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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 3 (März 1932)
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Kolb, Gustav: Goethe
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Biema, Carry: Goethes Farbenlehre in der Praxis des Kunsterziehers
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0056

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■II Jahre später spricht er zu Eckermann die bedeu-
tungsvollen Worte:
„Hätte ich in der bildenden Kunst und in den Na-
turstudien kein Fundament gehabt, so hätte ich mich
in der schlechten Zeit und deren täglichen Einwirkun-
gen auch schwerlich oben gehalten; aber das hat
mich geschützt, so wie ich auch Schillern von dieser
Seite zu Hilfe kam."
Es darf allerdings nicht verschwiegen werden, daß
der Gewinn mit einem Verlust erkauft ward.
Ich werde versuchen, das in einem weiteren Auf-
satz dazulegen und namentlich ins Licht zu stellen,
was er uns Kunsterziehern bedeutet und worin seine
Schauung in die Zukunft weist.
Für heute gilt es nur noch, mit dem seelisch wieder-
geborenen Dichter Abschied von Italien zu nehmen.
Es ist ein überaus schmerzlicher Abschied.
In der Nacht vor der Abreise besteigt er allein das
Kapitol, „das wie ein Feenpalast in der Wüste da-
stand" und zog das Summa Summarum seines ganzen
römischen Aufenthaltes. In dieser heroisch-elegischen
Stimmung kehrte ihm Ovids Elegie ins Gedächtnis zu-
rück, der auch verbannt, in einer Mondnacht Rom ver-
lassen sollte.
i + +

Der 65jährige Goethe klagt seinen Freunden:
„Euch darf ich es wohl gestehen: Seit ich über den
Ponte molle heimwärts fuhr, habe ich keinen rein
glücklichen Tag mehr gehabt."
Und der 79jährige zu Eckermann:
„Ja ich kann sagen, daß ich nur in Rom empfunden
habe, was eigentlich ein Mensch sei. Zu dieser Höhe,
zu diesem Glück der Empfindung bin ich später nie
wieder gekommen; ich bin, mit meinem Zustande in
Rom verglichen, eigentlich nachher nie wieder froh
geworden."
+ + +
Wie das Meer Iphigenie von der geliebten Heimat,
so trennt fortan das Felsen-Meer der Alpen Goethe
von seiner Seelenheimat Italien, wo sich ihm der
Griechen-Genius ins Herzblut gestohlen hat. Gewiß:
Seine Sehnsucht war mehr noch Griechensehnsucht
denn Italiensehnsucht.
Darum tönt fortan die Heimweh-Klage Iphigeniens
in seiner Brust:
Und an dem Ufer steh' ich lange Tage
das Land der Griechen mit der Seele
suchend,

CARRY VAN B I E IVI A :
GOETHES FARBENLEHRE IN DER PRAXIS DES KUNSTERZIEHERS

Vor langer Zeit hat Schopenhauer es einmal pro-
phezeit, daß „die Hauptbegriffe der
Goetheschen Farbenlehre, kurz und
bündig, dem Nachkommen schon in
der Schulzeit eingeprägt sein werde n".
Wie steht es um diese Vorhersage heute, bei
der hundertsten Wiederkehr von Goethes Todes-
tag? Von einigen Ausnahmen abgesehen ist es
nicht viel anders als an seinem hundertsten Ge-
burtstagei Wieder war es Schooenhauer, der damals
in das goldene Buch der Stadt Frankfurt schrieb:
.Nicht bekränzte Monumente, noch Kanonensalven,
noch Glockengeläute, geschweige Festmahle mit Re-
den reichen hin, das schwere und empörende Unrecht
zu sühnen, das Goethe erleidet, betreffs seiner Far-
benlehre".
Auch heute wird Goethes Andenken überall ge-
leiert und geehrt, aber niemand denkt mehr an seinen
jahrzehntelangen Kampf und an seinen bi.tteren Kum-
mer um die Verkennung seines Lieblingswerks, der
Farbenlehre, von der er selbst gesagt hat, daß er ihr
mehr Wert beimesse, als all seinen poetischen Schöp-
lungen. „Vielleicht" schreibt er, „schwirrt das laufende
Jahrhundert vorüber und alles bleibt beim Alten."
Endlich setzt er seine Hoffnung auf ferne künftige
Zeiten und sagt „Ich weiß, daß diese Worte
vergebens dastehen. Aber sie mögen als ein
offenbares Geheimnis der Zukunft be-
wahrt bleiben".
Die Farbenlehre, die annähernd tausend Seiten um-
laßt, ist bei weitem Goethes umfangreichstes Werk.
Wie der „F a u s t", wie der Wilhelm Meister ist
sie eine ganze Welt für sich, eine Bibel, aus der jeder
sich herausnehmen kann, was er begreift. Neben den
so stark angefeindeten physikalischen Forschungen
spricht sie von Mensch, Tier und Pflanze, von Philo-
sophie, Geschichte und Mathematik, von Pathologie,
Chemie, Astronomie, von Musik und Malerei und von
unzähligen anderen Dingen. Sie enthält einen didak-
tischen Teil, einen polemischen, der gegen Newton
gerichtet ist und einen geschichtlichen, der in Wirk-
lichkeit Goethes herrliche Geistesgeschichte des
Abendlandes ist. Da mir aber hier nur ein ganz be-

schränkter Raum zur Verfügung steht, darf uns heute
ausschließlich die eine Frage beschäftigen: Wie kann
der Kunsterzieher Schopenhauers Prophezeiung wahr
machen? Wie können die großen künstlerischen und
sittlichen Hauptbegriffe der Goethischen Farbenlehre
dem Heranwachsenden zum eignen Erlebnis werden?
Wie kann er es empfinden und begreifen lernen, daß
die Farben lebendige Kräfte sind, wir-
kende Naturgewalten, einander suchend und
fliehend, einander anziehend und abstoßend wie le-
bendige Seelen, die sich bekämpfen oder, wie der
Volksmund sagt, schreien, sich beißen und totschlagen
— oder zu herrlicher Harmonie zusammenfließen und
sich vermählen, so daß sich Forbenfamilien, ja im
eigentlichen Sinne Wahlverwandtschaften bilden.
Die erste Forderung für das Verständnis der Goethe-
schen Lehre ist es, daß jedes Kind ein Prisma besäße,
damit es spielend, so oft es will, die Farben in ihrer
zauberhaftesten Leuchtkraft und Reinheit erblicken
kann.
Auf Wanderungen, aber auch im Schulzimmer sollte
oft (und niemals kürzer als fünf Minuten) durch fai-
bige Gläser oder Transparentpapiere gesehen wer-
den. Nachdem sie dann rasch vom Auge entfernt wer-
den, blicke man auf die Himmelsfläche oder auf eine
weiße Leinwand, Die Kinder werden es dann mit
Staunen erleben, wie sich in den Augen aller dieselbe
Gegenfarbe gebildet hat, und sie werden ohne Theorie
das große Naturgesetz der Polarität begreifen.
An vielen Beobachtungen im Freien und an den
allbekannten Versuchen im Zeichensaal kann dern
Kinde die Erscheinung der Komplementärfarben all-
mählich ganz vertraut werden. Durch die Erzählung
der Augenerlebnisse Goethes werden sie ihrn noch
interessanter werden: vom schwarzen Pudel, der Faust
und Wagner auf dem Osterspaziergang in der Däm-
merung umkreist und einen „Flammenstrudel" hinter
sich herzieht, von der jungen Wirtstochter „mit schnee-
weißem Gesicht, schwarzem Haar und hochrotem Mie-
der", die, als sie gegangen ist, auf der weißen Wand
das Bild einer Mohrin hinterläßt, „mit schwarzem von
einem hellen Schein umgebenen Gesicht und inmeei-
grüner Kleidung". Nun wird man umso leichter an der

Öl
 
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