
t inklang zu stehen schien. Auch schien es mir beson-
ders bemerkenswert, daß diese Naturtreue gerade in
den ältesten Werken, die etwa 3000 Tahre v. Chr.
entstanden sind, vorhanden ist, sich aber auch neben
dom Typischen der Gesamtform durch den ganzen Ver-
eint der ägyptischen Kunst erhalten hat. Als ich in
einem Raum der Amarna-Abteilung die zahlreichen
Oipsmasken genauer betrachtete, die etwa aus dem
führe 1370 v. Chr. stammen und in der Werkstätte des
boibildhauers Thutmosis gefunden worden sind,
,'Jtion mir der Zwiespalt zwischen reinem Naturalis-
mus und der üblichen idealistischen Gestaltungsweise
dui Ägypter besonders kraß. Diese Masken sind au-
jonscheinlich nach den Gesichtern lebender oder
'..'toi Menschen, teilweise aber auch nach Bildhauer-
At’iken abgeformt. Aus dieser Tatsache ergab sich
lur mich die Frage, warum die Ägypter, die sich auf
jioso Weise Abbilder nach der Natur zu schaffen ver-
landen, oder die so naturalistisch bilden konnten,
i der Grundform ihrer Werke doch einen altgebräuch-
.Jicn strengen Typus beibehielten. Da in Kunsttheo-
cii oftmals von der ägyptischen Kunst die Rede ist,
. (.Mo ich hier einiges über meine Wahrnehmungen
. jijun, soweit es für den Kunstunterricht von Bedeu-
tung sein könnte.
Die philogenetische Eigenschaft der Kinderzeichnun-
.it.ii kann keinen Augenblick zweifelhaft sein. Die
utsucho, daß gewisse Momente bildhaften Schaffens,
. drin die ganze Menschheit in der Entwicklung ihrer
Udendun Kunst zeigt, aucli in Kinderzeichnungen zu
11 Jen sind, ist wohlbekannt. Aber man muß, um diese
t ciuinstimmenden Merkmale zu finden, bei den Bild-
;- Impfungen der Völker sehr weit zurückgehen, bis
...ji; zu ihrer wirklichen Kindheitsstufe kommt, und
muß bei der Gegenüberstellung der Kinderzeich-
(.gen mit der Kunst früher Völker und der heutigen
lioluiv'ölkor mancherlei bedenken, so daß die daraus

etwa zu ziehenden Schlüsse für den Gestaltungsunter-
richt nur mit großer Vorsicht gemacht werden könnet'.
Das lehrt uns besonders die Kunst der alten Ägyptei
Es sind in ihr viele Momente vorhanden, die auf Kin-
derzeichnungen hinweisen. Dazu gehört u, a. die „Ge1
radansichtigkeit"* der Figuren, das Vermischtsein ver-
schiedener „Ansichten" in derselben Zeichnung, die
Bedeutung der Fußlinie in den Bildstreifen, das ge-
legentliche Übereinander der Figuren statt des räum-
lichen, erscheinungsgemäßen Hintereinander, die Dar-
stellung des Landschaftlichen in einer Art Landkarten-
manier, überhaupt das Festhalten an der vorgestellten
Wirklichkeit anstelle des Eingehens auf die Erschei-
nungsform. Aber wir würden fehlgehen, wenn wir
diese Merkmale ägyptischer Kunst lediglich als primi-
tive Momente auffassen wollten, die denen der Km-
derzeichnungen ohne weiteres gleichzustellen wären;
denn wir dürfen nicht vergessen, daß die geschicht-
lichen Ägypter, wie sie uns in ihrer 3000jährigen Kunst
vor Augen stehen, ein hochentwickeltes Kulturvolk
waren, keineswegs auf primitiver Stufe stehend. Da-
von zeugt alles, was uns von ihrer Kultur in ihren
Gräbern erhalten ist, sowohl die dort gefundenen
Gebrauchsgegenstände, als auch die Zeichnungen (fla-
chen Reliefs) auf den Grabplatten, die von ihrem
Leben erzählen. Auch die Tatsache, daß dieses Volk
neben solchen Reliefdarstellungen gewaltige Rundpla-
stiken schaffen und staunenswerte Bauten ausführen
konnte, sowie die Schaffung einer Lautschrift in den
Hieroglyphen und der ausgiebige Gebrauch der
Schrift überhaupt, schon in allerältester Zeit, zeigen
deutlich die hohe Stufe der Kultur. Es müssen also
andere Ursachen dagewesen sein, als etwaige primi-
tive Gestaltungskraft, die die ägyptischen Künstler
zum Festhalten an einem einmal aufgestellten Typus
in ihren Werken veranlaßt haben. Wir wollen ver-
suchen, diesen Ursachen nachzuforschen.
Was wir von ägyptischer Kunst wissen, stammt fast
alles aus Gräbern und Grabkammern. Die Standbilder
sollten den Verstorbenen vertreten, Gaben und Ge-
bete an seiner Stelle entgegennehmen und ihn für
die wiederkehrende Seele kenntlich erhalten. Daher
auch die Bildniszüge, die man diesen Rundplastiken
schon in sehr früher Zeit gab. Das Verflochtensein mit
der Religion darf in der ägyptischen Kunst nicht unter-
schätzt werden. Die Reliefdarstellungen auf den Grab-
platten sollten den Nachgebliebenen von dem leben
* Diese Wortprägung stammt von Prol.Dr. Heinrich Schäfer, dem Direk-
tor des Berliner Ägyptischen Museums, aus seinem Buch „Von ägyp-
tischer Kunst", worauf liier nachdrücklich empfehlend hingewiesen sei.

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