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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 10 (Oktober 1932)
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Pankok, Otto: "Stern und Blume"
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Sprechsaal / Zum Nachdenken / Umschau / Buchbesprechungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0186

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Icrei eines Picasso, die Allerweltsmalereien von Ba-
taillonen von Pinselschwingen, die in „Richtungen"
sich bewegen und die europäischen Ausstellungen
überschwemmen, gestern Futurist, heute Kubist, mor-
gen Konstruktivist und übermorgen lebensmüder Koks-
schnupfei — was spricht aus ihnen deutlicher als eine
geknebelte, schief gewachsene, ungelebte Jugend?
2. Die neue Sachlichkeit. Alle Richtungs-
maler schöpfen ihre Malerei nicht aus sich, d. h. aus
der Natur, sondern aus der Kunst. Ihre Wesensart ist
daher immer künstlich und gekünstelt. Als das mise-
rable letzte Schlagwort von der neuen Sachlichkeit
aufkam, drängte sich vor allem eine große Zahl von
Malern in den Vordergrund, die stumpfsinnig und ge-
dankenfaul waren, die in dem Abmalen von Gegen-
ständen x-beliebiger Art die Kunst zu finden glaubten
oder es Vorgaben. Je näher dem Foto, um so lieber.
Man verwechsele diese Pseudokünstler nicht mit
jenen Malern, die abseits vom Kunstbetrieb, meist ab-
seits vom heutigen Leben zur Malerei gelangten. Es
sind die Kaspar David Friedrich-Naturen, wie der Zöll-
ner Rousseau oder der am Bodensee lebende Bauer
Adolf Dietrich. Ihre Kunst zeichnet sich durch große
Einfachheit, Ergriffenheit und tiefe Liebe zu den Dingen
der Welt aus. Sie stehen immer fern vom Betrieb, sind
ohne Schmiß, Zugespilzlheit und Koketterie. Ihrer ist
das Ffimmelreich gewiß und Fra Angelico wird sie an
der Pforte empfangen.
3. Das laufende Band. Begreift man noch
immer nicht, was die Erfindung des laufenden Bandes
bedeutet? Der Mensch wird zur mechanischen Be-
wegung gezwungen, zum Flandgriff, um in vorge-
schriebener Zeit die Arbeit zu tun, die eine Bewe-
gung immer wieder vom Morgen zum Abend, vom
Montag zum Samstag, vom 1. bis zum 31., vom Januar
zum Dezember, jahraus jahrein, bis das Leben vorbei
ist und ein andrer, etwa ein Sohn, an seine Stelle
tritt, um haarscharf das gleiche zu tun. Das laufende
Band hält den Arbeiter in seinen Klauen, den Ange-
stellten, den Industriellen, die Generationen. Alle
müssen sich sputen, denn das Band läuft, ohne Pause,
ohne eine Pfeife Tabak, ohne Nebenblicke in die
Welt. Tagschicht, Nachtschicht, gleichmäßig, monoton.
Nach der Melodie des Metronoms wird der Mensch
und sein Schädel geschult, werden seine Glieder ge-
schient, verknorpelt und verknöchert. Taylor und Ford
sind die Vollender bejubelter Erfindungen von Leo-
nardo, Stevenson, Daimler, Edison, die das Leben
leichter zu machen wähnten. Die Maschine gibt den
Takt, bestimmt den Rhythmus des Lebens. Nicht mehr

der Geist, nicht mehi das Herz. Ach, was nutzt uns
unser Sträuben, uns kleinen Anarchisten. Was können
wir anderes tun als dem zuzusehen, uns nach Möglich-
keit vorbeizupfuschen — am laufenden Band. Der
Maler ist ein romantischer Eigenbrödler, der eine an-
dere Welt haben will als diese, in der in ihrer freien
Zeit, abends von 6 bis 10 Uhr, die Menschen erschöpf!
sind und nur noch für das Kino zu gebrauchen.
Aber eine Sorte Mensch ist da, die ist stolz auf
unsere Knebelung und die „Großtaten des Jahrhun-
derts". Es ist er, der Bürger. Die riesige Masse der
Spießer. Ihnen ist es ein lächerliches Märchen, ein
nettes Feuilleton, zu wissen, daß ihre Ahnen vor
einigen tausend Jahren Wilde waren. Sie glauben,
alles gehe nach festen von Menschen erklärbaren
Regeln. Sie wissen aus Büchern und. Museen: so ei-
fand unser Vorfahre die erste Maschine, daraus kam
dies, daraus kam das. Heute wird eben geflogen,
morgen kaufen wir den kleinen Fernseher und schrau-
ben ihn ans Telefon, übermorgen fährt Frau Schmitz
auf den Mond. Man fühlt sich fest in der Entwicklung,
ein Glied in der Kette. Die Kunst, einst der Menschheit
Entzücken und Seligkeit, hat sich entwickelt zu einei
Ausstellungsbilderfabrikation, wie sich alles zu dem
„entwickelt", zu dem, was heute da ist.
Einzelnen aber beginnt etwas zu dämmern, ob wir
nicht nur eingewickelt sind von irgendeinem Schick-
sal, das die Dinge weiter und weiter treibt, es be-
ginnt zu dämmern, daß die Menschheit mit Philologen- i
Weisheit gefüttert wird . . .
4. Des Malers 10 Gebote:
1. Gebot. Du sollst den Kitsch riskieren.
2. Gebot. Du sollst nicht für Ausstellungen malen.
3. Gebot. Du sollst einen Baum für wichtiger hallen
als eine Erfindung von Picasso,
4. Gebot. Du sollst dich vor dem persönlichen Stil
hüten.
5. Gebot. Du sollst nur deinen Träumen trauen.
6. Gebot. Du sollst deine schlechten Bilder schnell
vergessen.
7. Gebot. Du sollst deine guten Bilder nicht anbeten.
8. Gebot. Du sollst vor jedem Bild, das du beginnst,
das Gefühl haben, es wäre dein erstes.
9. Gebot. Du sollst kraß ablehnen, was dir nicht paßt,
und wäre es Rembrandt oder Chagall.
10. Gebot. Du sollst das Publikum nicht für dümmer
halten als dich selbst.
Aus „Steril und Blume” von Otto Pnnkok
(Verlag Freihochschulbund Düsseldorf)

SPRECHSÄÄL
Für deutsche Schrift in „Kunst und Jugend"!
Auf Beschluß der Hauptversammlung in Breslau er
scheint „Kunst und Jugend", die Zeitschrift deutscher
Kunsterzieher, in lateinischer Schrift (Antiqua). Das
Heft hat nach dem Urteil aus Kollegenkreisen ein
„vornehmes, edles und modernes Gewand" bekom-
men und müßte demnach alle Kollegen zufrieden stel-
len. Doch hiervon kann keine Rede sein; denn die
Fiage: Fraktur oder Antiqua? ist wieder neu aufgerolit
und soll In nächster Zeit entschieden werden. Ver-
schiedene Zuschriften aus Kcllegenkreisen, die ent-
gegengesetzte Meinungen vertreten, veranlassen mich,
in dieser Frage Stellung zu nehmen. Indem ich nur
diese Meinungen hier milberücksichtige, hoffe ich,
'der Sache zu dienen.
Die Tatsache, daß unsere Fachzeitschrift in latei-
nischer Schrift erscheint, habe ich stets als sehr be-
dauerlich hingestellt, weil damit eine unberechtigte
Geringschätzung unserer deutschen Schrift dokumen-

tiert wird. Die Gründe, aus denen ich mich mit voller
Überzeugung für die deutsche Schrift einsetze, will
ich hier kurz darlegen. Ich gebe dabei nicht nur meine
eigene Meinung kund, sondern ich stütze mich vor
allem auf die Mitteilungen der Deutschen Akademie
in München zur wissenschaftlichen Erforschung und
zur Pflege des Deutschtums (Heft 16, Sept.—Okt. 1927
— Verlag R. Oldenburg). Eine Sachverständigen-Aus-
sprache über „Fraktur und Antiqua".
Wenn ich das Heft „Kunst und Jugend" zur Hand
nehme, so mutet es mich trotz seiner edlen Antiqua
fremd und kalt an. Der formale Wert seines Schrift-
satzes ist nämlich mit einer „Einbuße an natürlichem
Leben" erkauft. Es liegt ein falscher, unorganischer
Zug in demselben, der durch kein noch so „objek-
tives Urteil" beseitigt werden kann. Wer etwas Sprach
gefühl besitzt, wird den feinen Schleier, der über den
einzelnen Wortgefügen liegt und den Sinn derselben
undeutlich macht, stets umangenehm empfinden. Kraß 1
ausgedrückt: die deutsche Sprache wird mit dieser
Schrift „mißhandelt". Wohl wirkt die lateinische Schrift

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