Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

DOI Heft:
Heft 11 (November 1932)
DOI Artikel:
Sohst, Paul: Kunstmittel und Stilbegrenzung: (Vortrag gehalten vor der Arbeitsgemeinschaft des Provinzialverbandes Niederschlesien im Schlesischen Museum für die Bildenden Künste, Breslau)
DOI Artikel:
Nicklaß, Elsa: Müde nach des Sommers Tänzen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0202

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Archipenko
Staluetle


Symbol für die Erdgebundenheit geschaffen, ein Sym-
bol für die Urgewalten der schwankenden, trächtigen
Erde, die uns in der Figur dieses Weibes schicksals-
schwer anruft.
Dem Gotiker Dante gelang die Schilderung der
Hölle besser als die des Paradieses; so gilt auch für
Barlach und die Mehrzahl unserer heutigen Künstler,
daß ihnen der Schritt ins infernalisch Gewaltige eher
gelingt; das erhabene, hochherzige Pathos scheint
unserer Zeit zuwiderzulaufen.

Viertes Bild: Archipenko, Statuette.
Unter den Plastikern unserer Epoche hat im positiven
Sinne Archipenko am folgerichtigsten die Ergebnisse
der Kunsttheorie mit der Praxis verschmolzen. Er treibt
eine Art Kunstpsychologie, sucht nach den Abstrakta
der künstlerischen Ausdrucksmittel. Sein Arbeitsgebiet
liegt nicht in der Gotik, sondern in Hellas. Ei bestätigt
die Form, er steigert sie und schält sie aus bis zur
schematischen Reinheit. Niemand vor ihm hat je mit
solcher Klarheit, mit solcher Bewußtheit den künst-
lerischen, d. h. geistigen Wert der einfachsten, ele-
mentarsten Formveränderung erkannt. Wie so eine
Wölbung sich in zwei Körperlichkeiten teilt, wie eine
Kante in einer Fläche verschwindet, wie dio Pressung
in mathematische Kurven und stereomelrische Normen
uns ein Maßstab für Schönheit bedeutet, das zeigt er
uns in so wesentlichem Zuschnitt. Aber er begnügt
sich nicht mit einer Synthese formaler Reizernpfindun-
gen. Er gibt auch durch unorganische Formen, d. h.
solche, denen die organische Zweckdienlichkeit ab-
gezogen ist, menschliche Begriffe und Symbolwerte.
So die reine Schalenform des Schoßes, die Schamhai
tigkeit des nach innen gestellten Knies, die Keusch-
heit der einwärts gekehrten Brüste, die lockende
Welle des Mädchenhaares, die zurückgenommenen
Schultern und die am Mädchenkörpei übertriebene,
rührend unverhältnismäßig zum übrigen Leibe hervoi-
tretende Hüfte. Das säuberliche Oval des Gesichtes
verlangt, wie Archipenko uns hier sagt, nach Unpet-
sönlichkeit, nach einer dem übrigen Körper gefälligen
Leere.
Was uns Archipenko einpiägl, ist doi Verzicht, dei
sein muß, wenn man erlauschte und neu erfundene
Kunstmittel ganz entfalten will. Die Stilbegrenzung ist
dabei sowohl Voraussetzung als auch Folge. Archi-
penko verzichtet auf alles. Seine Kunstregeln erschei-
nen nackt, d. h. unbemäntelt.
Die kurze Zeit eines Vortrages läßt bei dem uner-
schöpflichen Thema keine Gründlichkeit zu. Die deut-
lichen Mittel, mit denen Ägypter, Griechen, Barock-
künstler, Japaner, Impressionisten, überhaupt die Ma-
ler zu ihrem Ziele kommen, müssen ungenannt blei-
ben. Ebenso die deutliche Stilbegrenzung aus den
Kunstmitteln des Materials heraus, beim Elfenbein,
beim Mosaik, beim Fresko und am deutlichsten bei
der Glasmalerei des späten Mittelalters, wo die kleine
Zahl der Kunstmittel an den Fingern einer Hand her-
zuzählen ist, und wo gerade diese Enge dazu dient,
unsere Illusionskraft bis in die fernsten Räume zu
treiben und zu steigern, wie der gezogene Gewehr-
lauf die Kugel. Ich habe mich auf je zwei Beispiele
der klassischen und der gotischen Formgebung be-
schränken müssen. Das angebotene Bild und Wort
kann lediglich Anregung zur Nachprüfung im weiteren
Rahmen sein.

Müde nach des Sommers Tänzen . . .

Müde nach des Sommers Tänzen
Träumen kleine Sandsteinputten;
Unten in der Sonne glänzen
Statt der Rosen Hagebutten.
Auf des Weinlaubs bunte Wirren
Schreibt das Licht manch' gold'ne Letter,
Aber auf dem Kiesweg klirren
Schon die ersten welken Blätter.

Gelbe Sommervögel füttern
Um die rötlichen Gladiolen -
Doch der Nordwind läßt sie zittern,
Und der Nachtfrost wird sie holen.
Schatten schweben wie Gespenster
Auf der blauen Blumenarnpel;
In das offne Zimmerfenster
Fliegt ein schwarzer Trauermantel.
Elsa Nicklaß

186
 
Annotationen