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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 12 (Dezember 1932)
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Fritz, Ernst: Von der andern Seite
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0230

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ERNST FRITZ-DORTMUND: VON DER ÄNDERN SEITE

In den Fachblätlern der Reichsverbände akademisch
gebildeter Zeichenlehrer und Zeichenlehrerinnen fin-
den sich in regelmäßiger Folge Äußerungen zu dem
Thema „Philologen und Kunsterzieher". Wir haben es
hier mit einer alten Gegnerschaft zu tun, die früher
mehr negativer Art war und sich mit Geringschätzung
gegenüber dem nur „technischen" Fache begnügte.
Seit Tahren aber hat sich die Taktik geändert; wir
haben eine Fülle von Beweisen, daß nunmehr zielbe-
wußt zum Angriff übergegangen wird.
Der Angriff gilt unserm Fache. Daß es dabei nicht
an Seitenhieben auf den Stand fehlt, sei der Vollstän-
digkeit halber erwähnt; dies bleibe aber hier uner-
örtert, da wir nicht in den gleichen Fehler verfallen
wollen wie die Gegenseite. Warum nun die Gegner-
schaft? Wird etwa dem Fache nachgesagt: Du leistest
nichts, deswegen ist für dich kein Platz in der Schule?
Die Urteile gehen auseinander, so unglaubhaft weit,
daß man nur staunen kann. So sagten die deutschen
Philologen 1928 in Wien: „Man werde mit dem Zeich-
nen aufräumen, planmäßige Zeitverschwendung, Chaos
usw." Der preußische Kultusminister aber sagt 1931
von der Kunsterziehung: „Wir stehen inmitten einer
Entwicklung, in einer Wandlung, die einschnei-
denderist als der Schulfortschritt auf
irgend einem wissenschaftlichen Ge-
b i e t."
Kann man zu so grundverschiedenen Urteilen kom-
men vor derselben Sache? Warum nicht? Man sehe
z. B. die Lausanner Abrüstungstagung. Es kommt eben
auf den Zweck an, den ich mit meinem Urteil errei-
chen will. Wir lehnen die Wiener Meinung als Fehl-
urteil ab, als unsachlich und ungerecht. „Wissenschaft-
ler" haben das Urteil gefällt; sie haben dabei sich
über die elementarste Grundforderung wissenschaft-
licher Arbeit hinweggesetzt: Sachlichkeit, Gerechtig-
keit, Sachkenntnis.
Es war durchaus im Sinne des Wiener Fehlurteils ge-
dacht und gehandelt, wenn der Vorstand des Philo-
logenvereins schon 1930 dem preußischen Kultusmini-
ster persönlich die Anregung zur „Einschränkung des
technisch-künstlerischen Unterrichts" vortrug. Schade,
daß der Minister dieser anregenden Deputation nicht
sein Wort von 1931 zur Antwort gab. Noch mehr
schade aber, daß er dieser Anregung folgte und durch
den Sparerlaß vom 14. September 1931 den Zeichen-
und Kunstunterricht an den höheren Schulen Preußens
zur völligen Bedeutungslosigkeit verurteilte.
Dankend quittiert die Flamburger Tagung des Deut-
schen Philologenverein mit dem Wort: „Die höhere
Schule besann sich auf sich selbs t". Dieses
Wort, es wurde geprägt als höchstes Lob und Aner-
kennung, wird einmal zum Ankläger werden und das
Urteil sprechen über die unselige Schulpolitik der
jüngsten Vergangenheit. Rein geschichtlich betrachtet,
muß man die geradlinige Entwicklung von Wien bis
Flamburg anerkennen.
Ich frage wieder: Warum die Gegnerschaft gegen
die Kunsterziehung? Betrachtet die höhere Schule die
Kunsterziehung als unnötig oder als abwegig oder
vielleicht gar als gefährlich, weil sie so fortschrittlich
ist? Uber diese Fragen ist in „Kunst und Tugend" schon
so oft und so gründlich gesprochen worden, daß je-
der, der es hören will, klar sieht. „Die höhere Schule
besann sich auf sich selbst" und entzog der Kunst-
erziehung den für ihre Entfaltung notwendigen Raum.
Die höhere Schule hat aber in einer ganz anderen Be-
deutung „Selbstbesinnung" zu treiben und sich zu
fragen: Was braucht der mir anvertraute junge Mensch
zu seiner Ausbildung für die Hochschule und darüber
hinaus für die Schule des Lebens und auch darüber
hinaus für seine Menschwerdung und die Persönlich-

keits- und Charakterbildung? Die höhere Schule
soll sich also nicht auf sich selbst besin-
nen, sondern einzig und allein auf den
Menschen, den ganzen Menschen, diese
Einheit von Geist, Seele und Leib.
Es liegt mir daran, die Begriffe Wissenschaft und
Kunsterziehung, soweit sie für die höhere Schule in
Betracht kommen, ganz klar von unserm Standpunkt
aus zu beleuchten; es sei mir daher gestattet, auf be-
reits früher Gesagtes noch einmal hinzuweisen. Der
alte, naturbegründete Gegensatz zwischen Wissen-
schaft und Kunst treibt auch sein Wesen in der Schule,
Höchst überflüssiger Weise, denn der wissenschaftlich
und der künstlerisch ausgebildete Lehrer der höheren
Schule sind in erster Linie nicht Wissenschaftler
oder Künstler, sondern Lehrer und Erzieher und haben
als solche gemeinsam die gleiche Schul- und Erzie-
hungsarbeit zu leisten. Und ferner — seien wir doch
nüchtern und ehrlichl — handelt es sich hier weder
um Kunst noch um Wissenschaft, sondern nur um das
Einführen in das Verständnis für Kunst und Wissen-
schaft und um das Wecken der Liebe zu beiden. Das
Unterschiedliche sollte nicht zum Trennenden werden,
sondern zum Sich-Ergänzen in friedvollem Neben- und
Miteinander. Wir wollen der Wissenschaft nichts von
ihrem Wert und ihrer Bedeutung nehmen. Wir erken-
nen gern das Verwandtschaftliche zwischen Wissen-
schaft und Kunst an: wir wissen, daß rechte Wissep-
schaft schöpferisch ist, wie die Kunst, und wir sind uns
auch bewußt, daß zur Gestaltung einer künstlerischen
Schöpfung, sei es Dichtung, Musik oder bildende
Kunst, Wissenschaft gehört.
Wir geben also gern dem Wissenschaftler das Seine;
wir beanspruchen aber auch für uns die gleiche Be-
rechtigung. Wenn die Standesfragen sich unterordnen
unter die ungleich wichtigeren Fachfragen, dann
müßte der Dualismus „wissenschaftliche und künstle-
rische Erziehung an der höheren Schule” verschwinden
und die Einheit Wirklichkeit werden: zum Besten der
Schüler, zum Besten der höheren Schule.
Die Sparmaßnahmen an der höheren Schule zeigen
in ihrer brutalen Einseitigkeit deutlich die alte zeil-
und lebensfremde Gleichgültigkeit des nur intellek-
tuell eingestellten Menschen gegenüber dem Anschau-
ungsmenschen. Die deutschen Kunsterzieher haben mit
Begeisterung und Zähigkeit den Kampf um die Wie-
dereroberung der ihnen geraubten Gebiete aufgenom-
men. Der Kampf wird nicht ruhen, bis das uns zuge-
fügte Unrecht wieder beseitigt ist! Musik- und Zei-
chenlehrer kämpfen Schulter an Schulter. Ihre Reihen
wurden recht beachtlich verstärkt durch Nicht-Fach-
sind für die nahe Zukunft geplant. Ferner wurde in
leute, die durch Wort und Schrift bekundeten, daß
diese verheerende Sparmaßnahme ein Raub an wert-
vollstem Kulturgut ist. Eindrucksvolle Protestversamm-
lungen wurden abgehalten (Berlin, Breslau, Frankfurt,
Köln und andere), weitere derartige Veranstaltungen
sind für die nahe Zukunft geplant. Ferner wurde in
Ausstellungen und Kunsterziehungswochen der breiten
Öffentlichkeit gezeigt: Seht, das haben wir erarbeitet
und euern Kindern mitgegeben; darf das durch kurz-
sichtige, rein rechnerisch durchgeführte Sparmaßnah-
men zerschlagen werden?
■ Mit besonderer Genugtuung erfüllt es mich, daß wir
in unserem Abwehrkampf auch energische und wert-
volle Unterstützung gefunden haben durch führende
Philglogen. Ihnen gilt unser Dank in besonderem
Maße. Es ist zu hoffen, daß diese gerecht denkenden
wissenschaftlichen Lehrer, die nicht durch enge Stan-
desinteressen wie durch Scheuklappen gehindert sind,
auch in ihrer Standesorganisation ihren Einfluß geltend
machen. Wir sind uns bewußt, — das sei hier ganz klar

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