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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 6 (Juni 1932)
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Dorner, Alexander: Im Kampf um unsere Sache: die Kinderzeichnung
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Kolb, Gustav: Nochmals im Kampf um unsere Sache
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0110

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gekonnt sein mußte, ehe inan zu solchen Darstellungen
„forlschieiten" durfte. Hier soll ja aber gar kein inner-
lich fremder technischer Apparat unter Ausschaltung
des produktiven Eigenwillens gelernt werden, was
notwendig die Schaffensfreude, das Selbstvertrauen
und die schöpferische Lebendigkeit erstickt, sondern
hier soll gekräftigt und auf dem Wege der Selbst-
erziehung zur bestmöglichen Gestaltung gebracht wer-
den, was als natürlicher, warmer Trieb im jungen Men-
schen lebt, Und erst diese Art Erziehung scheint mir
die zu sein, die aus Kindern Menschen macht, die zu
Leistungen freudig sind.
* + +
Zum Schluß noch ein drittes, was mit den praktischen
Erfolgen dieses neuen Unterrichts nichts zu tun hat,
sondern in das Gebiet osychologischer und kunst-
historischer Erkenntnis gehört. Es ist aber von so all-
gemeinem Interesse, daß es liier wenigstens angedeu-
tel worden muß.
Es erweist sich nämlich die erstaunliche Tatsache,
daß das unverdorbene Kind in seinen Schöpfungen
vor der Schulzeit und dann bei der behutsamen Me-
thode des neuen Kunstunlerrichts der Reihe nach die
Entwicklungsstadien bildlicher Darstellung durchmacht,
die der Mensch in seinen künstlerischen Leistungen
seit den ersten uns bekannten Anfängen durchwandert
hat. Diese psychologisch und kunsthistorisch hoch-

interessante Entdeckung, daß der heranwachsendo
Mensch die Entwicklungsstadien seiner Vorfahren auf
dem Wege eigener Schöpfungen erneut durchläuft,
ist aber nur ein glückliches Nebenprodukt, das bei
dieser neuen Methode des Zeichenunterrichts abfällt.
Sein schönster und wertvollster Erfolg ist die Bildung
und Kräftigung selbstbewußter, natürlicli gewachsener
Persönlichkeiten, ist die Ausschaltung der menschen-
mordenden passiven Reflexion, die überall da ent-
steht, wo Kenntnisse nicht zu erlebten Erkenntnissen
werden und daher wie eine unübersteigliche Wand
hemmend sich aufrichten. Es ist der Weg vom Wissen
zum Erleben, von der verwirrenden Anhäufung inner-
lich fremder Kenntnisse zur aktiven Verarbeitung, d. h.
zu lebendigen Erkenntnissen. Es ist, es sei zum Schluß
nochmals gesagt, dieser neue Zeichenunterricht ein
ungeheuer wichtiges Mittel, eindeutige, leislungsfreu-
dige Menschen zu erziehen, und darum ist mit aller
Kraft daran zu arbeiten, daß der vernichtende Schlag,
den er durch die letzten Sparmaßnahmen bekommen
hat, wieder gutgemacht wird.
Es geht dabei um mehr als um ein paar weggestri-
chene Zeichenstunden. Es geht um eine Möglichkeit,
uns ein riesiges Kapital an Volkskraft zu erhallen, auf
der unsere Zukunft beruht. Es ist an derZeit, auch hier
endlich zu begreifen, daß die Zukunft weniger mit
Geld als mit lebendigen Seelen gemacht wird.
Aus der Beilage des Hannoversdien Anzeigers vom 28. 2, 32

GUSTAV KOLB-STUTTGART: NOCHMALS IM KAMPF UM UNSERE SACHE

Unser Arbeitsgebiet marschiert — so-
weit es sich um seine innere Entwicklung handelt.
Immer wieder wird von Leuten, die innerhalb oder
außerhalb der Schule stehen, versichert, daß kein
Unterrichtsfach so große Wandlungen zu verzeichnen
habe.
Nun, alles was marschiert, sich bewegt, erregt die
Aufmerksamkeit der Zuschauer in besonderem Maße.
Schon daraus erklärt sich die Anteilnahme, die oft
leidenschaftliche Zustimmung oder Ablehnung, die
unsere Arbeit erfährt, sobald sie, wie gegenwärtig,
an die Öffentlichkeit tritt.
Dem einen, je nach Temperament — es gibt gebo-
lene Langweiler und Kurzweiler — geht der Marsch
nicht rasch, dem andern nicht langsam genug. Wieder
andere vermuten, daß wir in der lire gehen und füh-
len sich berufen, ihre warnende Stimme recht laut zu
oilieben. Dem einen ist unser Unterricht nicht wissen-
schaftlich, dem anderen nicht künstlerisch genug, der
eine findet ihn zu wenig auf das Praktisch-Nützliche
eingestellt, der andere will die „ewigen Menschheits-
woite" mehr betont wissen.
Manche glauben, die „neue Zeichenmethode", wie
man sich, den Sachverhalt völlig mißverstehend, aus-
drückt, wäre nur eine vorübergehende Modeströmung,
die auf einer krankhaften „Anbetung des Kindes" be-
lulio und nicht rasch genug wieder verschwinden
könne.
Andere dagegen erblicken in uns den Vortrupp
cinoi neuen Erziohungsgesiiinung, die den Nachdruck
Jüiauf legt, mit dem Schüler zu leben, statt ihn nur zu
unlc’iriclilen. Unser Bestreben, die schöpferische Tatkraft
dei Jugend und unseres Volkes zu wecken, die Schü-
ler von innen und von außen her für das Leben und
roino Aufgaben aufzuschließen, erscheint ihnen als
ein neues Erziehungsideai, das berufen ist, die gesamte
Schulerziehung zu befruchten, wenn nicht gar umzu-
walzen.
Welle dem Lehrer, der angesichts solcher sich wider-
sprechenden Urteile keinen festen Standpunkt besitzt
und den verwirrenden Einwirkungen der öffentlichen
Meinung haltlos preisgegeben ist!


Damit soll nun aber keineswegs gesagt sein, daß
wir uns selbstherrlich jeder Kritik verschließen sollen.
Im Gegenteil — darauf wies ich schon an anderer
Stelle in diesem Heft hin —: wir müssen ein offenes
Ohr haben für alle bedeutungsvollen Stimmen, die von
außen her uns entgegentönen. Und se'bst das Krän-
kende und Verletzende kann unter Umständen uns und
unsere Arbeit fördern, sofern es irgendwie noch einen
sachlichen Kern umschließt. Diesen Kern gilt es dann
sorgsam herauszuschälen und auszuwerten.
Freilich haben wir auch die Pflicht, unsere Erziehungs-
aufgabe gegen unsachgemäße Beurteilung und Verur-
teilung zu schützen, namentlich dann, wenn solche
Äußerungen die öffentliche Meinung irreführen, den
gedeihlichen Fortschritt unserer Arbeit erschweren
können.
Von' dieser Gesinnung lassen wir uns leiten, wenn
wir Kunst und Jugend für alle wichtigen Äußerungen
dieser Art öffnen, gleichviel ob sie für unsere Arbeit
Anerkennung oder Tadel bedeuten. Nach Abschluß
des Kampfes um Zurücknahme der Abbaumaßnahmen,
der zur Zeit in Preußen im Gange ist, wollen wir dann
das Gesamtergebnis aus diesen Kundgebungen ziehen
und das für uns grundsätzlich Wertvolle zusammen-
fassen.
Heute will ich auf einige Presseäußerungen hin-
weisen, die wir hier nicht abdrucken können.
+ * i
In Heft 6 der Monatszeitschrift „Die Erziehung"
nahm ich Stellung zu eben dort erschienenen früheren
Ausführungen des Herrn Universitätsprofessors Oskar
Wulff in Berlin und des Herrn Hofrats Oberstudien-
direktors Ludwig Erik Tesar in Wien.
Wulff vertrat schon bei dem Internationalen Kongreß
in Prag die Ansicht, der Zeichenunterricht habe das
„Endziel", „das Kind in die uns gewohnte Bildanschau-
ung hineinwachsen zu lassen".
Ich führte in der „Erziehung" dazu aus:
„Man beachte, der Nachdruck liegt auf den anschei-
nend so harmlosen, aber so bedeutungsvollen Wört-
chen: „in die uns gewohnte".

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