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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 12 (Dezember 1932)
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Nicklass, Elsa: Bunte Fenster
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Zum Nachdenken
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0228

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Die zweite Obertertia, begabter, als die eben an-
geführte, begnügt sich nicht mit Ornamenten. „Ehre
sei Gott in der Höhe" heißt ihr Sinnspruch und sie be-
völkert den mittleren Flur mit einem ganzen Heer von
himmlischen Chören. In jedem der hochgelegenen
Fenster (53 X 1,40) steht ein singender Engel, die
Worte des Spruches von langen Bandstreifen ab-
singend, in jeder kleinen Scheibe (53 X 70) der gro-
ßen Fenster kniet, sitzt, hockt, kauert ein Himmelsgast
mit einem anderen Instrument. Wir haben uns zu Ein-
heitlichkeit in der Farbe entschlossen: so wurden die
Engel der rechten oberen, linken mittleren und rechten
unteren Scheibe lila — die übrigen drei goldgelb ge-
halten und durch diese regelmäßige Verteilung von
Gelb neben Lila und Lila neben Gelb wurde der Ar-
chitektur der Fenster sinnreich entsprochen. Eine wei-
tere Aufgabe bleibt dieser sehr begabten Klasse noch
Vorbehalten, die sie aber wohl erst gegen das Ende
der Adventszeit fertigstellen kann, wenn sie sie über-
haupt noch bewältigt. Der mittlere Flur zeigt an der
Stelle, an der er auf den Treppenabsatz stößt, eine
kleine Verbreiterung. Von dieser Stelle aus führt im
rechten Winkel zum Flur der Weg zum Gesangsaal,
und zwar so, daß man nach 4—5 Stufen Steigung auf
dem Weg dorthin zunächst einmal in eine winzige Vor-
halle kommt, einem kleinen Kreuzgewölbe von schät-
zungsweise 3 X 3 m. In diesem Raum, der einer Sei-
tenkapelle gleicht, wollen wir noch ein großes Trans-
parent aufstellen, das der Form der Nische genau ent-
spricht: Eine Maria mit dem Kind und Engeln oder
irgend dergleichen. Die musizierenden Engel des Flu-
res würden uns also den Weg hinweisen zu diesem
Bilde, an dem alle, oder doch fast alle Klassen am
Montag auf dem Wege zur Andacht Vorbeigehen
müssen.
Die zweite Untersekunda nun endlich befaßt sich
rnit dem Anbetungsgedanken. Die zwei großen Fenster
des oberen Flures zu je sechs kleinen Fensterscheiben
(52 X 70) erhalten den Zug der Heiligen drei Könige
in eine große Landschaft hineingestellt, und zwar so,
daß dieser Zug im linken Fenster beginnend, sich
S-förmig durch dasselbe zieht und von der rechten
unteren Ecke desselben überspringt auf den unteren
Teil des nächsten Fensters, das dann In seinen beiden
unteren Scheiben die drei Könige selbst mit ihren
nächsten Dienern zeigt und in den vier oberen Schei-
ben nur eine weite Landschaft mit Himmel. Der Ent-
wurf stammt dieses Mal von zwei verschiedenen
Schülerinnen, deren Entwürfe wir zusammenbanden.

Die fünf hochgelegenen Fenster zeigen abermals Or-
namentschmuck.
Was das Erfreulichste ist bei solcher Arbeit, das ist
die tiefgehende Verbindung, die unter der Schüler-
schaft eintritt. In jeder Klasse'gibt es „Parteien" —
wenn auch nicht im politischen Sinne, — vielleicht
auch dies, aber für uns nicht fühlbar. Aber Gruppen
und Grüppchen, die sich lieben oder abstoßen oder
gleichgültig lassen. Gemeinsames Schenken verbindet.
Zunächst besiegt eine für das Gelingen erforderliche
Sachlichkeit alle Kleinlichkeiten des Parteiwesens.
Später eine Hingabe an den Gedanken des Freude-
machenwollens.
Diese Sachlichkeit ließ zum Beispiel den Entwurf
einer Mittelbegabten für die Saalfenster zur Ausfüh-
rung gelangen. Die Ausführung der beiden Hauptfen-
ster übernahmen dann zwei Hochbegabte, (Maria und
Engel), die sich dem Anordnungsgedanken der weni-
ger begabten Schülerin fügten. Der Ornamententwurf
einer Minderbegabten wurde allgemein als bester
anerkannt, während wieder eine andere, mit Gaben
reicher ausgestattete, nur bescheidentlich den Ent-
wurf für die Schrift geleistet hatte.
Die Hingabe an den Gedanken: „wir wollen schen-
ken" kam noch rührender zum Ausdruck. Ich ließ alles,
auch das Ausmessen der Fenster durch die Schüle-
rinnen selbst machen. Es zeigte sich hierbei in der-
selben Klasse, die ich eben erwähne, daß die mit dem
Messen betrauten Schülerinnen versagt hatten. Das
Ergebnis war, daß wir, bei knappbemessener Zeit,
zwei volle Stunden mit falschen Maßen, also umson'st
gearbeitet hatten. Der Eindruck war zunächst nieder-
schmetternd. Dann aber ging am nächsten Morgen
eine dritte Schülerin, von sich aus zu mir kommend,
noch einmal vor der Schule mit mir zusammen ans
Werk. Errechnete sich mit den richtigen Maßen nun
alle Arbeiten der Kameradinnen noch einmal neu,
brachte allen die neuen Ermittelungen und ver-
anlaßte sie über Sonntag die versäumten zwei Zei-
chenstunden durch häusliche Arbeit nachzuholen. Sie
selbst übernahm sogleich im Übereifer zwei statt
einer Scheibe und gab so ein leuchtendes Vorbild.
Was wir alle brauchen, ist auch dies: das gemein-
same Werk, die Freude am Wiederaufbau, am ernsten
Schenkenwollen. Die werktätige Liebe erhebt über
alle Parteien.*
* Der Ausschneidekarton der Firma Ashelm ist lür derartige Arbeiten
dringend zu empfehlen. Die Bogen sind 48x64, reichten also für uns
nidil aus, wir verlängerten, indem wir mit Kalikostreifen verbanden.
Das neue „Fenslerpapier" von Ashelm ist erstklassig,

ZUM NACHDENKEN

Die Geburtsstunde einer wirklichen Bildung . . .
Dieser Winter ist die einzige wirkliche Schulzeit
meines Lebens gewesen, daß sie zugleich ein einziger
Genuß war, hat meine Abneigung gegen jeden über
das Elementare hinaus gehenden Unterricht bestätigt.
Die wirkliche geistige Nahrung kann nur aus einem
Hungerbedürfnis des Geistes eingenommen und ver-
daut werden, unsere sogenannte Allgemeinbildung
ist eine sinnlose Uberfütterung der jungen Mägen mit
Dingen, die ihnen gar nicht begehrenswert sind. Die
Interesselosigkeit unserer „Gebildeten" scheint mir
eine Folge dieser ungewünschten Uberfütterung; ich
würde den Tag als die Goburtsstunde einer wirklichen
Bildung begrüßen, wo man der Neigung des Einzelnen
außer den elementaren Kenntnissen und Fähigkeiten
und der notwendigen Fachbildung vollkommen über-
ließe, was er von den höheren Dingen des Geistes
schmecken möchte. Wir würden nicht nur eine ent-
lastete Tugend, sondern auch ein anderes geistiges

Leben haben als heute, wo die frühe Übersättigung
es zu keiner fröhlichen Mahlzeit kommen läßt.
Aus Wilhelm Schäfer, „Lebensabrifj", Seife 24,25.
♦ * t
Ach, wohin soll ich nun steigen mit meiner Sehnsuchtl
Von allen Bergen schaue ich aus nach Vater- und
Mutterländern. Aber Heimat fand ich nirgends; unstet
bin ich in allen Städten und ein Aufbruch an allen
Toren.
Fremd sind mir und Spott die Gegenwärtigen, zu
denen mich jüngst das Herz trieb; und vertrieben
bin ich aus Vater- und Mutterländern. So liebe ich
allein noch meiner Kinder Land, das entdeckte, im
fernsten Meere; nach ihm heiße ich meine Segel
suchen und suchen. An meinen Kindern will ich es gut
machen, daß ich meiner Väter Kind bin: und an aller
Zukunft — diese Gegenwart. — Also sprach Zarathustra.
Nieljsche.

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