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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 7 (Juli 1932)
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Zum Nachdenken / Umschau / Buchbesprechungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0132

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ZUM NACHDENKEN
Die Phantasie.
Der englische Dichter Shelley sah in der Phantasie
die erste Quelle für alles Wertschaffende, für alle
Taten, Erfindungen, moralischen Entscheidungen und
Kulturgestaltungen . . . Moderne Philosophen wie
Spranger sehen in der Phantasie das Medium aller
teleologischen Antriebe des Geistes und die verschie-
denen Richtungen der Psychoanalyse stimmen in der
Überzeugung überein und haben durch vielseitige
Forschungen den Nachweis erbracht, daß auch im
durchschnittlichen Alltagsleben Phantasie und Symbol,
Ersatzhandlung und Ersatzvorstellung eine wichtige
Bedeutung haben.
Die Mittellage des normalen Lebens, die für den
reibungslosen Umgang mit Menschen, für die Einglie-
derung des Individuums in die gesellschaftlichen Zu-
stände und sein Eingreifen in wirtschaftliche Vorgänge
eine weitgehende Unabhängigkeit des Blickes von
Gefühl und Illusion und eine Abstimmung des Empfin-
dens und Fühlens auf unbefangene Nüchternheit for-
dert, ist nicht der natürliche Zustand des Menschen,
sondern das Produkt einer jahrtausendalten Züchtung
des Affektlebens. Aber auch diese weitgetriebene
Rationalisierung der menschlichen Seelenhaltung hat
nicht einmal für ihre eigenen Zwecke den Gebrauch
von Phantasiesymbolen ausschalten können, erst recht
nicht auf den Lebensgebieten, in die der Mensch sich
aus dem Wirkungsbereich der Politik, Wirtschaft und
Gesellschaft zurückzieht.
Aus: „Goethe und das 20.Jahrhundert'' von Hugo Bieber
(Volksverband der Bücherfreunde, Wegweiser Verlag, Berlin)

UMSCHAU
Internationale Tagung für Neues Zeichnen in Zürich.
Vom 19.—23 Tuli veranstaltet das Intern. Institut für
das Studium der Tugendzeichnung, Pestalozzianum
Zürich, Alte Beckenhofstr. 31, eine Tagung für Neues
Zeichnen.
An eine offizielle Beteiligung des Reichsverbandes
ist in der heutigen Zeit natürlich nicht zu denken. Aus
dem reichhaltigen Programm teile ich folgende Punkte
mit: Graphik, Farbe und Ton (Prof. Anschütz-Hamburg),
Raumproblem, figürliches Zeichnen, Werkunterricht,
kindliches Gestalten, plastisches Gestalten, Kunst-
theorie Britsch (Referent Kornmann). Während der Ta-
gung findet eine Ausstellung des Gymnasiums von
Zürich statt.
Kursusgeld einschl. Materialkosten beträgt 20 Fr.
Anmeldungen umgehend an obige Anschrift, von
wo ausführliche Programme und Anmeldekarten kosten-
los bezogen werden können. E. Fritz
Strömungen der modernen Malerei
Wohin geht der Weg? Von Carl Dietrich Carls
Die letzten Ausstellungen moderner Malerei, die
eine Übersicht über das gegenwärtige Schaffen zu
geben versuchten, haben beim Publikum in vielen
Fällen ein Gefühl der Ratlosigkeit hervorgerufen. So
liegt es nahe, die Strömungen der heutigen Malerei,
ihr Wesen und Ziel einmal im Zusammenhang zu be-
trachten. Es besteht in der Tat ein solches Nebenein-
ander verschiedenartiger und gegensätzlicher Erschei-
nungen, daß dem außenstehenden Betrachter die
Orientierung schwer werden muß. Immer wieder sind
in der letzten Zeit neue Bestrebungen aufgetaucht,
die das Vorhergehende negierten, die aber bald
selbst wieder von anderen abgelöst wurden. Auf den
Betrachter machte dies oft den Eindruck eines völlig
chaotischen Stilgewirrs. Er fragt sich unwillkürlich, ob
sich hier überhaupt irgendeine Entwicklung andeute
und wohin sie führe. Wird die Kunst der Zukunft ab-
strakt oder gegenständlich sein? Wird in ihr die Sach-

lichkeit oder die Subjektivität Obeihand gewinnen?
Wird sie sich „zeitgemäß" oder „unzeitgemäß" orien-
tieren?
Vor einiger Zeit war oft die Rede von einem An-
bruch neuer Sachlichkeit in der Kunst. Das Wort Sach-
lichkeit sollte wohl zunächst eigentlich ausdrücken,
daß man sich wieder mehr der Realität zuwenden und
eine neue Gegenständlichkeit der Darstellung erstre-
ben wolle. Man malte — im vulgären Wortsinn —
wieder „Sachen" auf das Bild. Man gab dieser neuen
Richtung eine sozusagen weltanschauliche Färbung,
indem man Gegenständlichkeit mit Sachlichkeit, das
heißt mit Objektivität gleichsetzle, Die neue Seh- und
Malweise, die man propagierte, beruhte hauptsäch-
lich darauf, daß man eine bestimmte Art neutraler
Motive bevorzugte, zum Beispiel kahle Häuser und
Straßen oder Gegenstände geometrisch einfacher
Form, und daß man diese Dinge nach ihrer Oberflä-
chenerscheinung wiedergab, sie einzeln und unver-
bunden nebeneinanderstellte. Bei verschiedenen Ver-
tretern dieser Art Malerei fiel auf, daß sie bewußt
alles vermieden, was nur entfernt nach Atmosphäre
und nach einem Hauch von Verbundenheit aussah.
Es ist nicht zu bestreiten, daß diese neue Schule
eine Anzahl guter Einzelleistungen aufzuweisen hat.
Dennoch fragte es sich aber, ob sie berechtigt war,
den Anspruch auf ausschließliche Geltung zu erheben.
Wenn man ausgeht von alltäglicher Erfahrung vor der
Realität, so erscheint es immer wieder zweifelhaft, ob
wirklich die Gegenstände unbedingt wichtiger sind
als das Atmosphärische, das sie verbindet und Be-
rührung zwischen ihnen schafft. Was um die Dinge und
zwischen den Dingen schwebt, macht oft erst ihi Le-
bendiges aus. Oft ergibt sich in der Kunst eine tiefere
Einsicht in die Dinge erst aus einer geistigen Haltung,
die, gemessen an jenem Begriff der Sachlichkeit, als
Unsachlichkeit zu bezeichnen wäre. Ihr Hauptkenn-
zeichen besteht darin, daß sie nicht nur das Greifbare
und Wägbare der Dinge, sondern auch dasjenige zu
erfassen versucht, was zwar nicht unbedingt greifbar,
aber für menschliches Empfinden doch vorhanden und
wesentlich ist. Die meisterhaften Landschaftsbilder
eines Kokoschka etwa, die in Seh- und Malweise
größte Subjektivität zeigen, können auch jetzt noch
immer vor den Bildern der „Sachlichen", zum Beispiel
den Landschaften eines Champion, sehr wohl be-
stehen. Die Erfolge der großen „Unsachlichen" gerade
in der letzten Zeit, ihre weile Wirkung auch über die
deutschen Grenzen hinaus (man denke an die Ko-
koschka- und Klee-Ausstellungen in Paris) sind sichere
Zeichen dafür, daß die Sachlichkeit jene durch starke
Subjektivität gekennzeichneten Bestrebungen bisher
keineswegs verdrängt hat.
Die ganzen geistigen Spannungen, von denen das
Kunstschaffen heute beherrscht wird, werden deutlich,
wenn man zum Beispiel zwei Künstler wie Dix und
Klee einander gegenüberstellt. Dix speist seine zeich-
nerische und malerische Erfindung aus der Realität.
Durch unnachgiebig scharfe Zeichnung und unerbitt-
liche Detaillierung gewinnt seine Gestaltungsweise
größte Präzision und Strenge. Die Menschen, die er
darstellt, wirken unbeweglich ernst und oft fast starr.
Selbst die Züge eines Kindergesichtes werden untei
seiner Hand streng und überreif. Die Bilder Dix' erhal-
ten durch die Zusammenballung seiner scharfen Aus-
drucksmittel nicht selten etwas Drohendes. Die Über-
betonung einzelner Formen gibt ihnen außerdem
manchmal einen barocken Zug, so in dem bekannt
gewordenen Bildnis Theodor Däublers vor einer stark
bewegten Architektur. Wenn man tiefer blickt, erkennt
man gerade in seinen Bildnissen andererseits manche
innere Anknüpfung an die Gestaltungsweise deut-
scher Romantiker, mag er äußerlich noch so scharf von
ihnen geschieden sein. Dieser Zusammenhang mit der
Kunst früherer Zeit bewirkt es, daß das Publikum zu

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