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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 7 (Juli 1932)
DOI Artikel:
Herrmann, Hans: Die Erziehung der Oberstufe
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0119

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Kunst und Jugend
Deufsdhe Blätter für Zeichen- Kunst- und Werkunterricht
Zeitschrift des Reichsverbandes akademisch gebildeterZeichenlehrer und Zeichenlehrerinnen

Verantwortlich für die Schriftleitung: Prof. Gustav Kolb, Stuttgart, Ameisenbergstr. 65
Druck, Expedition und Verlag: Eugen Hardt G. m. b. H. Stuttgart, Langestrafje 18
Für Besprechungsexemplare, Niederschriften oder andere Einsendungen irgendwelcher Art wird eine Verantwortlichkeit nur
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12. Jahrgang__Juli 1932_ Heft 7

HANS HERR MANN-BAMBERG: DIE ERZIEHUNG DER OBERSTUFE
(Siehe dazu die Abbildungen.)

Die zeichnerische Erziehung in der Oberstufe der
höheren Schule ist mit besonderen Schwierig-
keiten verknüpft. Probleme, die vorher kaum vorhan-
den waren oder doch nur unter der Oberfläche, vom
naiven Drang zur Formung überdeckt, machen sich
nach der Reifezeit breit und erschüttern die Selbst-
sicherheit.
Seil man sich ernstlich mit der Frage der Kunst-
erziehung befaßt, bespricht man in rechter Erkenntnis
der Wichtigkeit dieses „Problem der Pubertät"; wir
wollen bei Voraussetzung mancher schon oft gesag-
ter Dinge unter dem Gesichtswinkel der „Theorie der
bildenden Kunst" unsere Betrachtungen darüber an-
stellen.
In einer erklärlichen Neigung zur Vereinfachung hat
man zuweilen versucht, das Fragenbündel, das sich
hier zusammenballt, auf eine Wurzel zurückzuführen,
den Grund für die plötzlichen Schwierigkeiten zu
linden, die im Alter der Reife aultreton. Die Ursachen
ober, die Zusammenwirken, sind unserer Meinung nach
unterschiedlicher Natur und es ist für die praktische
Lösung der Erzieheraufgabe von großer Bedeutung,
daß wir sie in ihrer Art klar erkennen; sonst laufen
wir Gefahr, Kräfte lür unerreichbare Zwecke einzu-
setzen, die an der richtigen Stelle große Wirkung ge-
tan hätten.
Es seien hier die Punkte, die uns als die hauptsäch-
lichsten ' erscheinen, aufgezählt; nachher sollen sie
einer eingehenden Betrachtung unterzogen werden:
I.Die vorgefaßte Meinung des Schülers, die durch
die flache landläufige Ansicht der Erwachsenen
eine bedenkliche Stütze erhält, daß das erste Er-
fordernis für die Güte einer Zeichnung ihre Rich-
tigkeit sei.
2, Hemmungen seelischer Art, die sich aus Punkt
1 und Punkt 3 ergeben und lähmende Selbstkritik
zur Folge haben.
3. Die rein sachlich-problemhafte Schwierigkeit
der bildhaften Aufgaben, die zwangsläufig einer
gewissen Stufe der Entwicklung gestellt sind.
4. Die Auswiikung der nun völlig differenzierten
Erbmasse, die eine lange intellektualistische
Schulung in der europäischen Welt erfahren hat.
Der erste Angriff muß auf Punkt 1 erfolgen; er wird
auch am ehesten gelingen und manche Minderwertig-
keitsgefühle, die in Punkt 2 angedeutet sind,' werden
dadurch aufgehoben. Freilich ist hiezu eine lange, oft

recht mühevolle Einwirkung nötig, die sich im wesent-
lichen auf unmittelbar künstlerische Dinge erstrecken
und nur mit Vorsicht das bloß Begriffliche heranziehen
soll. Selbstverständlich muß der Lehrer selber von
innerer Überzeugung erfüllt sein, wenn er wirken will.
Er selber muß die eigentlichen Probleme der
bildenden Kunst erlebt haben, damit er dartun kann,
wie sinnlos die Kritik eines Bildwerks auf seine Rieh -
tigkeit ist; wie sich in aller Kunst, nicht bloß in der
primitiven eine „Unrichtigkeit" zeigt, die nicht negativ
aus dem Spielraum einer verwaschenen „künstle-
rischen Freiheit" zu erklären ist, sondern positiv dar-
aus, daß die innere Absicht des formenden Menschen
— sie braucht ihm gar nicht bewußt zu sein! in kei
ner Weise auf Abbildung geht; daß die entstehende
Form ihren Wert in sich hat, als mehr oder minder
geschlossenes zwingendes sinn-logisches Gefüge; daß
jeder Strich, mag er von Rubens, Rornbrandt oder Dü
rer kommen, seinen Wert nur aus sich heileitet, un
geachtet seiner Entstehung aus dem natürlichen Er
lebnis, und daß ein Werk der bildenden Kunst sich
als formgewordener Geist von dom in diesem Sinn
„Zufälligen" der Natur unterscheidet, ja unterscheiden
rnuß.
Wenn der Schüler an vielen Beispielen der aner-
kannten Kunst die Haltlosigkeit des Richtigkeitsstand
Punktes bewiesen sieht und wenn er seine Augen zur
unmittelbar sinnlichen, ungedanklichen Erfassung des
künstlerischen Formwertes geschult hat, wird er erst
die richtigen sachlichen Maßstäbe erhalten. Er wird
dann auch seine eigenen echten Zeichnungen, die in
ähnlichem Sinn vom Bild der Natur abweichen, wie
jene aus dem Kreis der hohen Kunst, mit ganz anderen
Augen betrachten, als vorher und sich nicht mehr
scheuen, eine wirklich gebildete Form zu geben, auch
wenn sie nicht „richtig" ist. Durch vorsichtige Bespre-
chung verschieden entwickelter Kinderzeichnungen
kann auch die Einsicht gewonnen werden, daß eine
unablässige wachstumsmäßige Entwicklung der Zeich-
nung stattfindet, vom Einzelnen zum Gesamten, vom
Primitiven zum Differenzierten, so muß er ein Gefühi
bekommen für die „Natürlichkeit" einer „unnatür-
lichen" Form.
Den Kern der Pubertätsproblematik bilden jene Tat-
sachen geistigen Wachstums, die in Punkt 3 angedeu-
tet sind und sie sind es auch, die der Wirkungskraft er-
zieherischer Maßnahmen eine gewisse Grenze setzen.

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