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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 6 (Juni 1932)
DOI Artikel:
Zum Abbau: meine Ansicht über den Zeichen- und Kunstunterricht, [5]
DOI Artikel:
Hell, Holger: Gegen den Abbau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0107

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vielleicht mehr, aber sicherlich mit mehr innerem
Ernst gearbeitet, als das im früheren Zeichenunterricht
möglich war. Hier muß jeder seine eigenen Kräfte an-
spannen, sich konzentrieren, dauernde Selbstkritik
üben. Intensität des Erlebens, mitgeteilt in der ein-
dringlichsten und klarsten Form — was kann in wirk-
lichem Sinne mehr „erziehen"? Was^ ist geeigneter,
zur Bildung von Persönlichkeiten zu fuhren, als diese
Art des Schulunterrichts?
Sein schönster und wertvollster Erfolg ist die Bildung
und Kräftigung selbstbewußter, natürlich gewachsener
Persönlichkeiten, ist die Ausschaltung der menschen-
mordenden passiven Reflexion, die überall da ent-
steht, wo Kenntnisse nicht zu erlebten Erkenntnissen
werden und daher wie eine unübersteigliche Wand
sich aufrichten. Es ist der Weg vom Wissen zum Er-

leben, von dei verwirrenden Anhäufung inneilich Iiuim
der Kenntnisse zur aktiven Verarbeitung, d. h. zu le-
bendigen Erkenntnissen.
Es ist, es sei zum Schluß nochmals gesagt, dieser
neue Zeichenunterricht ein ungeheuer wichtiges Mit-
tel, eindeutige, leistungsfreudige Menschen zu er-
ziehen, und darum ist mit aller Kraft daran zu arbeiten,
daß der vernichtende Schlag, den er durch die lelzten
Sparmaßnahmen bekommen hat, wieder gutgemachl
wird.
Es geht dabei um mehr als um ein paar weggestri-
chene Zeichenstunden. Es geht um eine Möglichkeit,
uns ein riesiges Kapital an Volkskraft zu erhalten, auf
der unsere Zukunft beruht. Es ist an der Zeit, auch hier
endlich zu begreifen, daß die Zukunft weniger mit
Geld als mit lebendigen Seelen gemacht wird.

H.HELL-BERLIN-ZEHLENDORF: GEGEN DEN ABBAU

In der Staatlichen Kunstbibliothek Berlin wurden auf
Veranlassung der Leitung der Berliner Staatl. Kunst-
schule in Verbindung mit den Ausstellungen von Schü-
lerarbeiten drei wichtige Vorträge gehalten, die sich
auf die Bedeutung des Kunst- und Werkunterrichts
bezogen und die Themen behandelten: „Erziehung
des Auges", „Erziehung der Hand" und „Kunst als all-
gemeiner Bildungsfaktor".
Herr Amtsgenosse Dr. Hell-Berlin gibt nachstehenden
Bericht über zwei dieser Vorträge. ^ pritz
Berlin gegen den Abbau in den Kunstfäcliern.
Kaum hat man die Gleichberechtigung der künst-
lerischen Fächer amtlich ausgesprochen, so werden
sie bereits bei den Abbaumaßnahmen bevorzugt. Es
wird in eine organische Entwicklung eines in Neuord-
nung und Aufbau befindlichen Fachs mit harter Hand
eingegriffen, und eben die jungen Kräfte werden ein-
fach ausgeschaltet, die ihre Ausbildung nach der
neuen Ordnung unter besonderen zeitlichen und mate-
riellen Opfern beendet haben. Im Lichthof des Kunst-
gewerbemuseums zeigten abgebaute Kandidaten des
künstlerischen Lehramts Arbeiten der von ihnen bis-
her betreuten Schüler. In der Staatl. Kunstschule waren
Arbeiten der angehenden Lehrer ausgestellt. Protest-
versammlungen und Vorträge wiesen auf die Bedeu-
tung der Schulung der künstlerischen Kräfte hin:
Uber die Bildung des Auges sprach Prof. Dr.
Kurth, Leiter der modernen graphischen Sammlung
der Staatl. Museen zu Berlin. Er verlangt klare Besin-
nung auf die eigentlichen Aufgaben des Zeichenunter-
richts, der gerade in dem Streben nach Gleichberech-
tigung mit den wissenschaftlichen Fächern der Gefahr
der Intellektualisierung (durch zu starke theoretische
Belastung) ausgesetzt worden sei. Die Bedeutung der
Kunstfächer liegt eben in ihrer Andersartigkeit den
begrifflich-intellektuellen Fächern gegenüber. Der Zei-
chenunterricht darf nicht verwissenschaftlicht werden.
Die Theorien, wie sich die zeichnerische Entwicklung
des Kindes richtig zu vollziehen habe, die der
kunstgeschichtlichen Bildung entspringenden Ver-
gleiche mit der Stufenfolge in der alten Kunst, Paral-
lelen zur neuen und neuesten Kunstentwicklung, führen
zur Erstarrung und zu Schematisierungen, die dem
Kinde nicht gerecht werden. In den verschiedenen
Unterrichtsmethoden steckt immer auch ein Kern Wahr-
heit. Wer einen Blick getan hat in die Praxis des Unter-
richts, wer das unglaublich bunte Bild der Begabungen
innerhalb der einzelnen Klassengemeinschaften ohne
Voreingenommenheit sieht, muß die Unzulänglichkeit
der bisher bekannt gewordenen Theorien empfinden.
Die eingeborenen Kräfte der Anschauung werden
möglichst lange ungetrübt erhalten. Rhythmik und

echte Primitivität kennzeichnen die Zeichnungen der
Kleinen. Der Lehrer hat die Aufgabe, diese Anlagen
zu entfalten. Ausgangspunkt kann nur die einzelne
Zeichnung sein. Die Kraft, mit der das Inhaltliche der
Darstellung und die räumlichen Beziehungen gezeich-
net werden, hängt ab von der Intelligenz des Kindes.
Die intelligenteren Kinder zeichnen erfahrungsgemäß
im allgemeinen besser! Es ist gleich, ob es sich um
mehr abstrakte oder um mehr naturalisierende Bega-
bungstypen handelt. Was man als formale logik,
Rhythmik, Stileinheit dabei empfindet, beruht auf der
Einheitlichkeit der Anschauung des Kindes. Darum ist
es verfehlt, auf der Oberstufe, wo diese innere Einheit
bei der Mehrzahl der Schüler aus den verschiedensten
Gründen nicht mehr vorhanden ist, Systematik des
Bildaufbaus zu lehren. Man kann den Bildaufbau
als künstlerischen Eigenwert erkennen und analysieren,
aber er darf den Gegenständen, die man darstellen
will, nicht wie ein Maskenkostüm angetan werden.
Dr. Kurth kritisierte gerade die Zeichnungen der Ober-
stufe, die auf der Ausstellung zu sehen waren, in die-
sem Sinne. Die innere Problematik der Altersstufe
schien überwunden. Zeichnungen und Aquarelle über-
raschten durch die Einheitlichkeit der Leistung. Das
Ganze erschien wie eine Parallelunternehmung zu
einer Ausstellung zeitgenössischer Kunst. Wie sind
diese Leistungen zustande gekommen? Wie verlrägt
sich das mit dem Ziel der Förderung der eingeborenen
Anschauungskräfte des Kindes?
An die Stelle des Naturvorbildes hat man das Kunst-
werk gerückt. Aus ihm wird Methode, Aufbau, Kompo-
sition, mit einem Wort der „K unslwer l" abgeleitet,
und mit dem so Begriffenen wird nun gestaltet. Man
hat das Kunstgesetz herausdestilliert, und was man
mit dieser Kenntnis produziert, erinneit an bestimmte
Maler oder bestimmte Bilder. Das Vorbild ergibt sich
aus der jeweiligen Einstellung dt s Zeichenlehrers, und
so stellt die Arbeit der Schüler meist nur einen dritten
Aufguß eines vielleicht schätzenswerten Originals dar.
Uber den Anteil theoretischer Erwägungen am Schaf-
fen eines Kunstwerks kann man verschiedener Meinung
sein. Aber es steht fest, daß nur dort wirklich Lebens-
fähiges zustande kommt, wo der Schaffende
von seinem Gegenstand erfüllt ist. Es ist
also Aufgabe des Lehrers, das Thema so zu bieten,
daß sich daran die Phantasie des Schülers entzünden
kann. Ta es lassen sich — durcli die Art der Schilde-
rung — gewisse kompositionelie und farbige Elemente
viel sicherer zur Geltung bringen, als wenn man von
formaler Komposition ausgegangen wäre.
Der Anschauunqsvorrat muß durch Nnturbeobarhtunq
und durch Naturstudium bereichert weiden. Es kommt
in diesem Fach weniger auf das Ziel erreichter künst-
lerischer Leistung an als auf seelische Aktivierung, Bei

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