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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 12 (Dezember 1932)
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Nicklass, Elsa: Bunte Fenster
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0226

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ELSA NICKLASS, BERLIN-FRIEDENAU: BUNTE FENSTER -

bunt, ja — leider aber keine bunten Glasscherben in
Blei gefaßt, doch immerhin „bunte Fenster''! „Bunte
Fenster" — so nennt sich eine Sammlung vpn Gedich-
ten für den Schulgebrauch, — und mancher bunte
Traum wurde auch in unsere bunten Fenster hinein-
gedichiet von jungen Untersekundanerinnen und Ober-
tertianerinnen.
Ehe v/ir, von einem Waldgrundstück kommend, im
Vorjahre in das andere Schulhaus einzogen, mit des-
sen Schülerinnenzahl nun die der unserigen Schule
verbunden werden sollte, grüßten uns dort ungastlich
öde Wände, eintönig grau in grau. Nicht nur grau in
grau, sondern schmutziggrau in schmutziggrau, was
weit schlimmer ist. Die Not der Zeit hatte dazu ge-
zwungen, diese Wände lange, lange Dahre hindurch
so eingrauen zu lassenl Und wir kamen aus unserem
Walde, mit einer hellen und sonnigen Schule mitten-
drin! Aber mit uns zog die Farbe ein. In wenigen Wo-
chen strahlten die Klassenzimmer farbenheiter, hell-
ten sich die grauen, langen, trostlosen Treppenflure
in lichtes Gelb auf. Was doch die Farbe bedeutet!
Räume, in denen man glaubte, niemals heimisch wer-
den zu können, erschienen plötzlich weit und froh und
behaglich.
Die Adventszeit naht und wir vom Waldgrundstück
sind gewohnt, all ihren Schein in die Schule einziehen
zu lassen. Die Worte: „Mache dich auf, werde Licht!"
standen jahrzehntelang als goldene Mahnworte über
unserer kleinen Waldschule. In jeder Montags-Andacht
zitterten sie im Treppenhaus; sie hingen in den Licht-
flammen der vier Adventskerzen auf der grünen Krone,
die in den Hausgang herunterleuchtete; sie stahlen
sich in die Klassenräume und in den allgewohnten
Unterrichtsgang hinein. Mahnend sollen sie nun auch
über dem anderen Schulhaus stehenl Die Flure in dem
neuen Hause sind ja licht und schön geworden, aber
die Fenster darin sind so reichlich nüchtern und schul-
mäßig! Auch die hohen, schmalen im Andachtssaal.
Also reget Euch, Ihr Geister — regt Euch Ihr Händel
Daß in den Adventswochen das Licht, das in sie hin-
einfällt, einen kleinen Heiligenschein bekomme und
ihre Kahlheit umschmeichlel
Ein Andachtsraum mit vier schmalen, sehr hohen
Fenstern und drei lange Hausflure mit zwei großen
Fenstern und mehreren kleinen, hochgelegenen! Welch'
eine Fülle von Raum für das SchaffenI ]ede der vier
in Frage kommenden Klassen erhielt für sich allein
eines dieser vier „Felder der Betätigung". Und jedes
einzelne sollte unter einem besonderen Gedanken
stehen. So der Gesangsaal, — der uns zugleich An-
dachtsraum ist und in dem wir unsere Feste feiern,—
unter dem Verheißungsgedanken. Der untere Flur unter
dem sinnreichen Bibelsatz: „Fürchtet Euch nicht, siehe
ich verkündige Euch große Freude, die allem Volke
widerfahren wird." Der mittlere unter dem anderen
Wort: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden
und den Menschen ein Wohlgefallen." Endlich der
obere Flur unter dem Gedanken der Anbetung.
Bildbetrachtungsstunden sind mit unserer Arbeit so
eng verknüpft, daß sie fast oei jeder Aufgabe eine
Rolle spielen. Sie gehen der jeweiligen Arbeit voraus,
um ein Verständnis für dieselbe anzubahnen — sie
folgen oft nach, um das Verständnis zu vertiefen. Wir
begannen unsere Aufgabe mit dem Betrachten von
Reproduktionen nach Glasfenstern. Es waren meist Kir-
chenfenster, alte und neue. Aber auch das Fenster
eines Nützlichkeitsbaues war darunter: dasjenige
einer Badeanstalt. Wie verschieden war der Aufbau
in ihnenl Es gab solche darunter, die, von unten be-
ginnend, bis in den Ausklang ihres romanischen oder
gotischen Bogens hinein immer neue und neue Ge-
schichten erzählten, so das Fenster mit einer Fülle von

Bildern überziehend. Und solche mit einsamen, gelas-
sen dastehenden großen Gestalten. Als die stärksten
hebe ich zwei hervor, ein altes und ein neues: eine
Glasscheibe aus der Kathedrale von Poitiers, in der
die fünf eindrucksvollen Gestalten von Aposteln dicht
gedrängt In ein Viereck zusammenrücken — und dann
Pechsteins schlankes hohes Fenster mit dem Gekreu-
zigten darin. Man weiß nicht: welches ist „gotischer"
und welches „moderner" von den beiden. Selten ist
sich Kunst über Tahrhunderte-Entfernung hin so nahe
geblieben, wie in diesen beiden Fenstern. Das Bild
der Apostel von Poitiers wird durch nichts beeinträch-
tigt, da es eine ganze Scheibe gerade ausfüllt und die
Windstützen des Fensters es nicht durchschneiden.
Anders der Gekreuzigtei Das Bild zieht sich durch
mehrere Scheiben des hohen Fensters hindurch: durch
Kreuz und Körper Christi quert wuchtig ein zweites,
schweres Kreuz, unbarmherzig alles zerschneidend:
das Fensterkreuz. Wird das Bild dadurch in seiner Ein-
heit zerstört? Nein. Die düstere Schwere der Bildseele
wird nur noch einheitlicher, ausdrucksvoller, lastender.
Nach eingehender Betrachtung dieser beiden Bilder
haben wir gelernt: Wir können beim Aufbau den or-
ganischen Zusammenhang des Fensters betonen, in-
dem wir Scheibe für Scheibe bebildern. Nichts soll uns
jedoch hindern, ihn zu durchbrechen, wenn die Auf-
gabe, oder der Ausdruck darin, es erforderte. Die bei-
den Bilder bleiben als einzige von allen im Zeichen-
saal stehen, damit jeder, der ihn braucht, sich Rat bei
der Technik der Fenster holen kann. Und nun geht es
ans Werk:
Die eine der beiden Untersekunden zeichnet sich
zunächst die drei, durch Mauerpfeile voneinander ge-
trennten, hohen Haupt-Fenster des Saales auf und un-
ternimmt dann eine bildmäßige Aufteilung derselben
in skizzierter Form. Der beste, von allen anerkannte
Entwurf enthielt im Mittelfenster zwei ragende Ge-
stalten: Maria und den Engel der Verkündigung. Der
senkrechte Pfeiler des Mittelkreuzes zwischen ihnen
ergibt sich als Gewölbepfeiler, der ein gotisches
Gewölbe stützt, so rechts und links zwei Spitzbogen
gestattend. Uber die Fensterscheiben der seitlichen
Fenster, ziehen sich, dem Verheißungsgedanken treu
bleibend, Prophetenworte. Einfache Ornamente dazu
unten am Fensterrahmen und oben in den Winkeln der
Spitzbogen, die auch hier die Fenster abschließen.
Die überwiegenden Farben sind Rot und Blau. Blau
für die Maria und Rot für den Engei, Blau und Rot
werden die schwarzen Ornamente hinterklebt und auf
mattgrün, fast weiß,'steht die schwarze, langgezogene
schmale Antiqua. Lieber hätten die Kinder gotische
Schrift gewählt, aber die Technik gab hier den Aus-
schlag für ein etwas weniger stilvolles Ganzes. Das
vierte, ein Seitenfenster, bekam die gleiche Auftei-
lung, wie die Seitenfenster der Hauptwand,
Eine Obertertia übernimmt die Gestaltung der Fen-
ster des unteren Flures. Acht Mäßigbegabte machen
die Entwürfe für die acht Scheiben der vier kleinen,
schmalen, hochgelegenen Fenster. Es werden Orna-
mente In der Art der „Fensterrosen", in die unser Leit-
satz eingefügt ist, gewählt. Das Glück dieser Nicht-
begabten ist sichtbar, sie sind sehr eifrig. Die Begab
teren entwerfen die übrigen Fensterbilder: Die Ge-
schichte des Verkündigungsengels auf dem Felde der
Hirten. Die Fenster haben Sechsteilung. Während nun j
unten auf vier Feldern jedes Fensters die Geschichte ;
mit Hirten auf der Erde und Engeln im Himmel breit j
erzählt wird, erhalten noch weitere vier Schülerinnen j
den obersten Raum von je zwei Scheiben, um ein ab-
schließendes Ornament hineinzusetzen, in allen Schüle- .
rinnen ist bezeichnenderweise das Verlangen rege
die langweilige Geradlinigkeit der Schulhaus-Fenstei
aufzuheben.

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