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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 2 (Februar 1932)
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Fritz, E.: Zum Abbau, [1]: zum Abbau des Zeichen- und Kunstunterrichts
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Sprechsaal / Zum Nachdenken / Umschau / Buchbesprechung
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0043

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Wenn wii so iirm werden wie die Kirchenmäuse.
Friedrich Wilhelm III. nach dem Frieden von Tilsit:
„Zwar haben wir an Flächenraum verloren, zwar ist
unser Staat an äußerer Macht, an äußerem Ansehen
gesunken, aber wir wollen und müssen dafür sorgen,
daß wir an innerer Macht und innerem Glanze gewin-
nen, deshalb ist mein fester Wille, daß dem Volks-
unterricht die größte Aufmerksamkeit gewidmet
werde."
Freiherr vom Stein in seinem Sendschreiben an die
oberste Verwaltungsbehörde: „Am meisten aber hier-

SPRECHSÄÄL
Am Schlagbaum der Zeit!
Kritik der abgeänderten Stundentafeln von 1928 und
der neuen Leistungsmöglichkeiten an sächsischen
Gymnasien.
Von Johannes Fiedler, Dresden
(Schluß)
Die Schülergruppe im Zensurenbereich 1 bis 2a,
welche vor der Reform von O 2 bis O 1 den wahlfreien
Zeichenkursus bildete, hat also durch die neuen Stun-
dentafeln den empfindlichsten Verlust an Arbeitszeit
erlitten.
Sie fügt sich natürlich in die neuen Verhältnisse
und wird wahrscheinlich auch künftig in O 2 den Kur-
sus der Künste bevorzugen.
Waren aber diese besonders begabten Zeichner
früher „unter sich", so teilen sie in Zukunft den Unter-
richt mit Mittel- und Unbegabten.
In dieser zweiten Gruppe wiederum wendet sich
ein Teil der Schüler der „Bildenden Kunst" aus stärke-
rem Interesse an der Kunstbetrachtung zu.
Es kommen aber auch die, welche eine wissen-
schaftliche Mehrbelastung durch Griechisch oder Fran-
zösisch nicht vertragen und meinen, daß sie in den
künstlerischen Fächern „nicht in dem Maße geistig an-
gespannt werden, wie in anderen Unterrichtsfächern".*
Zur Ehre unserer Schüler sei gesagt, daß diese nicht
in der Mehrzahl sein müssen.
Der Kunstunterricht der Oberstufe hat es also mit
einer Schülergruppe verschiedener Begabungsstufen
und zersplitterter Kunstinteressen zu tun.
Folge?
Die Übungen müssen sowohl der geringen Unter-
richtszeit als auch der heterogenen Geistesstruktur
der Kurse angeglichen werden. Die gehobenen künst-
lerischen Aufgaben des bisherigen wahlfreien Zei-
chenunterrichts vor der Reform sind hier unmöglich.
Oder — auch der Kunstlehrer müßte mit seinen An-
sprüchen ständig „zwischen der Scylla der Trivialität
und der Carybdis der Unverständlichkeit" lavieren.**
Wir begrüßen, daß die Reform durch verschärften
Wahlzwang der allgemeinen Kunsterziehung breitere
Massen zuführt, denen sich der Unterricht anpassen
wird.
Wir erkennen zugleich, daß die Neuregelung eine
Bildungsnot entschieden begabter Zeichner an
höheren Schulen hervorruft.
Sollen diese künftig ihre weitgehenderen Unter-
richlswünsche an Instituten außerhalb der höheren
Schule befriedigen.
Will die höhere Schule des 20, Jahrhunderts auf
eines ihrer vornehmsten Bildungsrechte verzichten?
Auch die Denkschrift sagt auf Seite 42: Nicht jeder
kann und will — nachdem ein gewisses Maß grund-
* Siehe Denkschrift, Seile 43, Zeile 27, 281
Monalsschrill „Die Erziehung* 1' Hell 10 11, Juli, August 1930: Be-
cjnbungsunlerschiede und Gabelung In der höheren Schule von Prof.
Di. 1h. Uli.

bei wiu im ganzen isl von der fcmehuuy und dem
Unterrichte zu erwarten. Wird durch eine aul die
innere Natur der Menschen gegründete Methode jede
Geisteskraft von innen heraus entwickelt und jedes
Lebensprinzip angereizt und genährt, alle einseitige
Bildung vermieden, so können wir hoffen, ein physisch
und moralisch kräftiges Geschlecht aufwachsen und
eine bessere Zukunft sich eröffnen zu sehen."
Rathenau: „Wenn wir so arm werden wie die Kir-
chenmäuse, so müssen wir unsern letzten Pfennig
daran setzen, Erziehung und Unterricht... so hoch wie
möglich zu spannen.

legender Bildung erreicht ist — allen Fächern
gleiche Kraft widmen. Er will in mehreren
Fächern, zu denen ihn seine Begabung und Berufs-
richtung hinzieht, tiefer und gründlicher wis-
senschaftlich (künstlerisch! d. Verf.) ausgebildet
werden als in den anderen.
Die Neuregelung des neunstufigen Lehrganges kön-
nen wir nur als unentschiedenen Fortschritt oder als
pädagogischen Versuch bewerten. Sie beweist, daß
man heute nach 30jähriger Schulentwicklung Leistungs-
fähigkeit und Bildungswert des Zeichenunterrichts und
der Kunsterziehung höher einschätzt. Sie beweist an-
dererseits, daß man auch heute noch grundsätzlich
Leistungsfähigkeit und Bildungswert der Kunstfächel
für enger begrenzt hält als Leistungsfähigkeit und'
Bildungswert der wissenschaftlichen Fächer.
Zweifellos stützt man sich hierbei auf Erfahrung
und Berichte aus der Praxis. Man erkennt aber nur
Wirkungen, nicht zugleich ihre Ursachen.
Wenn der wissenschaftliche Unterricht auch außer-
halb der Schule höher bewertet wird, dann deshalb,
weil seine Wirkungen bei ungleich größerem Zeitauf-
wand stärker sein müssen. Sind doch nach dem Kriege
auch die Wirkungen des Turnunterrichts gewachsen,
weil seine sportlichen und gymnastischen Übungen
nicht nur in den vorgeschriebenen Pflichtstunden, son-
dern auch außerhalb des Schulbetriebes reichlicher
gepflegt werden.
Welche Ausbildungszeiten schreibt die Reform den
übrigen Fächern des Schulplanes vor?
Der Unterschied wird besonders deutlich, wenn
man die Zahlengrößen graphisch als Z e i t s ä u I e n
nebeneinander stellt.
Man betrachte daher die nebenstehende
V e r g I e i c h s t a f e I der Zeitsäulen aller
Unterrichtsfächer am Reformrealgym-
nasium in Verbindung mit der sprachlich
historischen Abteilung.
Anordnung von links nach rechts:
A: Die Zeitsäule von 9 Schuljahren als Maßstab.
B: Die Zeitsäulen der Künste und des Handwerks —
1, Schreiben + Werkunterricht, 2. Musik, 3 Bil-
dende Kunst.
C: Die Zeitsäulen der Sprachen — 4. Deutsch, 5. Eng-
lisch, 6. Latein, 7. Französisch, 8. Griechisch neben
Französisch.*
D: Die Zeitsäulen der mathematisch naturwissen-
schaftlichen Fächer in der sprachlichen Abteilung —
9. Mathematik, 10. Naturkunde T Chemie -| Übun-
gen, 11. Physik,
E: Die Zeitsäulen der historischen Fächer - 12, Ge-
schichte, 13. Religionskunde, 14. Erdkunde.
F: Die Zeitsäule der Spiele und Leibesübungen —15.
Türmt man die Zeitsäulen der Einzelfächer in den
Gruppen B, C, D, E übereinander, so stehen neben-
einander die Zeitsäulen der künstlerischen, der sprach-
* Pflichtkurs© für die reformgymnasinlen und ronlgyrnnasialen Abtei-
lungen der Oberslufe.

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