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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 9 (September 1932)
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Bischoff, ...: Die Anbetung des Kindes?
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Köngeter: Gestalten und Darstellen
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0165

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DIE ANBETUNG DES KINDES?

Nachstehende Äufjerung des Dichters H. Eulenberg gehört
reilllch dem vorigen Jahr an, Sie soll hier Im Rahmen der
beachtenswerten Urleilo Uber unsere Erziehungsbcslrebun-
gon wiedergegeben werden samt den Anmerkungen un-
seios Amlsgenossen E. Bischolt, Ulm. O. K.
Dio Gepflogenheit größerer Zeitschriften, zu Weih-
nachten oder Neujahr an hervorragende Männer
und Flauen der Kunst, Politik und Wirtschaft Umfragen
gegenwärtiger Probleme zu veranstalten, hat den be-
Unnten Dichter H. Eulenberg veranlaßt, über das
Ihema „Weihnachtswünsche an die deutsche Jugend"
m der sehr verbreiteten Frauenzeitschrift „Der Bazar"
(die von vielen Müttern schulpflichtiger Kinder gele-
gen wiid) zu schreiben, daß er, trotz Einsicht in jugend-
liche Alt, der deutschen Jugend mehr Bescheiden-
heit wünsche, Wir sind damit einig. Niemand hat Ge-
lulk'ti an der Überheblichkeit und Anmaßung junger
loute, obwohl der der gegenwärtigen Jugend nahe
teilende Lehrer die von Anmaßung weit entfernte
Stimmung dieser jungen Menschen kennt, die bei der
Berufswahl vor rings verschlossenen Türen stehtl Eulen-
berg begründet jedoch die von ihm festgestellte
.Dünkelhaftigkeit" der Jugend folgendermaßen:
„Wir haben nach dem Kriege eine Verehrung, ja Anbetung, mit
dem Kinde gelrieben, die oft bis ins Lächerliche gegangen ist. Immer-
ru sind und werden heule noch Kinderausslellungen veranslallel,
in denen uns die Kunstwerke der Kleinen als vieles versprechende
oder gar schon als vollendete Leistungen vorgelührt werden. Dabei
ijnhl man von der ganz irrigen Meinung aus, datj jedes Kind Nalür-
lichkoit und Unbefangenheit halle. Jene Eigenschaft, die das Fremd-
wort „Naivität" umschreibt. Das Ist indessen durchaus nicht der Fall.
Es gibl zahlreiche schon in frühesten Jahren verbildete und unnatür-
liche Kinder.
Inlolge all dieses Aulsehens, das man um die Jugend, ihre Erzie-
hung und Bedeutung gemacht hat, ist ein Dünkel bei ihr entstan-
den, den es allmählich zu ihrem eigenen Besten wieder auszulil-
yen heitjt."
Dazu einige Bemerkungen:
Abgesehen davon, daß eine ins Lächerliche gehende
Anbetung des Kindes gar nicht allgemein geschah
und der „Kult des Kindes" uns stets als zu wenig ernst-
haft und auch oberflächlich erschien, ist es geradezu
falsch, zu behaupten, wir würden uns über die Un-
befangenheit des Kindes täuschen, und würden auf
diesem Trugschluß unsere Arbeit aufbauen. Jeder weiß,
daß es verbildete und unnatürliche Kinder gibt, aber
dies ist kein Beweis gegen unsere erzieherische An-
schauung. So wenig ein Dichter sich von der Kultur-
iosigkeit einiger Zeitgenossen beirren lassen darf, so
„lächerlich" wäre es, wenn wir die Binsenwahrheit
mancher verbildeter Kinder zum Anlaß nehmen wür-
den, ihretwegen die viel größere Anzahl natürlicher
Kinder so zu unterrichten, als ob sie alle verbildet

wären. Die Aufgabe liegt einfach so, daß wir den
Schaden der Verbildung durch Entfaltung der natür-
lichen, falsch geleiteten Anlage aufzuheben streben;
soweit nicht der erfahrungsgemäß sehr seltene Fal!
krankhaft gesteigerter Unnatüilichkeit vorliegt, bei
dessen Heilung wir nur mitwirken können. Aber auch
dieser Fehler kann am ehesten noch behoben wer-
den, indem wir die Anregung der hier verdeckten,
ursprünglichen Anlage anstreben, also bei unseren
Grundsätzen bleiben. In den Kinderausslellungen sieht
denn E. den Hauptgrund für den durch „all dieses Auf-
sehen" entstandenen „Dünkel". Was wollen wir aber
mit den Ausstellungen der Kinderarbeiten? Nie woll-
ten wir „Kunstwerke der Kleinen" und in diesen „vie-
les versprechende" (im Sinn der hohen Kunst) „und
gar vollendete Leistungen" vorführen. Stets werden
Spitzenleistungen, also „Kunstausstellungen" als Dar-
legungen des Unterrichts abgelehnt im streng fest-
gehaltenen Sinn einer breiten Einsicht in den Ge-
samtunterricht. Daß die Jugend dadurch
überheblich werden könnte, können wir deshalb nicht
glauben, weil auch vor dem Krieg schon Zeichenaus-
stellungen (und zwar vielfach ausgesuchte Arbeiten)
stattfanden, ohne daß damals die üblen Charakter-
folgen festgestellt worden wärenl H. Eulenberg wünscht
allem nach mit der Austilgung des Dünkels auch eine
Abkehr von der vermeintlichen Wurzel dieses Dünkels,
nämlich vom Unterricht, dessen nach außen wirkende
Ausstellungen ihm ein Zeichen für den durch „all die-
ses Aufsehen" erregten Schaden an der Jugend Ist.
Wir wissen, daß wir die Jugend mit den Kräften er-
ziehen, die in ihr selber liegen, daß wir also einer
dünkelhaften Nachäffung der Erwachsenen entgegen-
wirken mit den das Selbstvertrauen und die Selbst-
zucht stärkenden Mitteln des naturgemäßen Gestal-
ten. Und nun unser Wunsch:
Selbst ein aus Tradition voreingenommener Beob-
achter, der die Arbeit gerecht beurteilt, wird doch zu-
gestehen, daß in unserem Fach anstelle hemmungs-
loser und verantwortungsloser Begeisterung ein sach-
licher Ernst täglicher Kritik und Selbstkritik an der Ar-
beit ist, daß wir nicht in blinder „Anbetung" vorwärts
stürmen, sondern das Bleibende neuer Erziehungsfor-
men immer präziser zu fassen versuchen. Mögen doch
alle die, die kraft Ihrer hohen Begabung in den
vordersten Reihen des Kampfs um echte Kultur
stehen, auch mit unterrichtetem Verständnis in die
Reihen derer sehen, die in täglich neuem Durchden-
ken und Einfühlen in ihre Aufgaben ihnen den Rücken
stärken im Kampf um die Kultur des Volkes,
Bischoff.

KÖNGETER. MARKGRÖNINGEN: GESTALTEN UND DARSTELLEN

Es ist gewiß notwendig, diesen beiden Begriffen
bis in die letzten Verästelungen und Folgerungen
nachzuspüren. Es ist dies notwendig im Dienst unserer
Berufsaufgabe wie der ganzen Erziehungsaufgabe
überhaupt. Es geht bei dieser Zweiheit um Wachsen
und Nähren, um Kraft und stoffliche Macht, um Kräf-
tigung und Sättigung und um die kernwesentliche
Sache von Nachfolge und Nachahmung — um die
Grundhaltung des Lebens.
Alles Scheiden bekommt aber erst seinen letzten
Sinn dadurch, daß es Lebensdienst wird. Unser Schei-
den ist häufig vorwiegend eine Intellektualangelegen-
heit. Unsere Worte sind saftlos und kraftlos oder
mindestens lahm geworden unter dem kalten Mond-
licht des Intellekts. Sie sind gebildet statt bildend.
Das „war einmal" anders. In der Großmutterzeit. Wie

kompliziert sind wir gewordenl — Aber vielleicht sind
wir doch durch alles Komplizierte nicht so abseitig
geworden, daß uns der volle bildhafte Klang der
Sprache unsrer alten Volksmärchen abhanden gekom-
men wäre. Ihre Worte und Bilder sind voll gleichnis-
hafter, symbolhafter Kraft. Das macht ihren über-
zeitlichen Wert aus.
Auch unsre Probleme ums Darstellen und Gestalten
sind, weil sie Kernfragen der Lebenshaltung anschla-
gen, im Märchen durch Gleichnisse und Symbole
gelöst. Ich möchte dies am Beispiel des Märchens
vom Rotkäppchen lebendig machen. Wir kennen sie
alle, die Mutter, den Wolf, die Großmutter, den Jäger
und die „kleine süße Dirn". Vielleicht aber durch-
schauen wir sie nicht alle.
Rotkäppchen lebt als die reine kindliche Seele in

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